Unbekannt
· 28.03.2018
Tagsüber wasserandern, abends Hotelkomfort: vom Vergnügen, mit einer offenen Sloep durch die friesische Seenlandschaft zu streifen
Eines Tages lag sie bei uns daheim im Hafen. Cremefarben, Teak-Cockpit, dunkelblaue Sprayhood. Eine offene Sloep, sehr schick. Ihr Skipper erschien gewöhnlich gegen 10 Uhr. Nach und nach kamen seine Gäste, meist ein halbes Dutzend. Picknickkörbe und Badetaschen verschwanden in Staufächern, die gewaltig sein mussten.
Der Diesel sprang an und schob den stäbigen 7-m-Rumpf blubbernd vom Platz. Abends waren sie zurück, saßen noch eine Weile an Bord zusammen, plaudernd, bei Antipasti. Danach wurde gepackt. Sloepen-Fahren ist dezentes Genießen, die feinsinnige Rückbesinnung auf das Wesentliche.
Ein Trend und doch mehr: eine Lebensart. Ihr wollten wir nachspüren. Dort, wo das Revier wie dafür geschaffen ist – auf den friesischen Seen. Sloepen sind so niederländisch wie Poffertjes (Pfannkuchen) und Hagelslag (Schokostreusel).
Ihre Vorfahren waren Arbeitsgeräte: Schiffstender und Rettungsboote. Deren Gene tragen sie, hübsch verpackt, bis heute. Sloepen lassen sich leicht manövrieren und haben Platz satt. Stabilität und Freibordhöhe sind beachtlich, eine umlaufende Tauwieling federt Rempler folgenlos ab.
So viel Unkompliziertheit überträgt sich. Auf die Crew, aber auch auf andere. Sloepen-Fahrer werden nicht beäugt, sie ziehen die Blicke auf sich. Und nicht wenige vergucken sich bei der Gelegenheit in die schönen Schaluppen. Nein, für uns sollte es keine jener Sloepen sein, die das Gleiten gelernt haben oder zu hochkomfortablen Yachten herangewachsen sind.
Wir wollten die ursprüngliche Variante, den Verdränger ohne Kajüte. Wenn es draußen pladdert, rückt man unter einem Verdeck zusammen. Wie damals auf dem kleinen Daycruiser, mit dem wir angefangen haben.
Neben solchen Sentimentalitäten sprach dies für eine Sloep in überschaubaren Ausmaßen: unsere klammheimliche Sehnsucht nach dem Neuen, Unbekannten. Wasserwege erkunden, die der klassischen Charter-Yacht verwehrt bleiben. Unter niedrigsten Brücken hindurchschlüpfen. Abseits bekannter Pfade wandeln. Das war es, was uns vorschwebte.
Doch wie und wo verbringen wir die Nacht? Zugegeben, die Rückkehr zu den Wurzeln des Bootfahrens wäre vollständig gewesen, hätten wir im Cockpit unsere Schlafsäcke ausgerollt. Einen Sloepen-Törn krönt aber etwas
anderes: die passende Einkehr an Land. Boat & Breakfast sozusagen. Genau das organisieren einige Anbieter in Friesland. Für uns stellte Monique Feenstra vom Ferienbauernhof "Broeresloot" in Sneek einen dreitägigen Rundtörn durch den Südwesten Frieslands mit Hotelübernachtungen in Workum und Joure zusammen.
An einem Samstag im August reisen wir per Auto nach Sneek und stoßen knapp südlich des Gewerbegebiets ’t Ges auf ein stattliches Bauernhaus. Gebaut wurde es im Jahr 1870, als "Stelp". Im Gegensatz zu den älteren friesischen "Kopf-Hals-Rumpfhöfen" befanden sich bei diesem Bautyp sämtliche Wohn- und Arbeitsbereiche in einem Gebäude.
Mit anderen Worten: Unter dem mächtigen Dach des aufwendig restaurierten "Vakantieboerderij Broeresloot" ist Platz ohne Ende.
Zwölf moderne Apartments gibt es in dem Haus, inklusive eines urigen Hafencafés. Zu der Anlage gehört eine geschützt gelegene Marina, in der Boote von 7 bis 14 m Länge unterkommen. Der "Vakantieboerderij Broeresloot" ist ein Familienbetrieb. Monique Feenstra und ihr Freund Meindert Wiersma sind für alle Aktivitäten rund um den Hof zuständig, unsere Tour fällt also in ihren Aufgabenbereich.
Nach Tee und Kuchen auf der Terrasse lernen wir unser Boot kennen. Blitzblank geputzt und vollgetankt wartet eine Cesta 570 am Kai: knapp 6 m lang, 22 PS Diesel, Holz-Interieur. Bis zu acht Personen kann sie schultern. Wir sind zu zweit, eng wird es also nicht. Im Modellnamen trägt die Cesta 570 den Zusatz "Vlet", sie ist demnach eine nahe Verwandte der Sloep. In Gebrauch und Philosophie gibt es heute keine Unterschiede zwischen den beiden Bootstypen, weshalb das offene Stahlboot auch unter der Bezeichnung "Schaluppe" oder "Sloep" läuft.
Versorgt mit Kartenmaterial, 5-l-Reservekanister und Rettungswesten für den Notfall legen wir gegen 13 Uhr ab. Am Abend wollen wir gut 30 km weiter sein, in Workum. Als Erstes geht es via Houkesloot, Somerrak, Stadsgracht und Kolk durchs Zentrum von Sneek. Ein- und auslaufende Boote pflügen vorbei, das Wasser "kocht".
Unbeeindruckt schiebt unsere Sloep die Kabbelwellen und Querseen beiseite. An diesem Samstagmittag ist es turbulenter als sonst, wahrscheinlich wegen der Sneekweek.
Die Traditionsveranstaltung auf dem Sneekermeer gilt als größte Binnensegelregatta Europas. Auch die Party an Land will sich hier keiner entgehen lassen. Entlang der Innenstadt-Kaden liegen die Boote schon im Päckchen, und es werden immer mehr. Steuerbord passieren wir einen Turm aus gestapelten Bierkästen. Das Bauwerk steht auf der Badeplattform einer Charteryacht und reicht bis an deren Achterdeck. Den zweiten Kasten von unten haben wir in Augenhöhe, eine überraschende Perspektive. An einer der beweglichen Brücken warten wir die Öffnung ab. Wozu? Wir passen doch drunter durch.
Gemächlich schnurrt unsere Sloep nach IJlst. Gepflegte Gärten reichen bis ans Wasser, am Ufer begleitet uns ein Mähroboter bei der Kantenpflege. Was man so mitbekommt, gut einen Meter oberhalb der Wasserlinie. Wide Wimerts und Hegemer Far bringen uns in Herz der Wassersportmetropole Heeg. Eigentlich wäre jetzt ein Stopp bei "Veenstra’s Vishal" angesagt.
Gäste können gleich an der Terrasse festmachen. Wir fahren weiter, uns zieht es ins Grüne, zum Picknicken. Für die entsprechenden Leckereien haben wir bereits in Sneek gesorgt, jetzt muss nur noch ein stimmungsvolles Plätzchen her. Fürs Erste wird es jedoch nass. Auf dem Heegermeer weht ein strammer Südwest, wir haben Wind und Welle gegenan. Eine erste Dusche erwischt uns, dann die nächste. Weil’s zuvor so schön war, ist die Sprayhood unten.
Eine Nachlässigkeit, die wir schleunigst beheben. Nun bleibt’s trocken. Und wir staunen, mit welcher Selbstverständlichkeit sich unsere Schaluppe durchs ruppige Wasser arbeitet.
Am Nordufer des Heegermeers nehmen wir Kurs auf Gaastmeer. Ein hübscher Flecken. Direkt am Fahrweg befindet sich das Restaurant "d’Ald Herberch". Auch hier können Gäste mit Boot anlegen (www.aldherberch.nl). Allmählich sehen wir unsere gebunkerten Vorräte mit gemischten Gefühlen. Bei so netten Lokalen! Zwischen Grutte Gaastmar und Sânmar zeigt die Karte naturnahe Liegemöglichkeiten. Perfekt für unser Picknick. Was es gab? Natürlich Friesisches: Droge worst (Wurst), Oude nagelkaas (Käse), Roggebrood (Brot) und Oranjekoek (Kuchen).
Essen macht Durst und Durst macht … Sie wissen schon. Unsere Sloep verfügt diesbezüglich über keinerlei erleichternde Vorrichtungen, was ein drängendes Problem zur Folge hat. Und je nachdrücklicher sich Letzteres stellt, umso erstrebenswerter erscheint uns mit einem Mal der sanitäre Komfort eines größeren Bootes. Mit einem gewissen Maß an Durchhaltevermögen sowie Flexibilität in der Planung lassen sich aber auch solche Angelegenheiten regeln.
Schließlich ist es in Friesland selten weit bis zum nächsten Passantenhafen und dessen verschwiegenen Örtchen.
Rund 40 Minuten nach unserer Rast sind wir im Yachthafen von De Haan Watersport in Workum (www.dehaanwater sport.nl). Hier soll unsere Sloep nächtigen. Die avisierte Box ist bezugsfertig, wir packen das Boot ein und ziehen mit unseren Taschen los. Im Hotel "Aan de Wymerts", etwa zehn Minuten zu Fuß von De Haan Watersport entfernt, ist ein Zimmer für uns gebucht. Als wir den gemütlichen Yachthafen verlassen, werden wir für einen Moment melancholisch: Es ist ein herrlicher Sommerabend, alle sind auf ihren Booten, die Stockrosen duften, das Wasser funkelt – und wir verziehen uns.
Dieser Anflug von Wehmut ist rasch vorbei, denn unser Nachtquartier ist großartig: Schlaf- und Wohnraum, TV, Kaffeemaschine, Dusche mit Massagefunktion. Die Unterkunft trägt den Namen eines Gewässers, das die Stadt Workum in alten Zeiten durchzog und später zugeschüttet wurde: Wymerts. Yvon und Ewald Overdijk betreiben das Hotel seit 2016. Ebenfalls unter ihrer Regie: das angrenzende Restaurant "Pickwicks Steaks & Tapas"
(www.pickwicks.nl). Workums Seele, der historische Markt, liegt nur wenige Schritte weiter. Ein prächtiger Ort, um den sich gleich mehrere Lokale scharen.
Sonntagmorgen, wir sind wieder unterwegs. Nachdem unsere Tour gestern über bekannte Wege geführt hat, wollen wir heute weniger vertraute Strecken unter den Kiel nehmen. Die erste bringt uns von Workum ins malerische Hindeloopen – binnen. Nach Djippe Dolte und Buorrefeart beginnt, wonach wir gesucht haben: ein schilfgesäumter Wasserlauf, schmal und verwunschen. Auf dem Abschnitt De Horsa rücken die Ufer bisweilen so nah, dass wir den Atem anhalten. Die niedrigste feste Brücke hat eine Durchfahrtshöhe von 1,60 m. Das Wasser ist teilweise nur 0,60 m tief.
Brenzlig wird es nie. Nicht einer kommt uns entgegen, kein Boot schließt auf. Wir sind allein mit der Natur. Und die möchte alsbald ergründen, wie belastbar unsere romantischen Vorstellungen vom Sloepen-Fahren tatsächlich sind.
Die Wolken, die gerade noch flockig vom IJsselmeer herübertrieben, sind mittlerweile zu einem geschlossenen Grau verschmolzen, aus dem es erst nieselt und schlussendlich schüttet. Unter der nächstbesten Brücke suchen wir Zuflucht. Ein öder Platz, also weiter. Die Sprayhood hält das Nass von oben recht ordentlich ab, nur der Skipper steht im Regen. Hindeloopen, das wir per Aesterfeart erreichen, wettert den trüben Vormittag schläfrig ab. Niemand zu sehen, nur ein, zwei Angelboote. Unsere Empfehlung: am Yndyk anlegen und sich ein behagliches Lokal suchen. Davon hat Hindeloopen einige zu bieten.
Via Jan Broerskân, De Morra, De Oarden und Aldkarre steuern wir die nächste spannende Route an. Anfangs gesellt sich die Ryster Feart zur Spoekhoekstel Feart, dann öffnet sich ein überschaubarer See, den wir kreuzen. Das Gewässer unter uns heißt nun Van Swinderenfeart. Unmerklich wird es zur Luts. Man könnte ebenso sagen: Es trägt uns in eine Idylle, mit der wir nicht gerechnet haben. Die Luts ist ein rund 5 km langes Flüsschen, das seinen Ursprung im Slotermeer hat.
Die niedrigste feste Brücke, die den kleinen Strom quert, hat eine Durchfahrtshöhe von 2,15 m. Besonders stimmungsvoll ist das rund 2 km lange Teilstück entlang De Starnumanbossen.
Wir tuckern zwischen hohen Bäumen, deren Wipfel sich über uns zu schließen scheinen. Eisvögel verharren in Sichtweite, bevor sie auf der Jagd nach Beute erneut ins Wasser stoßen. Strömung nehmen wir nicht wahr, selbst der Regen scheint gebannt. Viel zu schnell ist der Zauber vorbei. Wir passieren Balk, ein freundliches Städtchen (Liegemöglichkeit knapp zehn Gehminuten vom Zentrum). Ansonsten: "Badmeester Keimpe" am Südwestufer des Slotermeer serviert frisch geräucherten Fisch (eigener Hafen, www.badmeesterkeimpe.nl). Oder man fährt ins muntere Woudsend und vertäut sein Boot im neuen Passantenhaven (Zufahrt Wâldseinster Rakken, nur Tagesgäste).
Auf De Welle und Koevoerdermeer folgen Langwarder Wielen und Jouster Sylroede. Als wir am frühen Abend in Joure sind, zwinkert uns die Sonne zu. Wir betrachten es als versöhnliches Zeichen von oben. Dabei hat uns das bisschen November im Sommer heute die Laune gar nicht verdorben. Wie auch den vielen anderen nicht, die an diesem miesepetrigen Tag mit ihren Schaluppen auf dem Wasser waren. Kragen hochschlagen, Spaß haben und sich auf das Verwöhnprogramm danach freuen. So geht Sloepen-Fahren!
Nah am Ortskern von Joure, jenseits der 1,15 m niedrigen Tolhûswei-Brücke, befindet sich der Anlegeplatz unseres Hotels, der "Herberg Joure". Zwischen Sloep und Unterkunft liegen nur zwei, drei Schritte. In dem restaurierten ehemaligen Pfarrhaus stapfen wir 41 Stufen hoch bis unters Dach und werden mit einem Zimmer mit Wohn- und Schlafbereich, Küchenzeile, TV und modernem Bad belohnt. Nicht zu vergessen der famose Ausblick. Nach einem Imbiss in der Stadt (Genießertipp: Brasserie-Restaurant "De Jouster Toer", www.dejoustertoer.nl) legen wir uns aufs Ohr.
Der Montag beginnt mit einem Ausflug in Richtung Sneekermeer. Via Goaïngarypster Puollen, Frijgerssleat und Holle Grêft kommen wir gegen Mittag ins heimelige Oppenhuizen, dann schließt sich der Kreis am Ferienbauernhof "Broeresloot". Fazit: Schön war’s. Gerne wieder.