ReiseVon Kalmar nach Riga Teil 3 – Verborgene Schönheit

Christian Tiedt

 · 13.06.2023

Blick über die Düna auf das Zentrum Rigas, gesehen von der Marina. Im Vordergrund der Kipsala-Strand, dahinter die Vanšu-Brücke. Im Hintergrund von links die Türme des Doms, der Petrikirche und der Akademie der Wissenschaften, eines Baus aus Sowjetzeiten
Foto: Christian Tiedt
Riga ist weit weniger bekannt als andere Metropolen der Ostsee. Dabei braucht sie sich hinter ihren Schwestern wahrlich nicht zu verstecken

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Abschied von Estland! Dass wir die letzte Etappe unseres Sommertörns nach einem unfreiwillig langen Aufenthalt mit defekter Kühlwasserpumpe nun doch noch auf eigenem Kiel in Angriff nehmen können, ist nicht nur der überraschend schnellen Lieferung des Ersatzteils zu verdanken, sondern auch dem technischen Geschick der Crew: Nach vier Tagen in Kuressaare auf der Insel Saaremaa laufen beide Diesel der „Rolling Swiss 2“ wieder. Daumen hoch! Aus dem offenen Schott zum Maschinenraum dringt der schönste Lärm der Welt.

So wird unser Sommertörn mit dem Cruising Club der Schweiz, der vor zwei Wochen im südschwedischen Karlskrona begann und über die Inseln Öland und Gotland mit viel Wind und Welle bis nach Saaremaa in Estland führte, wie geplant in Riga enden. Allerdings haben wir nun keine Zeit mehr, um die weitläufige Rigaer Bucht zu erkunden und die direkte Distanz von immerhin knapp 100 Seemeilen in mehrere Abschnitte zu teilen. Es wird also ein anstrengender Tag werden.

Riga voraus

Der fängt noch ganz entspannt an, mit beinahe blauem Himmel und sich erst regendem Wind. Doch schneller als erwartet zieht es zu. Direkt voraus wächst eine gewaltige Gewitterzelle in den Himmel, und es frischt nicht nur viel zu früh auf, sondern auch noch aus der falschen Richtung. Zu weit westlich fällt der Wind, und wir können gerade so Kurs quer über die Irbenstraße halten, die die Rigaer Bucht mit der offenen Ostsee verbindet, ohne dass das Rollen zu mächtig wird. Selbst als wir Kap Kolka passiert haben und im Westen nun die flache Küste der Halbinsel Kurland liegt, ist der Fetch ausreichend groß, um eine unangenehme Windsee gegen uns aufzuwiegeln. Auch von der kleinen Insel Ruhnu mit ihrem Leuchtturm von Gustave Eiffel, Estlands südlichstem Außenposten in der Bucht, sieht man im Osten nur eine dunkle Schraffierung über der wolkenverhangenen Kimm. Auch dort hatten wir eigentlich eine Nacht verbringen wollen.

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Zwar nimmt der Wind zwischenzeitlich etwas ab, springt aber noch einmal wieder auf, bevor wir das südliche Ende der Rigaer Bucht erreichen und die ersten Nadeln sichtbar werden, die zur Skyline von Riga gehören. Nicht direkt am Ufer. Das Zentrum der lettischen Hauptstadt und Millionenmetropole liegt rund zehn Kilometer landeinwärts am Fluss Düna. Auszumachen sind der futuristisch wirkende Funkturm, einige Bürohochhäuser und die eine oder andere große Kirche. Bald kommt der schwarz-weiße Leuchtturm an der Dünamündung dazu, ebenso Verladekräne. Viele Verladekräne.

Nach rund elf Stunden verlassen wir die Ostsee und laufen in den Fluss ein, der hier so imposant wie Elbe oder Rhein wirkt und dennoch oberhalb Rigas nur noch für wenige Kilometer durchgängig schiffbar ist. Die nächsten Stromkilometer jedoch reiht sich eine Industrieanlage an die nächste, Verladebrücken, Piers und Terminals. Kohleberge und große Kesseltanks. Bei Weitem nicht alles auf dem neuesten Stand der Technik, vieles aber eben doch. Gastanker, Bulker und Container liegen links und rechts, sogar gesegelt wird im Fahrwasser. Als wollte die Sonne uns für den tristen Tag entschädigen, gibt es jetzt sogar goldenes Licht zum Abschluss unseres Törns.

Lettland fühlt sich gut an

Wir folgen dem Tonnenstrich durch eine weite Biegung. Eine interessante Revierfahrt, bis sich die erste Brücke über den Fluss spannt. Auf dem Ostufer liegen der Fähranleger mit dem großen Schriftzug „Riga“ und unübersehbar dahinter die Altstadt. Fender raus und Leinen klar, dann laufen wir beim City Yacht Club ein, dessen Einfahrt sich auf der Insel Ķīpsala noch unterhalb der Brücke zwischen langen Leitdämmen befindet. Am Steg nimmt uns der junge Hafenmeister in Empfang. Nun aber los! Es ist schon neun Uhr abends, und nach einem Tag der Krümel haben wir wirklich Hunger. Zu Fuß marschieren wir in die Altstadt. Es hat stark geregnet; der wellige Beton auf der Vanšu-Brücke ist voller Pfützen. Lettland fühlt sich gut an!

Am anderen Ufer dann Jugendstil und Kopfsteinpflaster, sehr viel urbaner als Tallinn, eher wie Budapest oder Prag. Ältere Häuser mit Treppengiebeln und der Dom, Musterbeispiel der Backstein­gotik, gehören dagegen unverwechselbar zum Kulturkreis des südlichen Ostseeraums. Es wird schlagartig lebendiger, Restaurants und Bars überall – und Scharen jüngerer Menschen, dazu Touristen. Man hört viel Russisch. Wir landen im Steiku Haoss am Līvu laukums, einem der zentralen Plätze, und lassen die Gläser klirren. Der Törn ist vorbei – aber wenigstens haben wir morgen noch einen Tag für Riga, das uns schon hier und jetzt sehr gut gefällt ...


Service

Die Karte zeigt die Rigaer Bucht mit Estland, zu dem sämtliche Inseln gehören, im Norden und Lettland im Süden. Auf dem Ausschnitt mit dem Zentrum Rigas sind alle unten aufgeführten Orte zu finden | Karte: Christian TiedtDie Karte zeigt die Rigaer Bucht mit Estland, zu dem sämtliche Inseln gehören, im Norden und Lettland im Süden. Auf dem Ausschnitt mit dem Zentrum Rigas sind alle unten aufgeführten Orte zu finden | Karte: Christian Tiedt

1. City Yacht Club

Die Marina des Pilsētas jahtklubs mit ihren modernen Schwimmstegen könnte nicht besser gelegen sein für die Erkundung Rigas. Vom Boot hat man freie Sicht auf die Kulisse der Altstadt auf dem anderen Dünaufer, die keine zwei Kilometer entfernt ist. Taxis und öffentlicher Nahverkehr stehen ebenfalls zur Verfügung, ein Supermarkt zur Versorgung befindet sich in der Nähe (300 m). Strom, Wasser, Sanitär und WLAN sind vorhanden. Telefonische Reservierung in der Hauptsaison sinnvoll. Tel.: +371-2-919 69 43. www.pilsetasjahtklubs.lv

2. Die Altstadt

von Riga umfasst eine große Anzahl historischer Bauten der verschiedenen Epochen. Direkt am Fluss liegt das Rigaer Schloss (Rīgas pils), das im 14. Jahrhundert vom Livländischen Orden erbaut wurde und heute Sitz des lettischen Staatspräsidenten ist. Nicht weit entfernt sind die beiden mittelalterlichen, das Stadtbild prägenden Sakralbauten, zum einen der Rigaer Dom, zum anderen die Petrikirche. Beide sind prachtvolle Beispiele für die Backsteingotik des Ostseeraums zur Hansezeit. Ebenfalls aus jener Zeit stammt das Schwarzhäupterhaus am Rathausplatz, das zwar im Zweiten Weltkrieg zerstört, aber von 1993 bis 1999 in ganzer Pracht re­kons­truiert werden konnte. Bei den Namens-gebern handelte es sich um eine Gilde norddeutscher Kaufleute.

3. Basteiberg

Eingefasst wird die Altstadt vom Gelände der ehemaligen Wehranlagen Rigas (Bastejkalns). Im 19. Jahrhundert wurde das Gelände in eine Parkanlage umgestaltet, deren hügelige Landschaft mit verschlungenen Wegen und Bäumen viel Abstand zur Stadt schafft. Der Festungsgraben wurde zum Kanal erweitert. Nahe dem Freiheitsdenkmal starten und enden Ausflugsfahrten mit klassischen Kanalbooten, deren Route (inklusive Düna) einmal rund um die Altstadt führt. www.rigabycanal.lv

4. Freiheitsdenkmal

Als Verbindungsachse zwischen Altstadt und den neueren Stadtteilen durchquert der Freiheitsboulevard in gerader Linie die Parkanlagen. Hier erhebt sich das bereits 1935 während der ersten Unabhängigkeit Lettlands errichtete Freiheitsdenkmal (Brīvības piemineklis). Glücklicherweise ließen sowohl deutsche wie sowjetische Besatzer die 42 Meter hohe Struktur unangetastet. Die weibliche Figur an ihrer Spitze verkörpert mit selbstbewusstem Blick Freiheit und Selbstbestimmung, die drei goldenen Sterne in ihren Händen symbolisieren die drei historischen Regionen Lettlands.

5. Jugendstilviertel

Wie St.Peters­burg wurde auch Riga – das wie ganz Lettland am Übergang zum 20. Jahrhundert zum Zarenreich gehörte – vom Jugendstil geprägt. Viele pracht- und kunstvolle Beispiele sind erhalten geblieben, etwa in der Alberta Straße (Alberta iela), wo im Gebäude mit der Hausnummer 12 heute das Jugendstilzentrum (Jūgendstila centrs) untergebracht ist, das mit einer sehenswerten Ausstellung über die Bedeutung der Stilrichtung für die Stadtgeschichte informiert. www.jugendstils.riga.lv

6. Zentralmarkt

Wer erfahren will, was Lettland an kulinarischen Spezia­litäten zu bieten hat, sollte sich einen Besuch des Zentralmarkts (Centrāltirgus) nicht entgehen lassen. Sehen, staunen und probieren sind in den gewaltigen fünf Hallen Programm – etwa Sklandu Rauši (Karotten-Kartoffel-Torte), Hanfbutter (Brotaufstrich) oder Melnais balzams (Kräuterlikör). www.rct.lv

7. Die Düna

ist eindrucksvoll: Als Dwina entspringt sie in Russland und durchquert Weißrussland, bevor sie nach 1020 Kilometern als Daugava in die Ostsee mündet – immerhin Platz elf unter den längsten Flüssen Europas. Von wirtschaftlicher Bedeutung als Wasserstraße ist allerdings nur der unterste Abschnitt als Zubringer Rigas. Zwar ist sie über weite Strecken (besonders in Weißrussland) auch von größeren Fahrzeugen nutzbar, eine Anzahl von Staumauern mit Kraftwerken, aber ohne Schleusen haben jedoch die durchgän­gige Schiffbarkeit unterbrochen. Der erste Stausee (mit Abdammung) beginnt bereits 30 km oberhalb der Dünamündung.

Literatur

Küstenhandbuch „Ostsee. Deutschland, Dänemark, Schweden, Finnland, Russland, Baltikum, Polen“ (ersch. Sept. 2020). 480 S., 380 Abb., geb.; 69,90 €. ISBN 978-3-667-11846-2. www.delius-klasing.de

Seekarten „NV. Atlas Serie 6 – Polen – Litauen – Lettland“. Atlas (geheftet), 11 Übersegler, 6 Revier- und 27 Detailkarten; 89,80 €. www.nvcharts.com

Hafenführer „East Baltic Coast. Sail in Estonia and Latvia“. 168 S., Pläne und Abb., spiralgebunden. ISBN 978-9934-8816-8-8. Kostenloser Download: www.eastbaltic.eu

Hintergründe „Die Ostsee: Raum – Kultur – Geschichte“ von Martin Krieger. 296 S., 65 Abb., 7 Karten, geb.; 39 €. ISBN: 978-3-15-011206-9. www.reclam.shop

Reiseführer „Citytrip Riga“ von Martin Brand und Robert Kalimullin. 144 S., zahlr. Abb., Faltkarte, broschiert.; 12,95 €. ISBN: 978-3-8317-3311-8. www.reise-know-how.de

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Unser Boot

Trader 42 (GFK-Halbgleiter) · Länge: 13,30 m · Breite: 4,30 m · Höhe: 3,80 m · Tief­gang: 1,20 m · Kojen: 6 (3 Doppel­kabinen) · WC/Dusche: 2/2 · CE-Kategorie: A · Motorisierung: 2 x 380 PS (Diesel) · Ausstattung: UKW-Funkanlage, Autopilot, Plotter mit Radar und AIS, Generator, EPIRB, Bugstrahlruder, Dingi

Der Club

Auf diesem Törn waren wir mit dem Cruising Club der Schweiz (CCS) unterwegs. Der in Bern ansässige Zentralclub gehört mit rund 6500 Mitgliedern zu den größten Wassersport-vereinen der Schweiz und nimmt bei der Hochseeausbildung eine Führungsposition in der Sportschifffahrt ein. Im Verein bildet die Motorbootabteilung mit ihrer eigenen Yacht, die für Ausbildungs- und Reisetörns in Nord- und Westeuropa eingesetzt wird, eine eigene Untersparte. www.ccs-motoryacht.ch

Nautische Informationen

Die Rigaer Bucht (lettisch: Rīgas jūras līcis, estnisch: Liivi laht) wird im Norden durch die estnische Insel Saaremaa und im Westen durch die zu Lettland gehörende Halbinsel Kurland (Kurzeme) von der offenen Ostsee getrennt. Die Irbenstraße (Irbes jūras šaurums) zwischen der Halbinsel Sääre auf Saaremaa und der Nordküste Kurlands bildet den wichtigsten Zugang für die Schifffahrt zur Rigaer Bucht. Im Norden besteht über den deutlich flacheren Moonsund eine weitere Verbindung.

Bei einer Fläche von rund 16 000 km² (entspricht in etwa der Größe Schleswig-Holsteins) beträgt die größte Länge in Nord-Süd-Richtung rund 170 km, in West-Ost-Richtung 130 km. Die durchschnittliche Tiefe liegt bei 26 m. Anrainer sind die EU-Mitglieder Estland und Lettland; bei der Einreise aus einem anderen Schengen-Staat ist keine Einklarierung nötig. Sowohl auf estnischer wie auf lettischer Seite gibt es eine Reihe von Städten und Orten mit Häfen, die auch für Sportboote geeignet sind und deren Steganlagen häufig modern sind. Größere Häfen sind neben Riga noch Jūrmala und auf estnischer Seite Kuressaare und Pärnu. Die drei Inseln in der Rigaer Bucht, Abruka, Ruhnu und Kihnu, gehören ebenfalls alle zu Estland und verfügen über Sportanleger.


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