Unbekannt
· 20.03.2016
Goldener Oktober auf der Mecklenburgischen Kleinseenplatte: In der Nachsaison kehrt schnell Ruhe im Revier ein – die perfekte Zeit für einen Chartertörn zwischen Sonne und Nebel. Unser Reisetagebuch.
Zwischen Steg und Festmacher funkelt am Morgen ein Spinnennetz voller Tautropfen. Schade um das Kunstwerk, aber wir müssen ablegen: Gegen 10 Uhr holen wir die Leinen ein und motoren vom Liegeplatz in der Marina Eldenburg, unserem Charterstützpunkt bei Waren. Das Boot haben wir schon gestern übernommen, einen nagelneuen 12-Meter-Stahlverdränger vom Typ Schulz 40. Wir sind gespannt!
Der himmelblaue Rumpf von "Lotte" ist hoffentlich ein gutes Omen; momentan hängt nämlich noch geschlossenes Grau über uns.
Über den Reeckkanal gehts erstmal zur Binnenmüritz, extra langsam für den Angler, der in seinem winzigen Holzboot aufrecht steht, und uns unter seinem weiten Poncho gar nicht wahrzunehmen scheint.Dann aber hinaus auf die große, offene Müritz – und dazu Pullover und heißen Kaffee "auf die Brücke". Wir haben etwa 3 Beaufort aus West. Das reicht für eine kurze Welle, die hin und wieder Gischt über das Vorschiff schickt.
Vorn sitzen und die Einsamkeit genießen, das versucht René genau ein Mal... Schön frisch also, da machen wir die "Kuchenbude" lieber erstmal ganz dicht.
Südkurs. Schloss Klink an Steuerbord, "Dicker Baum" an Backbord – eine Untiefe. Der erste Hoffnungsschimmer (im wahrsten Sinne) zeigt sich aber kurz nach 12 Uhr, ungefähr querab der Tonne "Müritz-Mitte": Einzelne Sonnenstrahlen lassen die weite Wasserfläche um uns herum silbern erstrahlen. Tatsächlich ist zum Nachmittag hin Auflockerung angesagt, wäre schön, wenn die Wetter-App gleich zu Beginn unserer Charterwoche richtig liegen würde!
Später: Marina Claassee, Rechlin. An der Innenseite von Steg 2. Was für eine Wandlung: Hier im "Süden" der Müritz scheint tatsächlich die Sonne!
Also raus aus den langen Ärmeln, den Tee in der Dose lassen und stattdessen ein entspanntes Bier als Anlegeschluck. Goldener Oktober, so kann es gern weitergehen! Zu Fuß danach vom Hafendorf zum Luftfahrttechnischen Museum Rechlin, etwa zehn Minuten entfernt. Tolle Sammlung alter Technik; sogar der Wassersport ist vertreten, mit Motorbooten wie dem "Wellenbinder" aus Mahagoni, die zu DDR-Zeiten beim VEB Schiffswerft Rechlin als "Konsumgüter" produziert wurden.
An den Schleusen spart man in der Nachsaison wirklich eine Menge Zeit! Wo man im Sommer durchaus eine Stunde oder länger wartet, ist man jetzt fast immer gleich nach Ankunft mit dabei. Da fällt es dann nicht weiter ins Gewicht, dass wir erst um 11.30 Uhr im Hafendorf Müritz loskommen. Die Sonne hat es sich leider wieder anders überlegt: Sie verbirgt sich hinter undurchdringlichem Grau. Dafür haben wir keinen nennenswerten Wind mehr und können die Seiten und die Rückwand des Verdecks bei der Fahrt offen lassen.
Nach der Passage der Kleinen Müritz geht es ins Grüne: der Mirower Kanal liegt vor uns, das erste Stück der Müritz-Havel-Wasserstraße.
Dass der Herbst vor der Tür steht, lässt sich nicht leugnen: Gelbe Blätter gleiten von den Bäumen und treiben auf dem ruhigen, dunklen Wasser. An der Schleuse Mirow steht die Ampel schon auf Grün, ein Charterfloß fährt vor uns ein, und völlig entspannt, ohne jedes Gedränge, geht es nach unten.
Die Liegeplätze an der Mirower Schlossinsel sind jetzt sicher besonders reizvoll: Die Sanierung des spätbarocken Ensembles, umgeben von Park und See, wurde gerade erst abgeschlossen. Wir lassen die Gelegenheit trotzdem aus. Macht nichts, denn unser Tagesziel hat sein eigenes Schloss: Rheinsberg.
Südlich von Mirow beginnt die Mecklenburgische Kleinseenplatte. Zotzensee, Vilzsee und Labussee werden durchfahren, viel offenes Wasser, und die Schleusen von Diemitz und Canow zwischendurch sorgen kaum für Verzögerung. Vorbei an der langen Reihe von verlassenen Ferien- und Bootshäusern an der Engstelle zwischen Canower und Pälitzsee:
Leere Balkons mit gestapelten Stühlen und ungefegtes Laub auf Treppen und Türschwellen. Warten auf den Winter – und den nächsten Frühling.
Biegen nach Süden ab, zu den Rheinsberger Gewässern, und verlassen kurz vor 16 Uhr die Schleuse Wolfsbruch. Jetzt ist es noch einsamer, fast verwunschen. Am Tietzowsee hängt Nebel am Ufer, feiner Regen beginnt zu fallen. Eine Stunde später machen wir im Hafendorf Rheinberg fest, es ist zum Glück wieder trocken. Abendspaziergang am Ufer entlang zum Rheinsberger Schloss – und danach (nicht nur zum Aufwärmen!) in den urigen Ratskeller am Markt.
Den ganzen Vormittag prasselt schwerer Regen aufs Verdeck. So eilig haben wir es nicht und bleiben erstmal, wo wir sind. Die Heizung läuft, und das Frühstück wird ganz gemütlich zum Brunch. Gegen 11 Uhr hellt es sich dann auf. Bald fallen die letzten Tropfen und lassen einen spiegelglatten See zurück.
Kein Windhauch geht, und wo die Sonne steht, lässt sich nur raten. Das Rauschen unseres Heckwassers ist das einzige Geräusch.
Zurück nach Norden geht es nach diesem Abstecher, zurück zur Müritz-Havel-Wasserstraße, über den Schlabornsee, an Zechlinerhütte und der Marina Wolfsbruch vorbei, wo ungenutzte Charterboote in langer Reihe nebeneinander liegen. Auch hier ist die Saison so gut wie gelaufen.
Auf dem Pälitzsee dann ostwärts nach Strasen; statt langer Warteschlangen wie im Sommer auch hier nur leere Pfähle vor der Schleuse. Wir teilen uns die Kammer mit zwei wasserdicht verpackten Paddlern und einem Angler mit knatterndem Forelle-Außenborder. Unsere "Lotte" folgt dem Verlauf des schmalen Ellenbogensees.
Priepert zieht an Backbord vorbei; von hier ab geht es durch Wiesen und Wald hindurch auf der Oberen Havel-Wasserstraße weiter.
Ziernsee, Menowsee und Röblinsee, verbunden von der Steinhavel, an Stellen fast schon ein dunkles Gewölbe aus dicht ans Ufer drängenden Bäumen und überragenden Ästen. Eine Schleuse passieren wir auf diesem Abschnitt, die nächste dann in Fürstenberg, gleichzeitig die letzte für heute. In der "Wasserstadt" – so nennt sich das von der Havel um- und durchströmte Fürstenberg – bleiben wir diesmal allerdings nicht. Wir wollen stattdessen noch ein paar Kilometer weiter in östliche Richtung .
Eine goldrichtige Entscheidung, wie sich bald zeigt: Auf der schilfgesäumten Siggelhavel bekommt das ewige Grau über uns plötzlich Risse, hinter denen strahlendes Blau leuchtet.
Die schon tief stehende Sonne nutzt die Chance und taucht den Stolpsee, der jetzt so glatt wie geschliffenes Glas vor uns liegt, in lodernden Glanz. Wirklich unvergesslich! Ganz im Osten des Sees gehen wir außen am Gästesteg des Bootshauses Stolpsee längsseits. Der kleine Ort heißt Himmelpfort – der Name könnte heute nicht besser passen.
Wie eine schwere Decke liegt Nebel am nächsten Morgen über dem Stolpsee. Oben und Unten sind eins. Die Sicht auf dem Wasser: vielleicht 20 Meter. Können uns also erneut Zeit lassen und machen einen Spaziergang zur Schleuse (im Himmelpfort münden die Lychener Gewässer in die Obere Havel) und dann zu den efeubehangenen Ruinen der alten Klosterkirche, die sich nur schemenhaft aus dem Nebel lösen.
Erst gegen 11 Uhr hat es soweit aufgeklart, dass wir den Start wagen können – mit eingeschalteten Positionslichtern, versteht sich.
Auch an diesem Tag bleibt es windstill, die Sonne zeigt sich jedoch häufiger und sorgt für wärmende Momente auf dem Achterdeck. Erneut geht es den Weg zurück, den wir gekommen sind, über Fürstenberg zum Ellenbogensee. Doch nach dem Süden und dem Osten bliebt noch ein dritter Abstecher: nach Norden, nach Neustrelitz.
Er beginnt bei Priepert und führt zunächst über den Wangnitzsee und die idyllische Finowhavel, durch dichten Laubwald zur gedeckten Brücke von Ahrensberg.
Danach weiter durch Wiesen- und Auenlandschaft zur Schleuse Wesenberg und hinauf auf den Woblitzsee. Der ist bei Wind für seine kurze, steile Welle durchaus berüchtigt, heute friedlich genug, um selbst einem Papierschiffchen eine sichere Passage zu ermöglichen. Die Havel windet sich von hier weiter Richtung Nordwesten, ihre Quelle ist nicht mehr weit entfernt. Wir folgen jedoch dem Kammerkanal nach Norden.
Baustelle an der Schleuse Voßwinkel, und dahinter liegen die Leichter so dicht, dass wir schon ganz schön kurbeln müssen.
Zum Glück kein Gegenverkehr. Das gilt auch für die rostige Eisenbrücke nur einen Kilometer weiter nördlich. Durchfahrtshöhe: 3,40 m, Vorsicht mit Mast und Verdeck! Schließlich der Zierker See, so tückisch flach wie kein anderer im Revier. Die Perlenschnur der Tonnen spiegelt sich in seiner glatten Oberfläche und streckt sich in weitem Bogen zur Einfahrt des Stadthafens von Neustrelitz, wo wir einen Platz im Schatten der wuchtigen Backsteinspeicher finden
Zeit, dass sich der Kreis schließt. Unser Herbsttörn über die Mecklenburgische Kleinseenplatte geht seinem Ende entgegen. Nutzen die Sonne aber noch für einen Rundgang durch den weitläufigen Schlosspark von Neustrelitz, mit seinen Tempeln, Statuen und Sichtachsen bis zum Zierker See. Allein die Hauptsache fehlt: das Residenzschloss selbst. Wenige Tage vor Kriegsende wurde es vollständig zerstört – durch Brandstiftung. Nur die Nebengebäude der Orangerie und Schlosskirche sind erhalten geblieben.
Kammerkanal, Woblitzsee und Finowhavel werden abgehakt, allerdings kosten uns Bauarbeiten in der Schleuse Wesenberg unerwartet Zeit. Warten unter Deck im Warmen, bis wir das Signal zur Einfahrt bekommen. Bei Priepert geht es jetzt wieder nach Westen auf die Müritz-Havel-Wasserstraße. Auch diesen Weg sind wir schon vor einigen Tagen gekommen.
Ein festes Ziel haben wir heute, an unserem letzten Tag unterwegs nicht mehr: Waren ist zu weit, vielleicht schaffen wir Mirow, ansonsten werden wir einfach ankern.
Regen setzt ein. Auch an der Schleuse Strasen müssen wir warten, da ein Schubboot des Wasser- und Schifffahrtsamtes mit einem Leichter voller Pfähle den Vorrang bekommt, und es wird 17.30 Uhr, bevor wir auch die Tore der Schleuse Diemitz hinter uns lassen. Viel Licht haben wir ohnehin nicht, und bald wird es zudem richtig dunkel. Wir verzichten auf die Weiterfahrt nach Mirow und das Risiko, dort doch keinen vernüftigen Liegeplatz zu bekommen. Stress zum Schluss? Muss wirklich nicht sein. Unsere Wahl zum Ankern fällt auf den Zotzensee: Die schöne Bucht ganz im Nordwesten gehört uns, Bebauung gibt es an dieser Stelle auch nicht.
Stören also niemanden und werden nicht gestört – und das nächste Ankerlicht ist auch einen guten Kilometer entfernt. Auf vier Metern Wassertiefe lassen wir den Anker fallen, und als der Diesel schweigt, kehrt schlagartig Stille ein.
Die Törnplanung für den verbleibenden Tag ist schnell erledigt: in einem Zug zurück bis nach Waren, noch einmal 36 Kilometer, aber nur eine Schleuse. Danach machen wir es uns im Salon noch einmal richtig bequem, während draußen schon die Nacht heraufzieht und die Konturen der Ufer in Schwarz auflöst. Wie schnell das im Herbst geht!
Die Charterfirma: Yachtcharter Schulz ist seit zwanzig Jahren im Geschäft und eine der großen Charterfirmen im Nordosten Deutschlands. Die Flotte umfasst Boote für zwei bis vier Personen. Zwischen den vier Stützpunkten in Barth (Bodden/Ostsee), Neukalen (Peene), Wernsdorf (Berlin) und Waren (Müritz) sind Einwegfahrten möglich. Informationen: Yachtcharter Schulz, An der Reeck 17, 17192 Waren/M.,Tel. 03991-12 14 15. www.bootsurlaub.de
Das Charterboot: Die Schulz 40 ist – wie der Name vermuten lässt – von Yachtcharter Schulz auf der Basis von Kundenwünschen entwickelt worden. Tatsächlich verfügt der 12 m lange Stahlverdränger über eine umfangreiche Ausstattung (inklusive Bug- und Heckstrahlruder und Satelliten-TV) und war in der von uns gefahrenen Zwei-Kabinen-Version sehr geräumig. Die Wochenpreise liegen je nach Saison zwischen 1190 und 2540 Euro.
Das Revier: Die Mecklenburgische Kleinseenplatte ist Deutschlands beliebtestes Charterrevier, die Infrastruktur lässt kaum Wünsche offen, und die Orte bieten durchweg gute Versorgungsmöglichkeiten und eine ganze Palette von Sehenswürdigkeiten. Es gilt die Charterbescheinigung, ein Sportbootführerschein ist für den Urlaubstörn also nicht nötig. Wer mit dem eigenen Boot auf dem Trailer anreist, finden dagegen in fast jedem Ort eine Slipmöglichkeit. Größere Boote können gekrant werden, beispielsweise in Rechlin (Hafendorf Müritz, www.hafendorf-mueritz.de) und Rheinsberg (Hafendorf Rheinsberg, www.boat-city.de).
Das Revier ist für Anfänger geeignet, die Navigation bei sichtigem Wetter weitgehend unproblematisch. Vorsicht jedoch außerhalb des Tonnenstriches und bei den Durchfahrtshöhen. Aktuelle nautische Literatur (siehe unten) hilft böse Überraschungen zu vermeiden!
Müritz-Elde-Wasserstraße (MEW) Länge: 180 km (Buchholz/Müritz bis Einmündung in die Elbe), Schleusen: 17, Durchfahrtshöhe: 4,19 m (Vipperow), Tiefgang: 1,20 m, Höchstgeschwindigkeit: 6 km/h (Dömitz bis Plau), 9/25 km/h* (Plau bis Buchholz)
Müritz-Havel-Wasserstraße (MHW) Länge: 31,5 km (Abzweigung aus der MEW bis Einmündung in die OHW), Schleusen: 4, Durchfahrtshöhe: 4,00 m, Tiefgang: 1,40 m, Höchstgeschwindigkeit: 9/25 km/h*
Rheinsberger Gewässer (RhG) Länge: 13 km (Abzweigung aus der MHW bis Rheinsberg/Grienericksee), Schleusen: 1, Durchfahrtshöhe: 3,65 m (Kleinzerlang), Tiefgang: 1,40 m, Höchstgeschwindigkeit: 9/25 km/h*
Obere Havel-Wasserstraße (OHW) Länge: 94 km (Neustrelitz/Zierker See bis zur Einmündung in die Havel-Oder-W.), Schleusen: 11, Durchfahrtshöhe: 3,41 m (Voßwinkel), Tiefgang: 1,40 m, Höchstgeschwindigkeit: 9/25 km/h*
* auf Seen und seenartigen Erweiterungen mit einer Breite von mehr als 250 m beträgt die erlaubte Höchstgeschwindigkeit 25 km/h (außerhalb des 100 m breiten ufernahen Schutzstreifens).
Binnenkarten Atlas 2: Mecklenburgische Seenplatte (Neuauflage 2015). Format: A3, Ringbindung, 28 Karten plus Planungskarten. Mit nautischen Revierinformationen. ISBN 978-3-944082-14-1, Preis: 39,90 €. www.kartenwerft.de
Von Berlin zur Müritz Törnführer. Autor: Bodo Müller. gebunden, 96 Seiten, 61 Fotos, 37 Pläne. Nautische und touristische Informationen. ISBN 978-3-89225-278-8, Preis: 29,90 €. www.delius-klasing.de