Unbekannt
· 21.12.2015
Hoher Himmel, weiter Blick: Ein Törn über die Flüsse und Kanäle Ostfrieslands macht bei einer frischen Brise den Kopf wieder frei.
Warum eigentlich Ostfriesland? "Das liegt doch am Ende der Welt, wo sich Hasen und Füchse gute Nacht sagen". Doch das Vorurteil ist zugleich größter Vorzug einer Region, in der die Uhren vielleicht etwas langsamer gehen und die "Segnungen" kommerzieller Entwicklungen etwas behutsamer voranschreiten als anderswo. Mit der Folge, dass wir in dem Gebiet zwischen Ems und Jade unzersiedelte Landschaften durchfahren, deren Ursprünglichkeit vom intensiven, ständig wechselnden Licht unverwechselbare Konturen bekommt. Das bleibt im Kopf.
Aber auch der Fortschritt hinterlässt in Ostfriesland bemerkenswerte Bilder: Von den Holländerwindmühlen, die vorwiegend der Entwässerung dienten, sind nur wenige geblieben. Umso eindrucksvoller sind dafür die modernen Windräder zur Stromerzeugung über Wiesen und Felder in den Himmel gewachsen.
Und dann: Sehenswerte, quirlige Städtchen wie Leer, Emden und Aurich. Wassersportzentren, wo niemand sie vermutet, wie Barßel und Timmel. Fehndörfer wie Rhauderfehn, Großefehn und Elisabethfehn. Überspannt von fliegenden Wolken, träumen wir von der "Friesischen Freiheit" und lassen die Seele baumeln.
Wir nähern uns über Weser und Hunte. Wie schon die Weser unterhalb von Bremen ist auch die Hunte Tidengewässer. Da macht es Sinn, am Sportbootanleger im Elsflether Stadthafen festzumachen, das Städtchen und sein Schifffahrtsmuseum (www.schiffahrtsmuseum-brake.de) zu besuchen und den richtigen Zeitpunkt für den Aufbruch nach Oldenburg abzuwarten. Am Schwimmsteg gibt es Wasser und Strom. Duschen und WC sind im Restaurant "Panorama" untergebracht. An der Pier liegt die "Großherzogin Elisabeth": "Lissi", einst Frachtensegler, dann Küstenmotorschiff und schließlich wieder Dreimastschoner für Reisen unter Segeln, wird von einem Schulsschiffverein in Fahrt gehalten (www.grossherzogin-elisabeth.de).
Auf der Hunte sind die Brücken ein besonderes Thema: Die Eisenbahnbrücke Elsfleth-Orth und die Hubbrücke Huntebrück sind beweglich und öffnen auf An-forderung (UKW-Kanal 73). Ihre Durchfahrtshöhen in geschlossenem Zustand betragen 4,50 bzw. 4,30 m bei MThw. Brückenpegel sind vorhanden. Achtung an der Hubbrücke: Revierkenner sagen, dass es wegen der starken Strömung problematisch sein kann, bei mitlaufendem Wasser vor der Brücke zu drehen! Die Eisenbahnbrücke in Oldenburg ist bei MThw nur 1,9 m hoch. Sie öffnet neunmal am Tag zu festen Zeiten nach Anmeldung. Signal: Zwei lange Töne oder Kontakt über UKW-Kanal 73. Vor der Brücke soll gekreuzt, aber nicht angelegt werden.
Wenig oberhalb erreichen wir Oldenburg. Im Wendehafen (einlaufend backbord) liegen die Boote des Oldenburger Wassersportvereins (www.owv-ol.de), im Stadthafen am Stau (recht voraus) der Schwimmsteg des Oldenburger Yacht-Clubs (www.oyc.de). Beide Clubs bieten Wasser und Strom am Steg und teilen sich einen zu kleinen Sanitärtrakt in einem Wohnhaus am Hafenbecken des OWV. Das lässt sich verschmerzen, denn beide Häfen liegen unmittelbar am Stadtzentrum unweit vom Schloss, heute Landesmuseum für Kunst- und Kulturgeschichte. An der Hafenpromenade gegenüber gibt es Hafenpanorama und leckeres Essen im Restaurant "Der Schwan".
Beide Clubs haben übrigens weitere Liegeplätze in einem Huntearm (Neue Hunte) unterhalb der Schleuse Oldenburg. Auf dem Weg dorthin ist die Cäcilien-Hubbrücke (UKW-Kanal 73) zu passieren, die geschlossen bei MThw nur 0,5 m lichte Höhe bietet. Offen sind es 3,5 m mehr. Der 68 Kilometer lange, eintönige Küstenkanal ist eigentlich keiner Erwähnung wert. Aber: Bei km 29,3 zweigt der Elisabethfehnkanal vom Küstenkanal ab. Er würde uns auf kürzestem Weg zur Leda und damit ins ostfriesische Leer bringen. Ein Brückenschaden in Elisabethfehn macht die durchgehende Passage zunächst jedoch unmöglich und wir müssen dem Küstenkanal weiter folgen. Der Elisabethfehnkanal bleibt für den Rückweg.
Bei KüK-km 55 erleben wir eine Überraschung: den kuscheligen Hafen des Yachtclubs Surwold (www.yachtclub-surwold.de) an der Einmündung des Splitting-Kanals. Das von einer Baumreihe eingerahmte Hafenbecken bietet 30 Liegeplätze für Boote bis 15 m Länge und 1,40 m Tiefgang. Wasser und Strom am Steg. Duschen und WC sind im backsteinernen Clubhaus untergebracht. Dort steht auch eine Handkarre mit Kanistern für den Weg zur Tankstelle beim Netto-Markt auf der Südseite der Kanalbrücke (600 m). Im Unterwasser der Schleuse Dörpen liegt in einer Ausbuchtung am Nordufer in ländlicher Umgebung der Hafen des WSV Lehe, den wir aus zeitlichen Gründen aber nicht anlaufen können.
Über die Schleuse Dörpen erreichen wir das Ende des Küstenkanals und laufen in den Dortmund-Ems-Kanal ein. Im Unterwasser der Schleuse Herbrum haben wir die Tidenems erreicht. Fünf Stunden nach Hochwasser Herbrum zeigen die eingedeichten Emsufer schon viel Schlick. Aber bis Niedrigwasser im 26 Kilometer entfernten Leer sind es noch knapp zwei Stunden und so werden wir den größten Teil der Strecke mit dem Ebbstrom emsabwärts fahren. Vorbei an Papenburg, wo die gewaltigen Werkshallen der Meyer-Werft lange Zeit das Blickfeld dominieren, erreichen wir endlich Ostfriesland.
Bei km 14 verlassen wir die Ems und biegen in die Leda ein, die uns nach zwei Kilometern zur Seeschleuse Leer führt. Trotz fester Zeiten für kostenlose Sportboot-Schleusungen sind die Schleusungen wasserstandsabhängig und man sollte für die Seeschleuse Leer unbedingt tagesaktuelle Informationen einholen (Tel. 0491-927 70 41; UKW-Kanal 13 "Leer Lock"). Dazu koordiniert der Hafenmeister der City-Marina die Öffnung der Dr.-vom-Bruch-Brücke (Rathausbrücke) und der Nessebrücke im Binnenhafen in Abstimmung mit den Schleusungen.
Und noch etwas: Am Wartesteg zur Seeschleuse steht sehr starker Strom. Kippt die Tide während der Wartezeit, kann sich üppiges Geäst am Heck des Boote verfangen. Wir haben das erlebt und hatten gut zu tun, um wieder freizukommen. Revierkenner sagen, dass die hohe Strömungsgeschwindigkeit auf der Leda mit der Emsvertiefung zu tun habe, die man der Überführung der großen Kreuzfahrtschiffe von der Meyer-Werft "verdanke".
Mit seinen prächtigen Türmen und Giebeln ist Leer nicht nur das "Tor", sondern für mich auch die "Perle Ostfrieslands". Kein Wunder also, dass das beliebte Tourenskippertreffen unter dem Motto "Leer Maritim" in diesem Jahr zum 35. Mal stattfindet und Gäste auch weiteste Anfahrten hierher gern in Kauf nehmen.
Wenn es an der städtischen Marina überhaupt etwas zu mäkeln gibt, dann ist es der klobige Holzzaun, der sich längsseits der Promenade zwischen Boot und Gehweg drängt und für weniger athletische Wassersportler kaum zu überwinden ist. Infrastruktur und Lage direkt an der Altstadt sind aber perfekt. Und was es hier nicht gibt, nämlich Slip und Kran, findet man beim Seglerverein Leer, dessen Hafen 300 m oberhalb der Seeschleuse in den Stadthafen einlaufend an backbord liegt.
Für Teefreunde ist der Besuch des Bünting-Teemuseums ein Muss (Brunnenstraße 33). Wer eine große oder kleine Teezeremonie erleben will, meldet sich am besten an (www.buenting-teemuseum.de).Eine echt ostfriesische "Teetied" mit "Kluntje" (Kandis) und "Wulkje" (Sah-newolke) ist unvergesslich. Das "Haus Samson" aus dem Jahr 1570 ist eines der schönsten Häuser in Leer. Im Erdgeschoss befindet sich eine renommierte Weinhandlung, oben ein privates Museum ostfriesischer Wohnkultur.
Das Gezeitenrevier von Leda und Jümme erstreckt sich von Leer in östlicher Richtung bis Barßel. Die südlichen Nebengewässer der Leda, der Hauptfehnkanal bis Rhauderfehn und die Sagter Ems bis Strücklingen unterliegen ebenfalls der Tide. Die Schleuse Osterhausen, oberhalb des Zuflusses der Sagter Ems zur Leda, verhindert, dass auch der Elisabethfehnkanal den Gezeiten unterworfen ist. Die gleiche Funktion hat die Schleuse NGFK I für den nördlichen Teil des Nordgeorgsfehnkanals, dessen südlichster Teil zwischen NGFK I und Jümme bei Niedrigwasser sogar trocken fällt.
Wer im Leda-Jümme-Revier optimale Tidenströme nutzen und ausreichende Wassertiefen haben will, sollte folgende Faustregel beachten: Bei Fahrt von West nach Ost (also beispielsweise von Leer nach Barßel) sollte der Start an der Seeschleuse Leer etwa eine halbe Stunde vor dem örtlichen Hochwasser erfolgen. In umgekehrter Richtung (also von Ost nach West) etwa ein bis zwei Stunden vor dem örtlichen Hochwasser.
In wilden Windungen zieht die Leda durch flaches, grünes Land. Schwierige Passagen sind mit Spieren bezeichnet. Ein paar Einzelhöfe im weiten Grün, sonst nichts. Das ist nicht spetakulär, aber beruhigend. Die Brücke Potshausen, bei NW nur 0,6 m hoch, öffnet nach rechtzeitiger telefonischer Anmeldung ohne weitere Aufforderung. In östlicher Verlängerung der Leda führen Dreyschloot und Barßeler Tief (betonnt) in eine seenartige Verbreiterung der Soeste: Barßel und die Barßeler Häfen sind erreicht.
Mit zwei Clubhäfen (WSC-Soeste und WSC Poseidon) und einem Gemeindehafen ist Barßel im Saterland ein beliebtes Wassersportzentrum. Eine weitere Clubanlage liegt im Nordloher Tief am Nordrand des Städtchens. Der Steg des WSC Neptun ist allerdings mit 1 m Tiefgang nur von 2 Stunden vor bis 2 Stunden nach Hochwasser anlaufbar. Regional isst man im Restaurant "Müllerhaus" neben der Ebkensschen Mühle, einer um 1720 erbauten, vollständig erhaltenen Holländerwindmühle.
Gewissensfrage: Lohnt es sich, die Sagter Ems bis nach Strücklingen hinaufzufahren? Offen gesagt: nein. Weder der Ort, noch die etwas betagte Steganlage des WSV Strücklingen machen diesen sieben Kilometer langen Abstecher zum Muss. Nur knapp zwei Kilometer von der Einmündung in die Leda entfernt, liegt in der Sagter Ems unterhalb der Brücke Osterhausen die Steganlage des WSV Elisabethfehn (Wasser, Strom, Dusche, WC). Wer in ländlicher Abgeschiedenheit eine Nacht verbringen möchte, liegt hier richtig.
Echte friesische Fehndörfer kann man mit dem Boot nirgendwo besser "erfahren", als beim Abstecher auf dem Hauptfehnkanal. Wobei ich zugeben muss, dass wir das schönere Westrhauderfehn von Ostrhauderfehn im Sattel ansteuern. Warum? Weil wir an der Teilung des Kanals in West- und Ostarm im wahrsten Sinn "die Kurve nicht gekriegt" und uns an der Einbiegung in den Westarm im Modder festgefahren haben. Aus eigener Kraft wieder freigekommen, war uns ein zweiter Versuch zu mulmig und so richteten wir den Bug in den Ostarm – und auf die Schleuse Ostrhauderfehn.
Von nun an hatte Günter Lüken das Kommando: Bei echt friesischem Schweinewetter fungiert er als Schleusen-, Brücken- und Hafenwart und verschafft uns den einzigen Gastliegeplatz an der ge-klinkerten Kaimauer des alten Wendehafens von Ostrhauderfehn. Strom bekommen wir vom benachbarten Clubschiff "Osterfehn" und frisch gezapftes Bier vom "Dampfschiff", dem ebenfalls im Wendehafen liegenden Gastronomiedampfer. Da lässt es sich verschmerzen, dass die nächsten Sanitäranlagen am Wohnmobil-Stellplatz (Hauptstraße 117), gut einen Kilometer entfernt sind. Dafür liegen Aldi und ein Combi-Markt um die Ecke und zur Score-Tankstelle sind es auch nur 400 m.
Die Leda zu Tal, vorbei an Leer, raus auf die Ems. Ablaufendes Wasser, West mit 3 bis 4 Beaufort. Da steht Wind gegen Strom und die schlickgraue Ems wirft kurze, hackige Wellen. Das dürfte unterhalb vom Ems-Sperrwerk in Gandersum Richtung Emden nicht besser werden. Also rufe ich die Schleuse Oldersum (UKW-Kanal 13), die bei Ems-km 30 in den ruhigen Ems-Seitenkanal und von dort über die Schleuse Borßum zum Ziel führt, nämlich zum Emder Binnenhafen.
"Wenn du Gas gibst, kommst du noch mit" verspricht der Schleusenwärter, und wenig später gesellen wir uns zu den schon in der Schleuse wartenden Booten. "Wenn ihr in den Emder Binnenhafen wollt, melde ich euch in Borßum an", sagt der freundliche Schleusenmeister. "Ihr braucht ungefähr eine Stunde". Mehr Service geht nicht. Nach genau 55 Minuten laufen wir in die bereits geöffnete Kammer in Borßum und wenig später in den Emder Industriehafen ein.
Auf dem Weg zu den zentrumsnahen Sportbootliegeplätzen im Alten Binnenhafen liegt ein weiteres Hindernis vor uns: Die Eisenbahn- und Straßenbrücke, die geschlossen nur 1,60 m Durchfahrtshöhe bieten. Wieder haben wir Glück: Der nächste Brückenzug ist in zehn Minuten. Wenig später machen wir auf der Ostseite des Alten Binnenhafens unterhalb des Wohnmobilplatzes fest. Das Sanitärgebäude ist nur 150 m entfernt. Außerdem am Falderndelfts: eine Straßentankstelle. Mit weniger Aufwand kann man per Kanister kaum tanken.
Dazu liegen wir mitten im Zentrum: 500 m sind es zum Ratsdelft mit Rathaus und dem Feuerschiff "Amrumbank/Deutsche Bank", das Museum und Restaurant beherbergt. Gegenüber: Alter Markt und Stadtgarten, mit Restaurants, Cafés und einem guten Italiener. Während der "Emder Matjestage" (letzte Maiwoche) und des "Delft- & Hafenfestes (Mitte Juli) geht es hier richtig rund. Viele Skipper steuern Emden extra wegen dieser Partytage an. Zur "Hochkultur" gehört die Emder Kunsthalle: Das Haus ist ein Geschenk des Verlegers Henri Nannen und seiner Frau Eske an ihre Heimatstadt.
Wie verbindet man vier Wasserstraßen mit unterschiedlichen Wasserständen für die Schifffahrt? In Emden hat man schon 1887 eine Antwort gefunden: Mit einer "Rundkammerschleuse" und vier davon abzweigenden kleineren Kammern. Wird ein Boot über eine dieser vier Kammern in die runde Zentralkammer geschleust, kann es diese in drei Richtungen wieder verlassen. Das in Europa einzigartige Bauwerk ist als "Kesselschleuse" bekannt und eine besondere Attraktion.
Falderndelft und Rotes Siel führen vom Alten Binnenhafen direkt zur Kesselschleuse. Die drei beweglichen Brücken werden nach Anmeldung vom Hafenmeister bedient (0160-3 62 47 44). Dann bietet die Kesselschleuse drei Fahr-optionen: Geradeaus in den Ems-Jade-Kanal Richtung Aurich und Wilhelmshaven, nach Norden (einlaufend backbord) in den Emder Stadtgraben und das Trecktief Richtung Hieve, Großes Meer und Marscher Tief bis zum Hafen des WSV Dre Deep Loppersum, oder Richtung Süden in das Fehntjer Tief nach Timmel.
Die Fahrt über das Fehntjer Tief nach Timmel ist eine Halbtagesetappe von 26 Kilometern Länge. Der Bootssportverein Boekzetelermeer und die Gemeinde Großefehn teilen sich ein Hafenbecken, das hart backbord hinter der Straßenbrücke der L 14 angesteuert wird: Am Ostufer der Club, am Westufer die Gemeinde. Beide Häfen bieten Wasser, Strom, Sanitäranlagen, Fäkalien-Absaugstation und Slip – und sind zudem nur einen Steinwurf vom herrlichen Badestrand am Timmeler Meer entfernt, das übrigens auch als Angelgewässer taugt.
Doch das bis nach Holland bekannte Törnziel schwächelt: Das Fehntjer Tief verschlammt zunehmend und bietet zwischen Petkumer Klappe (einer selbst zu bedienenden Brücke) und der Autobahnbrücke der A 31 nur noch eine reale Wassertiefe von 0,8 bis max. 0,9 m. Hermann Buß, Vorsitzender des Bootssportvereins, berichtet frustriert, dass die katastrophale Situation der Landesregierung bekannt, aber niemand bereit sei, die Ursachen zu beseitigen. Die zuständigen Stellen verweisen darauf, dass das Fehntjer Tief in erster Linie der Entwässerung diene und die Tiefe für diesen Zweck ausreichend sei. Fakt ist: Ohne Ausbaggerung ist der Wassersport in Timmel in wenigen Jahren tot. Da stellt sich die Frage, ob die Politik bereit ist, diesen weiteren touristischen Verfall billigend in Kauf zu nehmen...
Timmel, Kesselschleuse, Emder Stadtgraben, Trecktief, Hieve (Kleines Meer) und Marscher Tief bis zum Hafen des WSV Dre Deep: Diese rund 35 km rutscht man in einem Tag durch. Aber: Die Strecke lässt nur Boote mit maximal 1 m Tiefgang und einer Höhe zu, die 2,50 m über der Wasserlinie nicht überschreitet.
Aber der Abstecher lohnt: Am Kleinen Meer, auch "Hieve" genannt, durchfahren wir ein beliebtes Freizeit- und Erholungsgebiet, an dessen See- und Kanalufern die sogenannten "Seebuden" schönes Wohnen am Wasser garantieren. An der Ausfahrt Richtung Marscher Tief wird die Hieve extrem flach. Die nur rund 1 m tiefe Rinne ist zudem sehr schmal. Dank einer Initiative des "Teams Wassersport Ostfriesland" ist diese Passage seit 2013 jedoch betonnt. Das Marscher Tief führt durch die Einsamkeit und Stille am Rande der breiten Schilfgürtel des Landschaftsschutzgebietes "Großes Meer". Motorisiert darf er nicht befahren werden.
Gut einen Kilometer nördlich vom Großen Meer erreicht man über das Marscher Tief den idyllisch umwaldeten Hafen des WSV Dre Deep Loppersum. Im Hafen gibt es Wasser, Strom und Sanitäranlagen im Clubhaus. Achtung: Die Fußgängerbrücke über der Einfahrt ist 2,55 m hoch!
Nun fehlt noch die Ostausfahrt der Kesselschleuse, also der Ems-Jade-Kanal, die wichtigste Binnenverbindung zwischen Emden und Wilhelmshaven. Ende des 19. Jahrhunderts wurde er gebaut, weil Preußen seinen auf oldenburgischem Territorium gelegenen Kriegshafen Wilhelmshaven auf dem Wasserweg mit dem ebenfalls preußischen Ostfriesland verbinden wollte, um den Nachschub von Waffen und Munition aus dem Ruhrgebiet zu sichern. Der Kanal hatte also primär militärstrategische Bedeutung. Heute dient er jedoch so gut wie ausschließlich dem Tourismus.
Auf der 72 Kilometer langen Fahrt von Emden nach Wilhelmshaven ist Aurich nicht nur ein wichtiges, sondern auch sehenswertes Etappenziel: Die "heimliche Hauptstadt Ostfrieslands", über Jahrhunderte Residenz der ostfriesischen Fürsten, ab Mitte des 18. Jahrhunderts Regierungshauptstadt der preußischen Provinz Ost-friesland, nach dem Krieg Sitz der ostfriesischen Bezirksregierung. Heute ist Aurich "nur" noch Sitz des Landkreises, aber immer noch Heimat der "Ostfriesischen Landschaft", der wichtigsten Kulturinstitution der Region, die im Landschaftshaus am Georgswall untergebracht ist. Im hübschen Stadtkern kann man gemütlich bummeln und shoppen.
Der Auricher Hafen (EJK-km 25,5) wurde vor einigen Jahren komplett umgestaltet. Aus dem Betriebshafen der Schifffahrtsverwaltung wurde ein Sportboothafen mit 30 Liegeplätzen in komplett neuem Becken (Neuer Hafen) und Plätzen an einer Steganlage am Südufer des Kanals nördlich der Hafenbrücke. Wasser, Strom, und Sanitäranlagen sind vorhanden. Die Fäkalien-Absauganlage ist mangels Wassertiefe für "normale" Boote leider nicht erreichbar. Direkt am Hafen gibt es das empfehlenswerte Balkan-Restaurant "Jugoslavija". Zum Supermarkt im "Carolinenhof" (Fischteichweg) sind es 800 m.
Der Hafen von Wiesens oberhalb der gleichnamigen Schleuse (km 32,8) gilt als ländliche Alternative zu Aurich. Aber die dörfliche Infrastruktur ist so bescheiden, dass man wirklich wissen sollte, worauf man sich einlässt.
Die Steganlage des WSV Marcardsmoor (EJK-km 42,0) (www.wsv-marcardsmoor.de) ist ideal, wenn man am nächsten Morgen die Fahrt auf dem Nordgeorgsfehnkanal (NGFK) antreten will. Denn dieser Steg liegt nur 200 m westlich der Einmündung des NGFK in den EJK. Der parallel zum Ufer verlaufende Feststeg ist 240 m lang, bietet Wasser- und Stromanschluss sowie Duschen und WC im Clubhaus. Der "Schützenhof" an der Wittmunder Straße (600 m) ist ein einfacher Landgasthof mit rustikalem Essen. Gleich nebenan gibt es eine Straßentankstelle und eine Handkarre für den Kanistertransport beim WSV.
Für die Fahrt auf dem Nordgeorgsfehnkanal sollte man sich mindestens zwei Werktage vor dem gewünschten Fahrtantritt anmelden. So steht es auf der Internetseite des Niedersächsischen Landesbetriebes für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (www.nlwkn.de).
Die angemeldeten Boote treffen sich zum vereinbarten Zeitpunkt an der Eingangsschleuse, in diesem Fall der NGFK VII (Wiesmoor Nord). Dabei passiert man die Schleuse NGFK VIII, die immer offen steht. Unser "Konvoi" besteht aus zwei Booten. Um 10 Uhr geht es los, Brücken und Schleusen werden wie von Zauberhand bedient. Ein "Moin" hier, ein "Moin" da, die herbe Herzlichkeit der Fehntjer Menschen kennt kein dummes Gequatsche, und um 15 Uhr haben wir den Wartesteg vor der letzten Kanalschleuse NGFK I in Brückenfehn erreicht.
Erinnern Sie sich? Natürlich: Unterhalb dieser Schleuse ist der Kanal mit Anbindung an Jümme und Leda tidenabhängig und fällt bei Niedrigwasser sogar trocken. Und so sehen wir zwei Stunden vor Niedrigwasser viel Schlick und wenig Wasser im Kanalbett unterhalb. Wir müssen warten. Zum Glück ist unser "Begleitboot" mit einem heimischen Skipper besetzt, der nicht nur die Gewässer sehr gut kennt, sondern auch das hiesige Bedienungspersonal. Die Schleuserin verspricht eine Schleusung für 20 Uhr, was rund 3 Stunden vor Hochwasser und natürlich weit außerhalb normaler Betriebszeiten ist. Aber: Wenn nicht jetzt, hieße das, weitere 12 Stunden auf das nächste Hochwasser warten, mit erheblichen zeitlichen Konsequenzen für den weiteren Törnverlauf.
Warum? Weil am Ende des NGFK unmittelbar vor der Einfahrt in die Jümme in Stickhausen eine Straßen- und Eisenbahnbrücke liegt, die für uns nur bei Niedrigwasser zu passieren ist und selbst dann nur eine lichte Höhe von 2,65 m hat! Das nächste Niedrigwasser in Stickhausen ist morgen früh um 4.45 Uhr.
Rund eine Stunde brauchen wir von der Schleuse bis zum Wartesteg vor der Brücke. Hier ist jetzt bald Hochwasser und wir sehen den flachen Schlitz zwischen Wasser und Brückenunterkante. Noch ein Bier zur Beruhigung, dann legen wir uns aufs Ohr. Um vier Uhr ist Wecken angesagt: Es ist dunkler als erhofft. Die Brücken voraus sind nur zu ahnen. Unser Begleiter ist mit einem soliden Bordscheinwerfer ausgerüstet und übernimmt die Führung. In seinem Kielwasser bahnen wir uns unter den Brücken hindurch. Keine Ahnung, wieviel Platz wir noch nach oben haben.
Die Jümme ist erreicht und damit der Steg des WSC Jümme (www.wsc-juemme.de), der nur 200 m westlich der Kanaleinmündung am Nordufer liegt. Vorsichtig tasten wir uns mit dem Handscheinwerfer an den Steg heran. Natürlich kennt sich unser Begleiter auch hier aus und schlägt uns vor, ihn zum Clubhaus mit Sanitäranlagen zu begleiten. Das nehmen wir natürlich gern an.
Erfrischt verlassen wir um 7 Uhr den gastlichen WSC Jümme. Um 12 Uhr startet in Osterhausen, der Eingangsschleuse in den Elisabethfehnkanal, die Konvoifahrt Richtung Küstenkanal. Diesen Termin wollen wir nicht verpassen. Zehn Kilometer Jümme (gegen den Strom) und 16 Kilometer Leda (mit dem Strom) liegen nach gut drei Stunden hinter uns, der wieder befahrbare Elisabethfehnkanal und die Schleuse Osterhausen vor uns.
Genau um diese Schleuse geht oder ging es beim Konflikt um den Erhalt des Kanals für die Sportschifffahrt. Nach aktuellem Stand scheint seine Zukunft jetzt gesichert: Der zwingend notwendige Neubau der Schleuse Osterhausen hat alle politischen Hürden genommen. Laut der Bürgerinitiative "Rettet den Elisabethfehnkanal" (www.elisabethfehnkanal.de) wird zur Zeit diskutiert, wie die Bedienung der Schleusen und Brücken langfristig gewährleistet werden kann.
Unser "Konvoi", immer noch zwei Boote, startet pünktlich. Auf dem kürzesten denkbaren Binnenweg lassen wir die ostfriesischen Gewässer hinter uns, beeindruckt von der friedlichen Stimmung des Elisabethfehnkanals. Für das Moor- und Fehnmuseum in Elisabethfehn (www.fehnmuseum.de) bleibt uns bei diesem Törn leider keine Zeit. Unser Heimathafen in Hamburg ruft!