Alexander Worms
· 18.06.2021
Ein kleiner Meer im Binnenland: Das Veerse Meer im Südwesten der Niederlande gehörte früher ganz zur Nordsee – bis man die beiden trennte. Inzwischen sind sie wieder vereint. Zumindest ein bisschen
Es ist das Salzwasser, das hier den Unterschied macht. Ein Binnengewässer, das schmeckt wie die offene See! Salzwasser hat auch einen anderen, lebendigeren Geruch. Mehr Spaß beim Schwimmen macht es auch, irgendwie. Dazu rauscht die Heckwelle so richtig, wenn man hindurchfährt. Es fühlt sich an wie echtes Meer!
Das war lange nicht so: Nachdem das Veerse Meer, ein ehedem zur Nordsee offener Meeresarm, im Rahmen des Deltaprojekts zum Schutz vor Sturmfluten 1961 als eine der ersten Maßnahmen von der See abgetrennt worden war, verbrackte sein Wasser; die Qualität ging rapide zurück. Erst seit 2004 gibt es wieder eine kleine – wenn auch indirekte Verbindung – zur Nordsee: Ein Prieltor im Zandkreekdam zur benachbarten Oosterschelde beschert dem Revier rund zehn Zentimeter Tidenhub. Das reicht: Das Wasser ist wieder klar, und der Fischbestand erholt sich.
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Und dann ist da die Vielfalt des Reviers! Auch sie begeistert für das Kleinod im Süden der Niederlande. Ruhige Liegeplätze – wenn auch nur in der Nebensaison – auf einer der 13 Inseln inmitten herrlicher Natur. Ankern, wo immer man möchte. Dazu liebenswerte Städte wie Veere oder Middelburg. Selbst ein Tag am Strand ist kein Problem, einer der schönsten des ganzen Landes wartet gleich hinter dem Veerse Gatdam – Anlegesteg auf dem Binnenmeer inklusive.
Hervorragend essen gehen kann man ebenfalls. Das Restaurant Meliefste in Wolphaartsdijk hat zum Beispiel gerade einen Michelin-Stern erhalten. Die Nachbarn vom Den Baas en zijn Madame trumpfen hingegen mit jeder Menge Gemütlichkeit auf. Gegenüber, in Kortgene, isst man wiederum in De Houtzaagwerf, einem alten Holzsägewerk – außergewöhnlich! Und in Veere geht es kulinarisch in alle Richtungen: italienisch, schick, gutbürgerlich. Dabei ist die Küche mit ihrem burgundischen Touch hier immer irgendwie besonders. Die Nähe zu Belgien und Frankreich ist auf der Zunge spürbar – kein Vergleich mit der mitunter langweiligen Aufwärmgastronomie, die man in den Niederlanden schon mal antreffen kann.
Auch in navigatorischer Hinsicht ist das Veerse Meer für Überraschungen gut. Zwar gibt es keine Wellen und kaum Strömung wie auf Ooster- und Westerschelde oder erst recht auf der Nordsee. Wer die zusätzlich sucht, dem sei eine komplette Runde um Walcheren empfohlen. Die ist an einem Wochenende leicht zu schaffen. Muss aber nicht sein, auch das kleine Veerse Meer fordert mitunter heraus: Weht es nämlich aus Westen, erlebt man nach Passieren der Schleuse im Zandkreekdam auf der Weiterfahrt eine Besonderheit. Denn obwohl die Ufer flach sind, dreht der Wind mit dem mäandernden Verlauf des Gewässers mit. Bis zum großen Knick bei Arnemuiden heißt das, es weht meist direkt von vorn. Segler müssen also kreuzen und verdienen daher bei der Begegnung besondere Aufmerksamkeit. Erschwerend kommt dabei nicht nur sie hinzu, dass das Fahrwasser gern mal eng ist. Außerhalb deuten rot- und grün-weiß gestreifte Tonnen die 1,50-Meter-Linie an. Dahinter stehen selbst die Möwen schon auf festem Grund.
Weiter westlich auf dem Weg nach Veere stören dann Bäume und Sträucher den Wind. Und sollten die Verhältnisse doch einmal zu ungemütlich werden: Die nächste Möglichkeit, sich zu verstecken, ist meist keine Seemeile entfernt. So zahlreich sind die kleinen Schutzhäfen, Inseln, Anlegestege oder Ankerplätze im Revier. Das macht zugleich den nächsten Aspekt der Faszination des Veerse Meer aus: Man ist mittendrin in einer Urlaubsdestination.
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Auswärtige Crews nehmen mitunter lange Anreisen in Kauf, um dorthin zu gelangen, wo andere ihren Heimathafen haben. Für Letztere hingegen stellt sich die Frage: Wo soll man hin, wenn es daheim so offensichtlich am schönsten ist? Also beschränken sich nicht wenige ansässige Skipper darauf, insbesondere an heißen Sommerwochenenden, die Etappen kurz zu halten, um dann ausgiebig zu ankern, zu baden, zu chillen. Langweilig wird das nie. Zumal es immer etwas zu sehen gibt: andere Boote, mitunter ein verirrtes Berufsschiff, Segelschulen oder Vögel.
Am Nachmittag macht man sich dann auf nach Veere. Natürlich gilt der erste Anlegeversuch dem Stadthafen. Ist dort noch ein Plätzchen frei, geht es zunächst auf die Terrasse des Segelclubs. Von dort schweift der Blick über den breiten Teil der ehemaligen Meeresbucht bis hin zum Damm. Es kommen Schiffe in den Hafen, wenden, legen an. Andere fahren hinaus. Auf der Straße zwischen Stadthuis und Grote Kerk drängen sich die Touristen. Es duftet nach Waffeln und Zeeuwse Babbelaars, den typischen Bonbons, die an Marktständen angeboten werden.
Später am Abend, wenn die Tagesgäste allmählich rar werden, lohnt es, dann selbst zum Bummel durch die Gässchen und Höfe der Stadt aufzubrechen. Man passiert altes Mauerwerk und gepflegte Gärten. Der Reichtum, den der Tuchhandel mit England dem stolzen Ort im 16. Jahrhundert bescherte, ist noch heute an vielen Ecken sichtbar.
Auch der Fischfang sowie die Nähe zu Middelburg, einem ehemaligen Stützpunkt der Ostindien-Kompanie, trugen dazu bei, einen gewissen Wohlstand zu schaffen. Der manifestiert sich unübersehbar in einer fast schon grotesk groß anmutenden gotischen Liebfrauenkirche, Grote Kerk genannt. Nach Anmeldung kann man sie besichtigen: Die Niederländer haben ein multimediales Erlebnis daraus gemacht. Absolut sehenswert. Zum Essen geht es anschließend ins 1611, ein italienisches Restaurant mit besonderer Einrichtung und kleinem Innenhof. Sehr gemütlich!
Der Abend klingt aus im Yachtclub in Veere, wo zu späterer Stunde an der Bar immer was los ist. Meist ist das Publikum recht international.
Neuer Tag, neues Ziel: Wer noch nicht genug hat von den hübschen Städten Zeelands, der fährt eine knappe Stunde auf dem Kanaal door Walcheren nach Middelburg. Die Provinzhauptstadt hat einen weitverzweigten Yachthafen, der von einer resoluten Hafenmeisterin orchestriert wird, die obendrein mehrere Brücken bedient. Da kann es sich vor der alten Hubdrehbrücke schon mal knubbeln. Ein Platz findet sich aber fast immer, und alles geht entspannt vonstatten.
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Die Stadt ist nur wenige Meter entfernt. Auch sie strahlt den Wohlstand des goldenen Jahrhunderts aus. Rathaus, Abtei und zahlreiche Plätze sind opulent gestaltet. Auch das Shopping-Vergnügen kommt in Middelburg nicht zu kurz.
Weiter führt der Törn entweder in einer minutiös getakteten Kanalfahrt Richtung Vlissingen und von dort vielleicht nach Belgien, Frankreich oder England. Oder aber der Bug richtet sich zurück ins beschauliche Delta, zum entspannten Kreuzen auf dem Veerse Meer oder auch der Oosterschelde, die wieder mit Gezeiten und Strömungen aufwartet. Womit sich der Kreis schließt.