TörnPeene und Achterwasser - Raus in die Natur

Unbekannt

 · 25.06.2017

Törn: Peene und Achterwasser - Raus in die NaturFoto: Christian Tiedt

Im Spätsommer auf der Peene zur Sonneninsel Usedom – ein stimmungsvoller Chartertörn zwischen binnen und buten, vom Schilfrand zum Sandstrand.

Törnplanung vor der Abfahrt in Neukalen
Foto: Christian Tiedt

Das letzte Stück ist so steil, dass wir absteigen und die Fahrrä­der schieben müssen: Über Wurzeln, Blätter und Steine stemmen wir unsere plötzlich so störrischen Drahtesel mit schlitternden Rädern auf den schmalen Waldweg nach oben, während über uns die Sonne unschuldig durch das schattige Blätterdach funkelt. Doch das Ziel ist in Sicht: Der letzte Absatz wird mit Schwung genommen, und wir stehen auf dem "Gipfel" des Streckelsbergs – des höchsten Punkts entlang der Küste Usedoms.

Belohnt werden wir mit einem fantastischen Panorama: unter uns das sandige Kliff, dessen Kante fast sechzig Meter zum Strand hin abfällt, und dahinter bis zum Horizont die tiefblaue Ostsee.

Weiße Segel sind zu sehen, jagende Jetskier, ein Kreuzfahrtschiff weit draußen, selbst die Greifswalder Oie mit ihrem Leuchtturm steht klar wie ein Scherenschnitt am Horizont. Für uns ist dieser Augenblick in luftiger Höhe (bevor es wieder hinuntergeht und wir uns bei der Seebrücke von Koserow endlich in die Brandung stürzen) in gewisser Weise auch der Höhepunkt unserer Reise. Denn genau so hatten wir es uns vorgenommen, als wir vor wenigen Tagen weit im Binnenland mit unserer Charteryacht starteten:

Auf der Peene sollte es über den Peenestrom und das Achter­wasser bis nach Usedom gehen – vom Schilfrand zum Sandstrand!

Törnstart in Neukalen

Freitagnachmittag treffen wir am kleinen Hafen von Neukalen ein. Unter Sonnenschirmen gönnen sich Ausflügler im "Gasthaus am Hafen" und am "Pier 2" die erste Erfrischung des Tages, und an den bunten Bootshäusern bereiten sich Einheimische eifrig auf ein weiteres Wochenende auf dem Wasser vor. Dazwischen warten eine Handvoll Charteryachten mit Heck zum Steg auf ihre neuen Crews. Die Boote – sämtlich Stahlverdränger – gehören zur Flotte von Yachtcharter Schulz.

Das Unternehmen aus Waren betreibt hier einen seiner sechs Stützpunkte und bietet neben Binnentörns im Peenerevier auch weiterführende Einwegfahrten an. Unsere "Lotte", eine 12-Meter-Stahlyacht vom Typ Schulz 40, ist dank ihres himmelblauen Rumpfes schnell ausgemacht. Auch die Übergabe geht zügig über die Bühne, sodass wir im Anschluss sofort Vorräte bunkern können. Zwei Supermärkte (Netto und Edeka) sind mit dem Auto nur wenige Minuten entfernt.

Wir bringen die Einkäufe und unser Gepäck an Bord und machen es uns danach erst einmal unter dem Verdeck auf dem Achterdeck bequem. Das wird uns in der nächsten Woche aber zum Glück nur vor einem schützen müssen – zu viel Sonne.

Über knapp einhundert Kilometer zieht sich die Peene durch die eiszeitliche Moränenlandschaft Vorpommerns, unreguliert und unverbaut – ein kleines Paradies für alle, die die Ruhe in der Natur suchen. Und dazu gehören nicht nur Biber, Fisch­otter und Seeadler, sondern auch Wasserwanderer in Kanu und Kajak, in Aben­teuerflößen – oder sogar Charteryachten.

In aller Frühe werfen wir die Leinen los und folgen dem schmalen, schnurgeraden Neukalener Peenekanal mit der Sonne im Gesicht über zwei Kilometer bis zum Kummerower See, einer glitzernden Wasserfläche von immerhin zehn Kilometer Länge und mehr als drei Kilometer Breite.

Vor seinem flachen Westufer gleich nördlich des Kanals fällt unser Eisen auf drei Meter Wassertiefe zur Kaffeepause. Motor aus, Stille! Nur ein warmer Hauch streicht über das Wasser. Keine Herausfor­ derung für die große, silbrig schillernde Libelle, die uns im Schwebeflug beobach­tet.

Im trockenen Schilf knackt und knis­ tert es, doch zu sehen ist nichts. Welcher Wasserbewohner wohl dort sein Wohn­ zimmer im Zwielicht hat? Wir wollen je­ denfalls nicht zu lange stören. Anker auf!

Nun folgen wir dem Kummerower See (und dem Tonnenstrich) nach Nordwes­ten. Bei dem kleinen Dorf Verchen fließt die Peene – jetzt ein ordentlicher Fluss – aus dem See ab. Beim Wasserwanderrast­ platz auf dem rechten Ufer herrscht aus­ gelassene Wochenendstimmung.

Augen auf, denn hier kreuzt nicht nur eine kleine Personenfähre, sondern auch der eine oder andere Schwimmer. Auf dem Ufer gegenüber liegt nämlich die „Aalbude", ein Ausflugslokal, das es mit Recht zu ei­ner gewissen regionalen Bekanntheit ge­bracht hat.

Auch hier gibt es längsseitige Liegeplätze, von denen wir noch einen er­gattern. Frischer Fisch zu gutem Preis! www.ausflugsrestaurant-aalbude.de

Der Mittellauf der Peene, der nun folgt und bis Demmin bei Kilometer 30 reicht, zeigt, warum die Bezeichnung „Amazonas des Nordens" mehr als nur ein Etikett cle­veren touristischen Marketings ist: Schlei­fe um Schleife schlägt der noch recht schmale Fluss, und die wenigen Durchsti­che und Begradigungen wirken Dank der üppigen Natur, die ins Wasser hinein­ drängt, ebenso ursprünglich.

Feuchtwiesen, Quellmoore und Auensäumen die Ufer, Altarme voller Schilf zie­hen vorbei, Grüppchen von Birken und Erlen dazwischen. Auf sandigen Erhebun­gen haben Kiefern Wurzeln geschlagen, manchmal sogar Misch­ und Laubwald. Die deutlichsten Spuren menschlichen Eingriffs sind die Torfstiche zu beiden Seiten, doch diese Scharten, die einst beim Abbau des billigen Brennstoffs in den moorigen Boden geschlagen wurden, sind längst zu Lagunen geworden, die Pflanzen und Tieren als weiterer Rückzugsraum dienen.

2011 wurde schließlich der Natur­ park Flusslandschaft Peenetal gegründet, der das gesamte Stromgebiet umfasst.
Die sengende Sonne trägt dazu bei, dass wir uns tatsächlich wie in den Tropen füh­len. Da werden frei stehende Wurzeln in der Fantasie schnell zu Mangroven und Graureiher zu Flamingos.

Zum Glück tummeln sich keine Piranhas im schläfrig murmelnden Heckwasser, sondern höchs­ tens harmlose Neunaugen ...

Mitten im Urwald taucht plötzlich ein turmhoher Backsteinspeicher auf: Dem­min! Kurz vor der Klappbrücke biegen wir bei Kilometer 29,5 links in einen Altarm ein. Wir wollen zum Wasserwanderrast­platz, der vom Segelclub Blau-Weiß be­trieben wird. Zur der ruhigen Anlage mit Pfahlboxen (Strom und Wasser am Steg, Brötchenservice) gehört ein kleines Sani­tärgebäude; sie liegt einen knappen Kilo­meter vom Stadtzentrum entfernt.

Auf dem Weg dorthin passiert man noch vor der Klappbrücke das mit einer Holzpalisade umschlossene „Hanseviertel Demmin". Hier geht es im Sommer mittel­ alterlich zu: Man bekommt Einblick in Lebensweisen und Handwerk aus der Zeit, als der Ort tatsächlich Hansestadt war. www.hanseviertel-demmin.de

Weiter zur Stadtmauer, an farbenfroh aufgehübschter Wohnplatte vorbei zum sehr aufgeräumten Markt mit dem erst vor wenigen Jahren rekontruierten preußi­schen Rathaus und dem wirklich impo­santen Turm von St. Bartholomaei dahinter, ein schönes Beispiel norddeutscher Backsteingotik.

In ihrem Schatten sozusagen kehren wir bald darauf in der „Taverna Alexandros" am Markt ein – die uns als bestes Restaurant Demmins empfohlen wurde. Auch uns hat es gefallen!

Um kurz vor neun Uhr am Folgetag liegen wir im Oberwasser der Kahldenbrücke Demmin bereit. Wie die beiden anderen Klappbrücken in Loitz und Anklam ist auch sie in geschlossenem Zustand zu niedrig für größere Kajütboote. Somit gibt es auf der ganzen Strecke zwar nur drei echte Törnhindernisse, die jedoch wegen der seltenen Öffnungszeiten und der großen Entfernungen eine genauere Planung voraussetzen als auf so manchem von Schleusen geprägten Revier.

Pünklich schließen die Schranken, und mit den Waagenbalken hebt sich die Fahrbahn und macht den Weg für uns frei. In Demmin beginnt der Unterlauf der Peene. In kurzer Abfolge stoßen hier zwei Nebenflüsse hinzu: die Tollense bei Kilometer 29,1 und die Trebel bei Kilometer 31,2. Sie lassen die Peene auf die doppelte Breite anschwellen und ihre Schleifen weiter werden.

An der gemächlichen Fließgeschwindigkeit ändert das jedoch nichts: Das kaum wahrnehmbare Gefälle von nur 24 Zentimetern auf 100 Kilometern führt sogar bisweilen dazu, dass der Fluss bei anhaltendem Ostwind bergauf fließt.
Höfe sieht man nur selten auf den weiter entfernten Höhen, und erst in Loitz folgt der nächste Ort direkt am Ufer, auch hier mit Kirchturm, Hafenspeicher und Klappbrücke.

Erst 2012 löste der moderne Bau bei Kilometer 42,8 seine inzwischen abge- rissene marode Vorgängerin ab. Der Ort bietet zudem einen guten Sportboothafen und längsseitige Liegeplätze direkt am Flussufer vor dem Speicher. Strom gibt’s überall. Das Restaurant „Korl Loitz", eigentlich perfekt im Alten Bahnhof am Hafen positioniert, können wir dagegen leider nicht empfehlen.

Die wesentlich bessere Option für einen weiteren Zwischenstopp ist in dieser Hinsicht der Wasserwanderrastplatz Stolpe bei Kilometer 79,4, wo wir auf dem Rückweg übernachten werden: Dort liegt man im kleinen Hafenbecken am Schwimmsteg mit Auslegern ebenso gut und ist nur wenige Meter von der Terrasse des „Stolper Fährkruges" entfernt, der seit mehr als 300 Jahren Reisende bewirtet und eine Vielzahl von Spezialitäten auf der Speisekarte führt (www.gutshaus-stolpe.de).

Es dauert bis zum späten Nachmittag, bis stromabwärts erneut zwei Türme über der flachen Landschaft aufragen. Diesmal sind es die Nikolai- und die Marienkirche von Anklam. Vielleicht waren es die Schwalben, Falken und Krähen, die in luftiger Höhe um die beiden Türme kreisten, die Otto Lilienthal, den bekanntesten Sohn der Stadt zu seinen wagemutigen Versuchen inspirierten.

Der Flugpionier wurde 1848 in Anklam geboren. An ihn erinnern heute in der Stadt nicht nur zwei Denkmäler und eine Tafel, sondern auch das sehenswerte Otto-Lilienthal-Museum mit Nachbauten seiner Gleitapparate und vielen Modellen. lilienthal-museum.de

Gäste auf eigenem Kiel können übrigens entweder (so wie wir) noch im Grünen am Wasserwanderrastplatz bei Kilometer 87,7 festmachen (Schwimmstege und Spundwand, Wasser und Strom, Fäkalienentsorgung, Sanitärgebäude) oder direkt in der Stadt am Feststeg der Bootswerft bei Kilometer 88,9. Unser Restauranttipp für den Abend ist die gemütliche „Gaststätte Am Steintor". www.gaststaette-steintor.de

Nachdem sich die nächtlichen Nebel über dem Fluss unter den ersten kräftigen Sonnenstrahlen in Wohlgefallen aufgelöst haben, steht für uns die letzte Etappe zur Ostsee auf dem Programm: Um 9:40 Uhr öffnet sich die Eisenbahnbrücke bei Kilometer 89,1 für uns, und kurz darauf liegen Stadt und Hafen Anklam achteraus.

Nach einer weiteren Stunde kündigt eine ausgediente, rostige Bake schließlich den nahen Peenestrom an. Dann weichen die schilfgesäumten Ufer ohne großes Zeremoniell zurück, der Blick öffnet sich auf weites Wasser und die etwa eine halbe Seemeile entfernte Küste Usedoms im Osten.

Bei Kilometer 98 haben wir die Peene offiziell verlassen; zwei Tonnenpaare bringen uns zum Fahrwasser, und unser Bug, unter dem jetzt das Brackwasser des Pee- nestroms weiß schäumt, schwenkt nach Nordosten auf die Zecheriner Brücke zu, deren blaues Stahlgerüst Festland und Insel verbindet.

Sie ist mit einer lichten Höhe von fünf Metern selbst im geschlossenen Zustand kein Hindernis für uns, sodass wir über die schmale, betonnte Moderortrinne unser erstes Ziel auf Usedom ohne Verzögerung anlaufen können.
Der Hafen Rankwitz liegt ganz im Süden des Lieper Winkels, einer Halbinsel zwischen Peenestrom und Achterwasser.

Das Liegeplatzangebot aus Pfahlboxen, Spundwand und einer kleinen Schwimmsteganlage ist überschaubar, dafür ist hier ebenfalls Entschleunigung garantiert. www.hafen-rankwitz.de

Aktive radeln von hier aus zum sieben Kilometer entfernten Wasserschloss Mellenthin mit seiner berühmten Schlossbäckerei, alle anderen machen das eigene Boot zum Balkon. Gleich zwei gute Restaurants servieren drinnen und draußen exzellenten Fisch: die „Alte Fischräucherei" und die etwas gehobene „Hafenküche". Den Sonnenuntergang gibt’s zum Nachtisch dazu. www.hafenrankwitz.de

Weiter nach Nordwesten geht es, bis wir querab von Lassan den Peenestrom verlassen und zwischen den Kardinaltonnen „Hohe Schar Süd" und „Warther Haken West" mit ihren flankierenden Stellnetzen in das Achterwasser einlaufen, die große flache Bucht auf der Binnenseite Usedoms.

Hier spürt man jetzt auch den Wind von der offenen Ostsee, dessen kurze Kabbelwellen unsere „Lotte" zum ersten Mal auf diesem Törn etwas bocken lassen. Unser Kurs führt an der Insel Görmitz vorbei in den nördlichen Teil des Achterwassers, bis an seinem Ende der Hafen von Zinnowitz in Sicht kommt. Hier ist es schon wieder so geschützt, dass wir auch außen an der Mauer ohne Schwell hinter einer Grand Banks längsseits gehen können.

Doch die Hafenmeisterin wird erst am späten Nachmittag zurück sein. Also, worauf warten wir? Für die Seebrücke und die Bäderarchitektur von Zinnowitz bleibt auch am Abend noch Zeit. Jetzt geht es nach Koserow – ab an den Strand!