RevierporträtShetland – Schottlands Inseln am Rand der Welt

Christian Tiedt

 · 09.04.2023

Fethaland an der Nordspitze der Hauptinsel Mainland: Jahrhundertelang wurde von hier aus Hochseefischerei betrieben – in offenen Ruderbooten
Foto: Christian Tiedt

Wo Nordsee und Atlantik aufeinandertreffen, liegt der nördlichste Außenposten der Britischen Inseln: Shetland. Wikingererbe, wilde Küsten – und endlos weiter Horizont

Far Haaf – auf Shetland steht dieser Begriff für den Rand der Welt. „Das ferne Meer“, so wird die Grenze der Fischgründe genannt, die von der Küste rund fünzig Seemeilen weit nach Westen hinaus in den Nordatlantik reichen. Dort, an der Außenkante des Kontinentalschelfs, fällt der Meeresboden plötzlich steil ab. Das letzte Land endet. Für Generationen von Shetländern gehörte das Risiko, in diesen schutzlosen Weiten nach Kabeljau, Leng und Hering zu jagen, zum Leben dazu. Ihre Ruderboote waren offene sixerns, schlanke Doppelender, nach nordischen Li­nien gebaut. Sturmerprobt und seeerfahren mussten die sechs Männer an Bord also sein, aber diese Qualifikation war ihnen in gewisser Weise ohnehin in die Wiege gelegt: Bereits um das Jahr 800 herum übernahmen norwegische Wikinger von den heimischen Pikten die Herrschaft über den felsigen Archipel und nannten ihn Hjaltland.

Inselmotto: Mit dem Gesetz wird das Land erbaut

Auch wenn Shetland seit inzwischen fünf Jahrhunderten zu Schottland gehört, ist das Erbe der skandinavischen Siedler noch immer frisch und munter und reicht von hochoffizieller Symbolik wie der Regionalflagge, einem skandinavischen Kreuz in schottischen Farben, und dem aus den Sagas entlehnten Inselmotto Með lögum skal land byggja („Mit dem Gesetz wird das Land erbaut“) bis hin zu „weltlicheren“ Aspekten wie dem Up Helly Aa in Lerwick. Nach altem Brauchtum werden dabei am letzten Dienstag im Januar die Wintergeister ausgetrieben. Dazu lodern allerorts echte Flammen, Fackeln und brennende Teerfässer. Tausende Wikinger bevölkern die Straßen, der Ehren-Jarl sorgt mit seiner gerüsteten Leibgarde für „Ordnung“, und als Höhepunkt wird in der Dunkelheit der Nachbau eines Langschiffs angezündet. Danach geht die Feier erst so richtig los, mit Gesang und noch mehr Feuer – in der Kehle. Der folgende Mittwoch ist, ebenfalls traditionell, arbeitsfrei.

Die Bindung zum Land der Ahnen ist aber auch auf dem Wasser erhalten geblieben. Das überrascht kaum; bis nach Bergen sind es nur rund 200 Seemeilen. Die schottische Hauptstadt Edinburgh ist dagegen mehr als 300 Seemeilen entfernt. Ganz zu schweigen von London, das irgendwo sehr weit im Süden liegen soll ... Von besonderer Bedeutung wurde der Seeweg zwischen Shetland und Norwegen während des Zweiten Weltkriegs, um wagemutige Agenten auf geheimem Weg zurück in ihr von Deutschland besetztes Heimatland zu schmuggeln. Dazu später mehr.

Heute ist es zum Glück Fernweh, oft mit einem Schuss Abenteuerlust, das Besucher auf eigenem Kiel anlockt. Und damit sind nicht nur die Passagiere der Kreuzfahrtschiffe gemeint, die in den Sommermonaten inzwischen zum gewohnten Bild gehören, sondern auch Sportskipper und Crews. Viele kommen aus Norwegen herüber, aber man sieht auch an­dere. In erster Linie sind es Segler, aber es kommen auch Mo­tor­yach­ten auf Langfahrt nach Shetland, etwa als Etappe auf dem Törn rund um die Nordsee. Dabei ist die Inselgruppe ein Revier für sich, mit rauen und sanften Seiten, einer lebendigen Hauptstadt, spektakulärer Natur und endlosen Möglichkeiten für Landgänge. Selbst das Wetter ist „abwechslungsreich“. Aber nur Sonne ist eh langweilig, oder?

Größte Insel von Shetland: Mainland

Shetland besteht aus etwa einhundert Inseln, von denen zwanzig bewohnt sind. Die größte im Bund ist Mainland. Ihre Fläche misst annähernd 1000 Quadratkilometer, was etwa der Ausdehnung Rügens entspricht. Die große Halbinsel Northmavine im Nordwesten ist dabei nur über eine schmale Landbrücke mit dem Rest von Mainland verbunden. Neben dem Hauptort Lerwick an der Nordseeküste und dem Flughafen bei Sumburgh an der Südspitze liegt mit Scalloway auch der wichtigste Hafen der Atlantikseite auf der Insel. Rund 1100 Einwohner genügen, um Scalloway den zweiten Platz unter den Orten Shetlands zu sichern.

Überragt wird der Hafen mit Frachtterminal, Fischereipier und Marina von den grauen Mauern von Scalloway Castle. Im Schatten der Ruine befindet sich das Museum, das unter anderem die spannendste Geschichte in der jüngeren Vergangenheit erzählt: Von 1941 bis zum Kriegsende war Scalloway Ausgangspunkt des „Shetland Bus“: Mit unauffälligen Kuttern und schnellen Motorbooten unterhielt die norwegische Marine einen geheimen, hochgefährlichen Pendelverkehr zur Fjordküste ihres Landes. Von Shetland brachten sie Waffen und Ausrüstung für den Untergrund, Agenten und Kommandotruppen, auf dem Rückweg füllten Flüchtlinge und untergetauchte alliierte Soldaten die Boote. Eine eindrucksvolle Geschichte voller Mut und Entbehrung. Bekanntester Skipper war der norwegische Offizier Leif Larsen, bekannt als Shetland Larsen, der selbst 52 Fahrten durchführte. Viele Besatzungen jedoch gingen verloren, als Opfer der Deutschen oder der gnadenlosen See selbst (www.scallowaymuseum.org).

Erster Anlaufpunkt für Freizeitskipper wird jedoch das 7000 Einwohner große Lerwick sein, mit seinen Shops, Pubs und Restaurants (sogar ein französisches ist darunter) fraglos Shetlands „Metropole“. Hier hat man schon mit vielem Geld verdient, mit Grönlandwal, gesalzenem Hering oder geschmuggeltem Gin. Heute sind es Touristen – unter anderem. Lerwick eignet sich aufgrund seiner zentralen Lage perfekt für Erkundungen, am bequemsten per Mietwagen. Büros von Avis und Europcar befinden sich in Hafennähe. Weitere Highlights sind das moderne Shetland Museum (www.shetlandmuseumandarchives.org.uk) und ein Ausflug auf dem Wasser zu den Brutkolonien der Zugvögel an der steilen Ostflanke der Isle of Ness, die der Insel Bressay vorgelagert ist, entweder auf eigenem Kiel oder mit dem Ausflugsboot (www.shetlandseabirdtours.com).

Northern Isles

Die beiden Inseln Yell und Unst bilden den nördlichen Teil des Archipels, die Northern Isles. Über Fähren sind sie miteinander und mit Mainland verbunden. In den schmalen Sunden zwischen den Inseln herrschen starke Gezeitenströme. Je weiter man nach Norden kommt, desto rauer die Landschaft und dünner die Besiedlung. Dennoch finden sich hier die meisten Fundstätten aus der Wikingerzeit, alleine auf Unst wurden bislang Überreste von mehr als sechzig Langhäusern freigelegt. Der spektakulärste Rundwanderweg Shetlands führt über die Halbinsel Hermaness im äußersten Norden. Vom grasbewachsenen Plateau oberhalb der Steilküste bieten sich fantastische Ausblicke auf Kolonien von Seevögeln, die Insel Muckle Flugga – ihr Leuchtturm war bis zu seiner Automatisierung 1995 der nördlichste bewohnte Ort der Britischen Inseln. Noch ein Job am Rand der Welt.


Service

 | Karte: Christian Tiedt
| Karte: Christian Tiedt

Entfernungen

  • Helgoland–Lerwick (via SCO): 850 sm
  • Helgoland–Lerwick (via NOR): 650 sm
  • Bergen (NOR)–Lerwick: 210 sm
  • Edinburgh (SCO)–Lerwick: 305 sm
  • Wick (SCO)–Lerwick: 125 sm
  • Fair Isle (SCO)–Lerwick: 42 sm
  • Shetland rund: mind. 160 sm

Nautische Informationen

Das Revier: Schon die geografische Lage macht Shetland zu einem sehr anspruchsvollen Revier. Routenplanung, Naviga­tion, Gezeitenberechnung und Wetterbeobachtung fordern große seemännische Erfahrung und die Eignung von Crew, Fahrzeug und Ausrüstung für Törns im betreffenden Seegebiet. Obwohl Sommermonate im Schnitt nur drei Nebeltage und einen Sturmtag aufweisen, sind schwerwiegende Wetter­situationen jederzeit möglich. Ob Sportboote aus der EU nach Ende der Brexit-Übergangsperiode im Januar 2021 künftig ein- und ausklarieren müssen, stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest. Derzeitige Zollhafen ist Lerwick (www.hmce.gov.uk).

Die Häfen: Gemessen an der Abgeschiedenheit Shetlands, bietet der Archipel überraschend viele Liegemöglichkeiten für Gastlieger. Insgesamt 22 Orte stehen über das Revier verteilt zur Verfügung, auch an abgelegenen Orten (siehe Karte). Entscheidend ist, dass die meisten dieser Häfen guten Schutz bieten und mehrheitlich zumindest mit einem gezeitenunabhängigen Schwimmsteg ausgestattet sind. Umfangreiche Serviceeinrichtungen finden sich dagegen nur in Lerwick und Scalloway. Eine vollständige Übersicht mit Kontaktinfos findet sich im Internet unter: www.shetland.org/plan/marinas

Die Literatur: Revierhandbuch „Orkney and Shetland Islands. Including North and Northeast Scotland“. Imray, 150 S.; ISBN 978-1-78679-161-0. 46,80 €. • diverse offizielle Seekarten (Admiralty). Bezug aller Artikel über: www.hansenautic.de


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