SP110Sanlorenzo kreiert Loft als High-Performance-Yacht

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 · 08.03.2023

Wasserkraftwerk: Drei MAN-Diesel geben je bis zu 1471 Kilowatt an die MJP-Waterjets weiter.  Der von Marco Arnaboldi entworfene GFK-Rumpf  geht effizient und mit  bis zu 40 Knoten durch  das Wasser
Foto: Guillaume Plisson, Erik Levfander (Interior)

Geschwindigkeit oder Komfort? Die SP110 von Sanlorenzo bringt beides in Einklang: mit einem Zuccon-Exterior und einem Interior von Piero Lissoni. Eine Open mit Waterjets – und vielen versteckten Tricks.

Text: Norman Kietzmann

Die Dinge einfach in gewohnten Bahnen verlaufen zu lassen, kommt für Sanlorenzo nicht infrage. Die Werft aus Ameglia überrascht immer wieder mit Modellen, die eine neue Richtung einschlagen. Jüngstes Beispiel ist die SP110. Sie jagt mit stattlichen 40 Knoten über das Wasser, doch sonst ist an Bord der 33 Meter nichts wie in der hohen Geschwindigkeitskategorie üblich. Dynamik und Sportlichkeit werden keineswegs als Gegenspieler zum Komfort verstanden. Sie sind vielmehr Komplizen für ein und dieselbe Sache.

Die SP110 ist das erste Modell einer neuen Baureihe, deren Abkürzung für „Smart Performance“ steht. Das Briefing kam von jemandem, der sich mit Kilowatt-starken Booten auskennt: Tilli Antonelli. Der Italiener hat 1995 als Gründer von Pershing Yachts die Typologie der High-Performance-Yachten entscheidend geprägt. Heute ist Antonelli als Produktentwickler für Sanlorenzo tätig und hat das Segment der Open neu ins Auge gefasst. „Natürlich haben wir große Motoren und Waterjets. Doch ich wollte nicht das Gefühl von etwas Aggressivem vermitteln“ lautete die Losung an das Designteam.

Von der Architektur zum Yachtdesign

„Es ging darum, eine High-Performance-Yacht mit einem sehr komfortablen und luxuriösen Loft zu kombinieren“, sagt Bernardo Zuccon, der das Exterior von „Almax“, der ersten SP110, gestaltete. Zusammen mit seiner Schwester Martina leitet er das Kreativstudio Zuccon International Project, das ihre Eltern Gianni und Paola Zuccon 1978 gründeten. Obwohl ihm ein Faible für Boote in die Wiege gelegt wurde, studierte Bernardo Zuccon zunächst Architektur. „Mein Zugang ist vollkommen anders als der von traditionellen Yachtdesignern. Sie denken ein Boot zuallererst als Skulptur und erst danach als einen Ort zum Leben. Bei mir ist es genau umgekehrt“, sagt der gebürtige Römer, Jahrgang 1982.

Die räumlichen Qualitäten offenbaren sich weniger in den schnittigen Seitenansichten einer Yacht als vielmehr in ihrem Querschnitt. Und genau dort beginnt für ihn die Konzeption. „Normalerweise gibt es bei Open-Formaten nur ein Hauptdeck für den Wohnbereich und ein Unterdeck für die Schlafräume. In diesem Fall haben wir versucht, eine Verbindung zwischen beiden Ebenen zu kreieren“, bringt Zuccon den Ansatz auf den Punkt. Wenn man die großen Schiebetüren am Achterdeck öffnet und ins Innere tritt, befindet man sich auf halber Höhe zwischen beiden Stockwerken. Man blickt hinauf in das große Hauptdeck. Zugleich sieht man einen zweiten, etwas kleineren Wohnbereich auf dem Unterdeck: die Lounge.

Piero Lissoni ist Art Director für Sanlorenzo

An dieser Stelle kommt Piero Lissoni ins Spiel. Der Mailänder Architekt und Designer ist seit 2018 als Art Director für Sanlorenzo tätig. Das Interior der SP110 stammt aus seiner Feder. „Die Innovation liegt darin, dass wir einen Teil des Hauptdecks zurückgesetzt haben, wodurch eine spezielle Art von Balkon entsteht. Dazwischen haben wir eine Treppe eingefügt, die die beiden Wohnbereiche zusammenführt“, erklärt Lissoni. Der Übergang von einer Ebene zur anderen ist alles andere als banal. Er gleicht dem Betreten einer Showtreppe. „Die Stufen sind sehr dünn. Sie sehen aus wie die Flügel von einem Flugzeug. Mit ihrer Konstruktion aus Karbonfasern und Edelstahl würde man sie eher auf einem Segelboot vermuten. Man spürt die Leichtigkeit in ihrem Design“, so der Architekt.

Eine weitere Aufgabe bestand in der Öffnung der Raumgrenzen: „Wir haben diese großen Fenster entworfen, die von der Decke bis zum Boden reichen. Wenn man auf dem Sessel oder Sofa sitzt, fühlt man die Nähe zum Wasser. Die Fenster der SP110 helfen einem, etwas vollkommen Unerwartetes zu sehen. Das ist kein Vergleich zu anderen Booten mit einem zweiten oder dritten Deck“, sagt Piero Lissoni. Die physische Distanz zwischen den Menschen an Bord und der Natur wird überwunden. Spiegelungen der Sonne auf der Wasseroberfläche zeichnen sich als tänzelnde Muster an den Decken der Innenräume ab. Die Fensterflächen bedecken fast 80 Prozent des Hauptdecks. Die übrigen Elemente greifen die dunkle Tönung des Glases auf, damit eine homogene Oberfläche entsteht. Um Dieselverbrauch und Performance zu optimieren, wurde durch den Einsatz von Verbundglas Gewicht gespart.

Die Treppe verbindet die unterschiedlichen Ebenen miteinander
Foto: Guillaume Plisson, Erik Levfander (Interior)

Möbel definieren unterschiedliche Zonen

Das Hauptdeck ist als ein durchgehender Raum konzipiert, der nicht durch Trennwände in seiner Wirkung geschmälert wird. Dennoch definieren die Möbel unterschiedliche Zonen. Der aus Stahl gefertigte Esstisch Ferro (Design: Piero Lissoni für Porro) wartet mit sanft abgerundeten Kanten auf und ist in einem warmen, charaktervollen Rot-Ton gehalten. Darum gruppieren sich zwei weiße Panton Chairs sowie mehrere Wire Chairs von Charles und Ray Eames (beide von Vitra). Die Sitzgruppe wird durch vier LC3-Sessel (Cassina) von Le Corbusier definiert. Dahinter schließt sich eine antike Holzbank aus China an. Ein kleiner Beistelltisch, den Michele De Lucchi für Memphis Design gestaltet hat, sorgt für einen gelben Farbtupfer. An den Wänden sind Arbeiten der italienischen Fotografin Veronica Gaido zu sehen: Interpretationen der Terrakotta-Krieger in Xi’an. „Wenn man durch den Raum läuft, fühlt man die Kultur. Die Dinge wirken gewachsen und nicht wie aus einem Katalog. Es ist genau wie in einem Zuhause“, fasst Architekt Lissoni die Wirkung zusammen.

Im Wohnbereich des Unterdecks zieht ein Loungechair (Vitra) von Charles und Ray Eames die Blicke auf sich. Ein Sofa aus der Dock-Kollektion (B&B Italia) von Piero Lissoni lässt die hellen Polster auf einer hölzernen Plattform über dem Boden schweben. Der Clou ist jedoch die vollständig verspiegelte Rückwand. Sie vergrößert den Raum optisch auf doppelte Breite. Zugleich verbirgt sie den Zugang zu den vier Kabinen mit Platz für bis zu acht Personen. In einer anderen Layout-Konfiguration wird die Eignerkabine um die Fläche eines Gästeschlafzimmers vergrößert. Verspiegelte Glaswände verleihen den Unterkünften Weite und verstecken die rückseitig platzierten Bildschirme. „Man hat das Gefühl, dass es überhaupt keinen Fernseher an Bord gibt, obwohl wir alle Schlafräume damit ausgestattet haben“, freut sich der Mailänder Architekt. Im Master Bedroom sind die Türen und Seitenwände des begehbaren Kleiderschranks aus geriffeltem Glas gefertigt, um die beiden Bereiche optisch ineinander übergehen zu lassen. Die Oberflächenstruktur des Glases sorgt für eine diffuse Lichtbrechung. Der beleuchtete Kleiderschrank verwandelt sich dadurch in eine riesige Laterne, die dem Schlafzimmer eine angenehme, wohnliche Atmosphäre verleiht.

Eignerkabine: Durch geriffelte Glastüren strömt warmes Licht aus dem Kleiderschrank. Spiegel und Holzlamellen ziehen den Raum in die Länge
Foto: Guillaume Plisson, Erik Levfander (Interior)

Sanlorenzo kombiniert Freifläche mit versteckten Funktionen

Sämtliche Decken an Bord der SP110 von Sanlorenzo sind mit eigens angefertigten Holzpaneelen verkleidet, die über eine rillenartige Struktur verfügen. Sie schlucken den Hall und sorgen so für eine bessere Akustik. Auch Leuchten, Security-Anlagen, Lautsprecher und Öffnungen für die Klimaanlage sind unsichtbar in die reliefierte Oberfläche eingelassen. Eine weitere Besonderheit der Yacht ist die Küche zwischen oberem Salon und Steuerdeck. Sie kann mit massiven Wänden geschlossen oder mit Glasflächen geöffnet werden. In letzterem Fall ist es möglich, auf die Brücke und von dort aus durch die Frontscheibe hinaus aufs Meer zu blicken.

Am Achterdeck und Beachclub entfaltet die Yacht mit 8,20 Metern ihre volle Breite. Als Sitzgelegenheit dient ein großes, frei stehendes Sofa – eine eigens modifizierte Ausführung des Sofas Extrasoft, das Piero Lissoni für Living Divani gestaltet hat. Wenn die Polsterteile zur Seite gleiten, bewegt sich wie von Zauberhand ein Tisch nach oben und verwandelt das Sofa in ein Speiseareal. Auch auf der Freifläche am Bug installierte Piero Lissoni ein Sofa und eine frei stehende Sonnenliegefläche mit versteckten Funktionen. Werden die Polstermöbel geöffnet, erscheint ein großer Esstisch mit Platz für mehr als zwölf Personen. Speziell angefertigte Sonnensegel können diesen Bereich genau wie das Achterdeck beschatten. „Die SP110 ist 33 Meter lang. Doch wenn man auf dem Hauptdeck steht, hat man das Gefühl, die Yacht ist doppelt so groß“, schildert Piero Lissoni seine Eindrücke.

Ein markantes Detail ist die vom Dach überstehende Blende, die sich mit ihrer orangenen Farbe deutlich vom übrigen Exterior absetzt.

Ich wollte eine minimalistische Linienführung erzeugen. Umgekehrt soll sich die Yacht auch im Gedächtnis verankern.“ - Bernardo Zuccon

Das farbige Dachsims dient als weithin sichtbares Erkennungszeichen der SP110. Zugleich umrahmt sie eine weitere Deckebene, die mitsamt ihren weißen Sitzpolstern ins Dach abgesenkt wurde. Schließlich soll das aerodynamische Profil der Yacht nicht durchbrochen werden. Auch aus der Ferne ist dieser Bereich überhaupt nicht wahrnehmbar. Eine klappbare Mini-Flybridge erlaubt das Steuern bei ruhiger See und gemäßigter Geschwindigkeit.

Die Sonnenliege am Bug umspielt Meeresluft, Klampen und Ankerwinde sind verdeckt
Foto: Guillaume Plisson, Erik Levfander (Interior)

Solardach sorgt für eine ruhige Nacht

Vor der „Terrasse“ schließt sich eine große, zusammenhängende Dachfläche an. Ihre Geometrie wurde speziell für die Bestückung mit sechs Kilowatt starken Solarpaneelen konzipiert. Sie sammeln Strom für leistungsstarke Lithium-Ionen-Batterien, welche Beleuchtung, Klimaanlage und andere Services für eine Nacht am Laufen halten. Auf den Lärm und die Abgase eines Dieselgenerators kann somit verzichten werden. Auch während des Ankerns in einer Bucht und beim Schwimmen vermag die Yacht in den Lautlos-sauber-Modus zu wechseln. Werden die Schiebetüren auf beiden Seiten des Esstischs geöffnet, kann sogar im Hochsommer auf eine Klimaanlage verzichtet werden. Der freie Luftzug sorgt dann für eine natürliche Abkühlung.

Der von Marco Arnaboldi entworfene Rumpf ist auf hohe Verbrauchseffizienz ausgelegt. Vor den drei MJP-Waterjets arbeitet die gleiche Anzahl MAN-Aggregate mit jeweils 1471 Kilowatt, die einzeln, zu zweit oder zu dritt genutzt werden können – je nachdem mit welcher Geschwindigkeit und Dynamik sich „Almax“ fortbewegen soll. Gegenüber Propellern haben Wasserstrahlantriebe den Vorteil, dass sie weniger empfindlich auf Schwankungen bei der Verdrängung reagieren und auch bei rauer See Höchstleistung und Komfort gewähren. Dazu beträgt der Tiefgang selbst im voll beladenen Zustand lediglich 1,30 Meter, sodass fast jeder Strand zu erreichen ist. Sanlorenzo hat mit der SP110 den Charakter einer Open auf eine neue Stufe gehoben.

Klare Keilform: Die monokristallinen Solarzellen ernten bis zu sechs Kilowatt StromFoto: Guillaume Plisson, Erik Levfander (Interior)
Klare Keilform: Die monokristallinen Solarzellen ernten bis zu sechs Kilowatt Strom

Technische Daten der SP110

  • Länge über alles: 33,04 m
  • Länge (Wasserlinie): 29,04 m
  • Breite: 8,20 m
  • Tiefgang: 1,25 m
  • Verdrängung (voll): 113 t
  • Material: GFK
  • Motoren: 3 x MAN V12
  • Motorleistung: 3 x 1471 kW
  • Waterjets: 3 x MJP CSU 550
  • Geschwindigkeit (max.): 40 kn
  • Geschwindigkeit (Reise): 36 kn
  • Kraftstoff: 12 000 l
  • Wasser: 1500 l
  • Gäste: 6-8
  • Crew: 5
  • Konzept: Tilli Antonelli
  • Konstruktion: Studio Arnaboldi
  • Exteriordesign: Zuccon International Project
  • Interiordesign: Piero Lissoni
  • Klasse: RINA Pleasure
  • Werft: Sanlorenzo, 2022
  • Broker: Lenger Yachts
Hauptdeck: Das Cockpit belegt 50 Teak-Quadratmeter über der Tendergarage. Die Boffi-Galley liegt zwischen der Brücke und dem Salon
Hauptdeck: Das Cockpit belegt 50 Teak-Quadratmeter über der Tendergarage. Die Boffi-Galley liegt zwischen der Brücke und dem Salon
Unterdeck: An die Lounge schließen sich zwei VIP-, eine Doppel- und die Eignerkabine an. Ganz vorn nächtigt die fünfköpfige Crew
Unterdeck: An die Lounge schließen sich zwei VIP-, eine Doppel- und die Eignerkabine an. Ganz vorn nächtigt die fünfköpfige Crew

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