ReportageDeutschland - Berliner Gewässer

Unbekannt

 · 15.09.2020

Reportage: Deutschland - Berliner GewässerFoto: Bodo Müller

Früher verlief hier die nasse Mauer: Viele Wasserstraßen durchqueren Berlin. Wo heute Boote fahren, trennte einst die nahezu unüberwindbare Grenze auch hier die Stadt. Ein Chartertörn auf Spurensuche

Wie selbstverständlich verkehren heute Motorboote über Spree, Landwehrkanal, Britzer Verbindungskanal und Teltowkanal von Ost- nach West-Berlin und umgekehrt. Über die kaum wahrnehmbaren Berliner Stadtgrenzen hinaus fahren die Boote zu den seenreichen Revieren um Köpenick oder westlich der Hauptstadt über Potsdam hinaus in die Regionen der Unteren Havel.

Am 3. Oktober vor 30 Jahren wurde Deutschland wieder­vereinigt. Für die Bootsfahrer aus Ost- und West-Berlin sowie dem umliegenden Brandenburg ist das ein besonderer Grund zum Feiern: Sie haben eines der schönsten Wassersportreviere Europas gewonnen. 28 Jahre lang – vom Mauerbau 1961 bis zum Mauerfall 1989 – gab es in Berlin keine Freiheit auf dem Wasser, weder im Osten noch im Westen. Die Wasserstraßen der geteilten Stadt führten vom sowjetischen Sektor in die Sektoren der Westmächte USA, Großbritannien und Frankreich. Am
13. August 1961 versuchten die DDR-Machthaber, die Massenflucht der eigenen Bevölkerung zu stoppen, und riegelten die Grenzen nach West-Berlin ab. Alle Wasserstraßen wurden im grenz­nahen Bereich mit Mauer-Korridoren eingepfercht und mit Sperren abgeriegelt. Wo einst Boote fuhren, errichtete das SED-Regime die damals teuerste und gefähr­lichste Grenze der Welt. Jeder Versuch, sie illegal zu über­winden, war lebensgefährlich.
Wie sahen die Bootsreviere der Ost- bzw. West-Berliner während der 28 Mauer-Jahre aus?

  Drohnen-Blick aus NW auf die einstigen Sperranlagen am Nieder Neuendorfer SeeFoto: Bodo Müller
Drohnen-Blick aus NW auf die einstigen Sperranlagen am Nieder Neuendorfer See

Das Seenland im Südosten Berlins, also Müggelsee, Dahme, Storkower Gewässer bis hin zum Scharmützelsee, gehörte zur DDR. Wollte ein Ost-Berliner Bootsfahrer jedoch auf der Spree in Richtung Stadtzentrum fahren, war die Welt sehr schnell zu Ende. Bereits in Köpenick war die Zufahrt von der Dahme in den Teltowkanal, der nach West-Berlin führt, versperrt, zugeschüttet und vergittert. Ebenso gesperrt war in Treptow der Abzweig von der Spree in den Britzer Zweigkanal, da die Sektorengrenze durch den Kanal lief.

Spreeabwärts in Richtung Stadtmitte durften DDR-Bootsfahrer nur bis zur Elsenbrücke (Stralauer Brücke) in Treptow fahren, wo noch heute die Weiße Flotte liegt. Weiterfahrt für Sportboote strengstens verboten! Hinter der Brücke folgt der Osthafen. Der Hafen gehörte zur DDR, auch die Spree in voller Breite. Doch das jenseitige Ufer gehörte zu West-Berlin. Der gesamte Osthafen war darum mit einer Mauer abgeriegelt. Grenzgebiet! Zutritt nur mit Passierschein.

Mehr Informationen? Die Reportage über Berlins Wasserwege mit weiteren Fotos, historischen Details und Reisehintergründen finden Sie in BOOTE-Ausgabe 10/2020 ab 16.09.2020 am Kiosk oder online im Delius-Klasing-Shop.

Mehr als 28 Jahre lang sah man darum in Berlin-Mitte (DDR) nie ein Sportboot auf der Spree. Abgeschottet waren auch die Bootsreviere von Potsdam in Richtung West-Berlin. Wollte ein DDR-Motorbootfahrer von Köpenick nach Potsdam fahren, dann hatte er ein Problem. Der direkte Weg über den Teltowkanal (37,8 km) schied aus, da er durch West-Berlin führte. Auch Landwehrkanal oder Spree führten durch den Westen – keine Chance! Was machte der erfinderische Ossi? Nein, Trailern kam nicht infrage, da man keinen Bootstrailer kaufen konnte. Der schnellste Wasserweg von Berlin nach Potsdam führte über Polen. Ein Motorboot unter der Flagge des "Arbeiter-und-Bauern-Staats" musste über die Spree-Oder-Wasserstraße bis Eisenhüttenstadt fahren, dann die Oder bergab bis Hohensaaten, von dort nur noch über Havel-Oder-Wasserstraße, Havelkanal und Untere Havel-Wasserstraße und war – schwuppdiwupp – schon nach einer Woche Fahrtzeit und 325 Kilometern auf der Logge von Berlin nach Potsdam gereist. Dieser Törn war aber nie selbstverständlich. Er hing vom Klima ab. Einerseits vom meteorologischen, denn die Oder führte nicht immer genügend Wasser, andererseits vom politischen, denn die Brudervölker DDR und Polen waren nur ziemlich beste Freunde.

In den 28 Mauer-Jahren gab es nur zwei Sportboote, die auf der Spree durch Berlin-Mitte fuhren: Ende der 70er-Jahre sollte die DDR-Segelyacht "Berliner Bär" von der Küste zurück zur Betriebssportgemeinschaft Chemie Erkner überführt werden. Mit zwei Meter Tiefgang schaffte es die Yacht nicht, die Oder bis Eisenhüttenstadt hochzufahren. Sie musste in Hohensaaten in die Havel-Oder-Wasserstraße einlaufen. In Hennigsdorf, kurz vor der Grenze nach West-Berlin, wurde die Yacht an ein DDR-Binnenschiff längs vertäut und durch den Westsektor geschleppt. Die Crew musste selbstverständlich vor der Transitfahrt durch den "Klassenfeind" von Bord.

  Die neue Mitte: Marie-Elisabeth-Lüders-Steg, Paul-Löbe-Haus, ReichstagFoto: Bodo Müller
Die neue Mitte: Marie-Elisabeth-Lüders-Steg, Paul-Löbe-Haus, Reichstag

Das zweite Boot, das durch Berlin fuhr, war die Motoryacht "Petra" des DDR-Komponisten und Jazzmusikers Günther Fischer. Als internationaler Star und Devisenbringer besaß Fischer einen unbegrenzt gültigen Pass. Im September 1976 fuhr er nach seinem Dänemark-Törn allein mit der Yacht die Elbe bergauf und über die Havel nach Berlin. Um zu seinem Liegeplatz an der Dahme zu gelangen, schipperte er durch West-Berlin und verfuhr sich gnadenlos. Die West-Wasserschutz­polizei geleitete ihn schließlich zur Zonengrenze. Im Januar 1993 entlarvte das Nachrichtenmagazin Spiegel den Musiker als Stasi-IM.

Und wie sah die Welt für die West-Berliner Bootsfahrer aus? Ihr Revier zwischen Nieder Neuendorfer See im Norden und Glie­ni­cker Brücke im Süden war überschaubar. Jeder grenz­über­schrei­ten­de Bootsverkehr nach Brandenburg oder Ost-Berlin war verboten. Auf den Wasserstraßen warnten Schilder und Bojen vor der Sektorengrenze. Der Anblick der martia­lischen Mauer sowie der mit Kalaschnikows bewaffneten Soldaten auf Wachbooten und Grenztürmen war abschreckend. Die Seen der DDR waren für West-Berliner Bootsfahrer weiter entfernt als der Titicacasee.

Wollte ein West-Berliner Skipper mit seinem Boot ein anderes Revier befahren, musste er es verladen. Der Frachter "Heimatland" transportierte Sportboote als Decksladung im Transit durch die DDR nach Lauenburg. Von dort konnten sie auf eigenem Kiel via Elbe-Lübeck-Kanal nach Travemünde schippern. Bis zu sechs Sportboote hingen zuweilen im Schlepp an der "Heimatland". Übernachten durfte der Verband nur an bestimmten Plätzen, die von der DDR-Wasserschutzpolizei gesichert waren, damit sich kein Ostdeutscher dem Schleppverband näherte. Zeitweise fuhr die "Heimatland" auch nach Stettin.

In unserem Rückblick auf der nächsten Seite zeigen wir vier Brennpunkte der einst geteilten Wasserwege Berlins. Die Geschichten, die sich dort ereigneten, zeugen von unglaublichem Mut und der ungebrochenen Sehnsucht nach einem Leben in Freiheit.

Mehr Informationen? Die Reportage über Berlins Wasserwege mit weiteren Fotos, historischen Details und Reisehintergründen finden Sie in BOOTE-Ausgabe 10/2020 ab 16.09.2020 am Kiosk oder online im Delius-Klasing-Shop.

Nieder Neuendorfer See/Havelkanal

1951/52 baute die DDR in nur 13 Monaten den 34,9 km langen Havelkanal, damit die Schiffe des Arbeiter-und-Bauern-Staats nicht mehr durch West-Berlin fahren mussten. Der Kanal zweigt nordwestlich der Stadtgrenze von Berlin aus der Havel-Oder-Wasserstraße (HOW) ab, führt um West-Berlin herum und mündet östlich von Potsdam in die Untere Havel-Wasserstraße (UHW). Nach der Grenzschließung 1961 wurde dieses Wasserstraßen-Dreieck zum neuralgischen Punkt. Denn die HOW kommt aus West-Berlin. Das Dreieck tangiert den Nieder Neuendorfer See, durch den die Grenze verlief.

Nachdem das DDR-Fahrgastschiff "Deutschland" an dieser Stelle die Grenze durchbrochen hatte, ließ die SED-Führung einen schmalen Korridor für die grenzüberschreitende Schifffahrt nach West-Berlin errichten. Dazu versenkte sie Schuten mit Bauschutt. Der Korridor wiederum war durch eine begehbare Ponton-Barriere abgeriegelt, unter der Stahlnetze hingen. Im Korridor war der Anleger der Grenzübergangsstelle. Erst wenn Schiff und Crew freigegeben waren, wurde für Minuten eine Lücke in der Barriere geöffnet. DDR-Sportboote, die zum Beispiel von Potsdam nach Mecklenburg fuhren, durften diesen neuralgischen Punkt ab einer Stunde nach Sonnenaufgang bis eine Stunde vor Sonnenuntergang passieren. Dabei mussten sie am DDR-seitigen Ufer fahren und wurden von einem Polizeiboot gesichert. Das gesamte Umfeld des Wasserstraßen-Dreiecks war kilometerweit durch Mauern, Streckmetallzäune, Signalanlagen, Hundelaufanlagen und Wachtürme gesichert.

Berlin-Mitte

Nirgendwo auf der Welt war eine Wasserstraße so hermetisch abgeriegelt wie die Spree in Berlin-Mitte. Sie floss durch das Epizentrum des Kalten Kriegs vom sowjetischen in den britischen Sektor. Damit kein DDR-Bürger in Grenznähe an den Fluss herankommt, wurden westwärts vom S-Bahnhof Friedrichstraße die Ufer hermetisch abgeriegelt. Auf der Spree patrouillierten die Boote der Grenztruppen. Lediglich die Frachtschiffe des VEB Deutsche Binnenreederei durften im Transit durch West-Berlin fahren. Dazu mussten Kapitän und Crew das Schiff verlassen. Eine Besatzung aus Parteigenossen und Stasi-Mitarbeitern steuerte das Frachtschiff durch das Hoheitsgebiet der West-Alliierten. Erst in Potsdam oder Hennigsdorf durfte die Stammcrew wieder an Bord.

Berlin-Friedrichshain/Treptow

Zwischen Elsenbrücke und Schillingbrücke war die Spree Grenzgewässer. Das Wasser gehörte in voller Breite zur DDR, das West­ufer zum amerikanischen Sektor. Der noch in der DDR gelegene Osthafen war mit einer Grenzmauer umgeben, die heute als East Side Gallery weltbekannt ist. In den Osthafen durften nur handverlesene Arbeiter mit speziellem Ausweis. Man hätte ja im Hafen ins Wasser springen und in die Freiheit schwimmen können. Der gesamte Osthafen war überwacht. Auf dem Wasser patrouillierten die weiß-grünen Boote der Wasserschutzpolizei und die grauen der Grenztruppen. Die Polizei fuhr mit DDR-Motoren, die Boote der Grenztruppen mit je zwei Aquamatic-Z-Antrieben von Volvo Penta. Aufgrund der Leistung und Wendigkeit hätten die Grenzboote jeden Fluchtversuch eines Polizeiboots vereiteln können. Erst in den Achtzigern erfuhr Volvo, dass mit seinen Antrieben Jagd auf Menschen gemacht wird. Fortan lieferte Schweden keine Ersatzteile mehr nach Ost-Berlin.

Potsdam

Durch das Wasserstraßen-Kreuz im Nordosten Potsdams verlief die Grenze nach West-Berlin. Von Potsdam kommend, durften Sportboote bis in den südlichen Teil des Tiefer See fahren. In dessen Mitte lagen Sperrtonnen, obwohl die Grenze erst einen Kilometer weiter nördlich durch die Glienicker Lake verlief. Damit kein Sportboot bis dahin durchbrechen konnte, riegelte an der Babelsberger Enge eine Pontonbrücke die Wasserstraße ab, darunter hing ein Stahlnetz.

  Die Glienicker Brücke in Potsdam war Schauplatz spektakulärer Austausche von Agenten beider MilitärblöckeFoto: Bodo Müller
Die Glienicker Brücke in Potsdam war Schauplatz spektakulärer Austausche von Agenten beider Militärblöcke

Auf dem Sacrow-Paretzer-Kanal endete für DDR-Bootsfahrer die Fahrt im Ort Nedlitz, die Weiterfahrt zum Jungfernsee war gesperrt. An dessen natürlicher Einengung bei km 18,5 lag die Grenzkontrollstelle für DDR-Schiffe im Transit durch West-Berlin sowie für westdeutsche und West-Berliner Binnenschiffe. Kein Unbefugter kam an diesen Bereich heran. Die Ufer davor und danach waren mit Mauern und Sperranlagen unzugänglich gemacht. Die Wassersperre bestand aus Pontons mit anhängenden Stahlnetzen, die nur bei einer genehmigten Schiffsdurchfahrt geöffnet wurden.

Hier lagen auch die Boote der DDR-Wasserschutzpolizei und der Grenztruppen. Nur von der Stasi überprüfte Polizisten durften "feindseitig", also jenseits der Sperranlagen, auf Streife fahren. Sie mussten in der Partei sein und Familie haben. An Bord waren sie zu dritt, um sich gegenseitig zu überwachen.

Für Bootsfahrer aus West-Berlin war der Grenzverlauf bei Potsdam eine Herausforderung. Ab Höhe Pfauen­insel verlief die Grenze mittig durch die Unterhavel und war mit Tonnen markiert. Mutige Skipper wagten sich weiter südwärts bis zum Jungfernsee, wo die Grenze unter der Glie­nicker Brücke verlief. Wer dann besonders dreist war, schipperte frech in die schmale Glie­nicker Lake hinein, durch deren Mitte die Grenze verlief.

BOOTE-Mitarbeiter Jürgen Straßburger, der hier in den Achtzigern segelte, erinnert sich: "Wenn wir gegen den Wind aufkreuzten und dabei die gedachte Linie zwischen den Grenztonnen berührten, kam eine klare Lautsprecheransage vom Wachboot oder Turm: ‚Verlassen Sie sofort das Hoheitsgebiet der Deutschen Demokratischen Republik!‘"