Die Schleuse öffnet das Tor zu einem Binnen-Idyll. Gerade noch bestimmten Salzluft, Wind, Welle und Weite die Fahrt, nun Ruhe, Wald und Deich. Schon in der Schleuse wanderten die Jacken an den Haken. Denn hier herrscht Behaglichkeit und gefühlt zehn Grad mehr Wärme als an der deutschen Nordseeküste üblich. Bei der Ansteuerung von Wilhelmshaven aus konnten wir uns an den Kränen des Jade-Weser-Ports, hohen Schornsteinen und dem LNG-Terminal am Kopf einer langen Seebrücke orientieren, einer krass andersartigen, industriellen Kulisse.
Aber dann bogen wir nach Backbord ab, in den Vorhafen von Hooksiel und die Schleuse in eine andere Welt. Eine gute halbe Stunde tuckern wir nun durch das Binnentief, das hier alle kurz „Hooksmeer“ nennen, zum Alten Hafen im kleinen Örtchen Hooksiel. Wir passieren an Steuerbord eine Werft, eine Wasserski-Anlage, eine Surfschule und drei Sportboothäfen. An Backbord nichts als Wald, Schilf und im enger werdenden Fahrwasser, fast zum Greifen nahe, Schafe auf den Deichen. Im Alten Hafen am Ende des Hooksmeers liegen Sportboote und ein Plattbodenschiff am Steg unterhalb historischer Packhäuser aus dem frühen 19. Jahrhundert. Diese zeugen von einstigem Wohlstand durch Seehandel, Krabben- und Fischfang. An ihren Mauern zeigen Markierungen die historischen Hochwasserstände in Zeiten, als der kleine Sielort noch schutzlos den Nordseefluten ausgeliefert war.
Wir sind in Friesland, und nicht allein der Name der Region erinnert an die niederländischen Nachbarn im Westen. Wie es gelingen kann, dem Meer durch Deiche und Polder Land und Binnengewässer abzuringen, haben sie im großen Stil vorgemacht. In Hooksiel und Umgebung tat man es ihnen in den Siebzigerjahren nach. Zuvor führte ein Priel zu dem alten, einst für den Handel und die Fischerei bedeutsamen Hafen, in dem 1967 die ersten Sportboote in einem Schlickloch heimisch wurden.
Früher bestimmten noch die Gezeiten über Ruhe und Geschäftigkeit. Heute geben im Großen die Jahreszeiten, im Kleinen das Wetter den Takt vor. An einem sonnigen Samstag im Mai sitzen vor dem Packhaus Gäste des gleichnamigen Gastronomiebetriebs mit einem Drink unter Sonnenschirmen, andere flanieren. Sie alle blicken auf das Geschehen auf den Booten im Alten Hafen hinab: Bordleben auf einem hübsch umrahmten Präsentierteller. Der Liegeplatz für eine Nacht ist in der Schleusengebühr enthalten; diesen Service bezahlt man mit weitestgehendem Verzicht auf ein Privatleben an Deck.
Ein Bummel durch den kleinen Ort scheint da die bessere Option: Fischrestaurants wechseln sich mit Eisdielen, Cafés, typischen Souvenirläden und Shops mit maritimer Kleidung ab, gelber Friesennerz inklusive. Die Betriebe stecken in kleinen, alten und liebevoll restaurierten Häusern, die einst Fischer, Kapitäne oder Handwerker beherbergten. Das auffälligste ist wohl das reich verzierte ehemalige Rathaus, auf dessen Dach ein Zwiebelturm mit einer goldglänzenden Windfahne prangt – das Geschenk eines britischen Kapitäns von 1760 als Dank für die Reparatur seines Schiffes in der Hooksieler Werft. U nter dem gekrönten Dach drückt heute ein kleiner Junge seine Nase an das Fenster des Muschelmuseums und bestaunt die Exponate aus aller Welt. Im Künstlerhaus nebenan zeigen Maler aus der Region ihre Kunst. Vor den Häusern erzählen Hinweistafeln die Geschichte des Ortes. Übersichtlich ist der alte Ortskern.
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Mit jedem Schritt hinaus wird die Umgebung ein wenig zweckmäßiger und rustikaler. Norddeutsche Handfestigkeit anstelle des mondänen Schicks eines Seebads, wie wir es von der Ostsee oder mancher Nordseeinsel kennen. Unter all den Restaurants fällt die Auswahl für das Abendessen nicht leicht, aber schließlich entscheidet die Optik. In einem niedrigen, historischen Häuschen mit roten Klinkern, einem Giebel aus grünem Holz und ebensolchen Türen steckt die „Alte Schneiderei“.
Das Drinnen hält, was das Draußen verspricht. Unter der Balkendecke stehen massive Holzmöbel und ein Tresen mit den typischen blauweißen Friesischen Fliesen. Originale Behaglichkeit ohne piefigen Muff. Auch die Küche zieht mit. Pausenlos finden Suppen, opulente Fischplatten, traditionelle Speisen und jede Menge Bratkartoffeln ihren Weg an die Tische. Für den kleineren Hunger oder Geldbeutel gibt es auch Fischbrötchen und Snacks, nachmittags Kaffee und Kuchen oder eine gemütliche Teetied in familiärer Atmosphäre.
Zurück im Alten Hafen beschallt ein allein reisender Skipper, mit einem Bier im Cockpit sitzend, das Hafenbecken mit lauten Shantys vom Band. Die Nachbarlieger versichern, dass das nicht immer so sei. Sie kommen aus Wilhelmshaven und verbringen gern und oft einen Wochenendabend im betulichen Sielort. Tatsächlich kehrt nach Sonnenuntergang Ruhe ein. Der Solosegler hat sich in seine Koje verkrochen, einzelne Flaneure ziehen auf dem Weg in ihre Ferienwohnung oder zum Campingplatz vorbei.
Am nächsten Morgen ist die Gratis-Liegezeit rum, das Hooksmeer und sein Umland sind aber noch nicht vollständig erkundet. In der Marina Hooksiel sollten Liegeplätze frei sein, hat am Vortag der Schleusenmeister versichert. Dichtes Gedränge im Päckchen tut tatsächlich nicht not, nicht einmal lange Irrfahrten durch enge Boxengassen. Einige der etwa 700 Liegeplätze sind frei. Die Auswahl fiele schwer, würde nicht bereits jemand am Steg freundlich winken, die Leinen entgegennehmen und mit einer Menge guter Tipps für das Revier schon mal die erwartbaren Fragen der Gäste beantworten.
Dass einige Gastlieger-Boxen frei sind, wundert zunächst nicht, gilt doch das Befahren des Gezeitenreviers als Königsklasse für Sportbootfahrer, anspruchsvoller als Kanäle oder Flüsse, als Ostsee oder Mittelmeer. Immerhin kann das Wetter unbeständig sein und oft eine Schippe mehr Wind als gewünscht im Gepäck haben, können Gezeiten die Törnplanung diktieren.
Und doch hat sich draußen auf der Jade gezeigt: Die Wechselhaftigkeit in der Atmosphäre bedeutet eben auch, dass es selten dauerhaft schlecht bleibt. So haben die Nordsee an sich wie die Jade im Besonderen viele Gesichter. Ruppig können sie werden, wenn sechs Beaufort oder mehr gegen Strom stehen. Kurze, steile Wellen erzeugt dieser Kampf der Elemente. Spielen Wind und See hingegen zusammen, gleitet man geschwind auf glattem Wasser dahin. Schweinswale haben hier ihr Zuhause und umspielen gelegentlich das Boot. Auf den Sandbänken liegen bei Ebbe Robben träge in der Sonne. Wattwanderer scheinen bisweilen so nah, dass der Blick besorgt aufs Echolot fällt.
Doch das Spiel mit den Gezeiten kann zum Vergnügen werden, wenn man sich ihrer bedient. Von Wilhelmshaven mit dem ablaufenden Wasser Richtung Hooksiel zeigt die Logge schon mal gut und gerne zwei Knoten mehr Fahrt über Grund als durch das Wasser. Gratisschub der Elemente – das Ergebnis einer Törnplanung schon im Frühjahr mit viel Vorfreude.
Benno Wiemeyer, ehemals Vorstand des Landesverbands Motorbootsport Niedersachsen, ist auch so etwas wie der Gezeitenrevier-Botschafter des Landes. Er hat viele gute Tipps parat und empfiehlt Hooksiel sehr. „Das ist für mich eine der schönsten Stellen da oben. Alles ist noch so ein bisschen altertümlich. Klar, Tourismus gibt es dort auch, aber das hält sich alles noch in Grenzen. Wenn man so will, spiegelt Hooksiel ein richtig schönes altes Fischerdorf wider.“
Und nicht nur das – es ist auch ein optimaler Zwischenstopp auf dem Weg nach Bremerhaven oder zu den Ostfriesischen Inseln. „Wenn wir oben zu den Inseln wollen, ist der erste Anlaufpunkt Hooksiel. Gerade wenn man das erste Mal in das Gezeitenrevier fährt, ist das optimal, denn die Etappen sind nicht sehr lang und gut zu bewerkstelligen, auch wenn das Wetter mal nicht so ganz ideal ist“, erzählt er.
Ganz anders auf der anderen Seite im Westen: Wer seinen Inseltörn auf Borkum beginnt, muss schon mal 50 Kilometer in einem Stück fahren. Auch für den Weg nach Bremerhaven ist der Sielort der optimale Ausgangspunkt, schiebt doch der Flutstrom das Boot kommod über den Hohen Weg, das Wattfahrwasser zwischen Jade und Weser. Selbst Helgoland lässt sich von hier aus bei gutem Wetter in wenigen Stunden erreichen.
Vielleicht sind es dann doch eher diese guten Törnvoraussetzungen, die die Eigner im Sommer die Leinen loswerfen und den Gästen ihre Liegeplätze zur Verfügung stellen lassen. Dabei möchte man sich gar nicht so schnell wieder auf den Weg nach draußen machen.
Am Hooksmeer entlang führen viele kleine Wege. Umgeben von dichtem Grün, das schon wenige Schritte nach rechts oder links wie ein kleiner Urwald anmutet, lässt sich hier gut laufen oder Fahrrad fahren. Mal mit dem Blick aufs Wasser, dann wieder im Halbdunkel zwischen hohen Bäumen und Büschen, bis der Deich an der Küste erreicht ist. Hinter ihm liegt ein langer Sandstrand. Am sommerlichen Sonntag spielen Kinder im Sand oder mit den leise anrollenden kleinen Wellen. Erwachsene dösen in der Sonne oder genießen in einem Strandkorb an der Beach-Bar Kaffee, Kuchen und Kaltgetränke. Östlich davon trennt eine lange Mole den Vorhafen von der Jade.
Hinter ihr herrscht dichtes Gedränge beim Fischimbiss am Hafen. „To’n Fischhus“ heißt der Laden mit der Anmutung einer mittelmäßigen Frittenbude, garniert mit maritimen Objekten. Er wird aber wohl einen guten Ruf haben, denn eine bis unten an die Treppe vorm Eingang rei[1]chende Schlange Hungriger bewegt sich im Schneckentempo gen Tresen zum Bestellen. Der Renner, das ist während der Wartezeit nicht zu überhören, muss der Backfisch sein. Und tatsächlich: Was hier in Pappschalen hinauswandert, ist frischer Fisch in großen Stücken, keine uniforme Convenience-Ware. Der lässt sich denn auch draußen mit Blick auf betuliches Vorhafen-Kino genießen.
Urige Fischkutter liegen an den Spundwänden, Sportboote ziehen ihre Kreise, während sie auf die Öffnung der Schleuse warten. Diese kleine Welt der großen Vielfalt muss man auf sich wirken, sich gedanklich setzen lassen. Wo ginge das besser als an einem ruhigen Ankerplatz? Bei der Einfahrt in das Binnentief haben wir die kleine Insel passiert, dahinter einige Boote vor Anker beobachtet, deren Crews in der Sonne dösten oder badeten – eine schöne Option auch für eine ruhige Nacht unter Sternen. Danach kann es weitergehen, vielleicht durch das Watt nach Wangerooge, auch so ein besonderer Ort. Aber das ist eine andere Geschichte
Die grüne Tonne H3 vor der Hafeneinfahrt wird südlich passiert. Landseitig markieren zwei Baken (Stundenglas) die Ideallinie in den Hafen. Auf Querstrom achten: Zwar hat die Zufahrt eine Solltiefe von 1,60 Meter bei Niedrigwasser, zu beiden Seiten liegen aber Watt- rücken. Rund um das LNG-Terminal an der Seebrücke befindet sich ein Sperrgebiet, das unbedingt zu beachten ist.
Geschleust wird von Ostern bis Ende Oktober. In der Hauptsaison an den Wochenenden stündlich von 8 bis 12 und 14 bis 20 Uhr, an Wochentagen fünfmal zwischen 8 und 19 Uhr, bei Hochbetrieb auch mehrmals nacheinander. Gastlieger zahlen die Gebühr oben im Turm beim Schleusenwärter, der gegen Pfand auch Schlüssel für die Marina ausgibt.
Wer als Gast ins Hooksmeer fährt, kommt immer irgendwo unter: in der von der Wangerland-Touristik betriebenen Marina oder bei einem der Vereine – auch für mehrere Wochen oder Monate. Die Liegeplätze an der Werft direkt hinter der Schleuse sind jedoch Kunden vorbehalten. Hier die Weblinks der Betreiber der Sportboothäfen:
Wassersport steht am Hooksmeer an erster Stelle: Eine Surfschule bietet Windsurfkurse binnen und Kitesurfen buten an. An der Wasserski-Anlage kommen Anfänger ebenso auf ihre Kosten wie Könner. Wer sich lieber auf dem Trockenen betätigt, findet dicht an der Marina Tennisplätze, eine Pferderennbahn und einen Ponyverleih vor.
Wer einmal in das Revier hineinschnuppern oder von hier auf die Ostfriesischen Inseln fahren möchte, kann beim Sportbootverleih Nordsee Kajütboote in verschiedenen Größen chartern. Auf Wunsch auch mit Fahrtraining. sportbootverleihnordsee.de