Torsten Moench
· 29.06.2025
Elektroautos setzen sich zunehmend als alltagstaugliche Alternative zum Verbrenner durch. Trotz der derzeitigen Kaufzurückhaltung ist der Trend hin zur E-Mobilität im Straßenverkehr unverkennbar und schlussendlich politisch auch gewollt.
Doch wie schlagen sich die Stromer, wenn es richtig zur Sache geht – zum Beispiel als Zugfahrzeug für einen Bootstrailer? Wir wollten es genau wissen und ließen zwei Elektroautos mit verschiedenen Anhängelasten in der Praxis die Probe aufs Exempel absolvieren. Doch schon bei der Fahrzeugwahl stießen wir auf erste Schwierigkeiten. Schaut man sich durchschnittliche Zugfahrzeuge an, handelt es sich überwiegend um SUVs oder große Kombis mit Anhängelasten von mehr als zwei Tonnen. Lediglich für kleine, offene Sportboote oder Schlauchboote reicht heute noch der klassische Mittelklassewagen.
Sucht man solche Fahrzeuge in der Elektroversion, ist man schnell ernüchtert. Anders als bei Verbrennern ist die Auswahl an kräftigen elektrischen Zugmaschinen eher bescheiden. Selbst etablierte deutsche Zugfahrzeughersteller wie VW oder Mercedes müssen bei höheren Anhängelasten passen. Stattdessen findet man an der Spitze des Elektro-Zuglast-Rankings bisher weniger bekannte SUV-Marken wie beispielsweise Kia oder Nio.
Die chinesische Nobelmarke Nio war es dann auch, die sich ohne zu zögern bereit erklärte, uns bei unserem Vorhaben zu unterstützen. Als Testwagen standen uns zwei Nio-SUVs zur Verfügung. Zum einen ein NIO EL6, ein sogenannter Kompakt-SUV mit 1,2 t Anhängelast, und der größere Bruder NIO EL8, ein Luxus-SUV mit 2 t Anhängelast.
Als Anhänger wählten wir zwei Einachstrailer. Einen von Harbeck, beladen mit einer Saxdor 205 mit einem Gesamtgewicht von 1780 kg, sowie einen Galaxy-Trailer, beladen mit einem Segelboot J 70, welches inklusive Trailer 1200 kg auf unsere Testwaage brachte.
Der erste große Pluspunkt elektrischer Zugwagen fällt unmittelbar beim Anfahren auf: das hohe Drehmoment. Elektromotoren liefern ihre Kraft aus dem Stand heraus – perfekt, um schwere Lasten zu bewegen. Das Anfahren an der Slipanlage oder am Berg gelingt mit einem E-Auto meist müheloser als mit einem klassischen Verbrenner. Hinzu kommt der oft serienmäßige Allradantrieb, der durchdrehende Räder auf der Sliprampe zuverlässig verhindert.
Gleiches gilt für die Beschleunigung auf gerader Strecke. In Situationen, in denen die Siebengangautomatik herkömmlicher SUVs sich erst mal der Anhängelast entsprechend sortieren muss, dreht der E-Motor mehr oder weniger unbeeindruckt hoch. Der Sprint auf der Beschleunigungsspur einer Autobahn oder der Zwischenspurt beim Überholen verlieren mit Elektrofahrzeugen als Zugmaschine ihre Schrecken.
Außerdem punkten Elektrofahrzeuge durch die sogenannte Rekuperation. Beim Bergabfahren oder Bremsen gewinnt das Fahrzeug Energie zurück – mit schwerem Anhänger ist das theoretisch besonders effektiv. Allerdings nur, bis bei stärkeren Verzögerungen die Auflaufbremse greift. In diesem Fall verpufft der zusätzliche „Schub“ des Anhängers nutzlos in der Bremsanlage des Trailers. Hinzu kommt, dass im Hängerbetrieb häufig lange Phasen mit konstanter, hoher Last auftreten – etwa auf der Autobahn. Dort bringt Rekuperation wenig.
Dennoch; ein Plus an Effizienz und durch motorisches Bremsen oft auch an Sicherheit, stehen auf der Habenseite. In vielen Modellen wird die Anhängelast zudem automatisch in die Assistenzsysteme integriert, etwa für Spurkontrolle oder Bremsverhalten. Sobald der Anhänger angekuppelt ist, fragt das Fahrzeug, ob es in den Anhängermodus wechseln soll. So geht Komfort heute.
Ein weiterer Vorteil: E-Autos wie beispielsweise unsere Nios sind leiser und vibrationsärmer, was besonders bei längeren Fahrten ein echter Komfortgewinn ist und zur Entspannung beiträgt. Zum Thema Komfort und Sicherheit gehören auch die bei Nio besonders ausgeprägten Video-Systeme mit diversen Kameras, die die Fahrzeugumgebung rundherum überwachen und Hindernisse oder den Anhänger auf dem Monitor zentimetergenau darstellen. Beim Ankuppeln oder in engen Rangiersituationen erwiesen sie sich während unserer Testfahrten als echter Pluspunkt. Weitere digitale Assistenten überwachen die gesamte Fahrsituation und bei Bedarf lassen sich viele Funktionen über Nios Sprachassistentin „Nomi“ aktivieren.
Doch es gibt auch Schattenseiten. Die größte Sorge der meisten Trailerkapitäne gilt der Reichweite elektrischer Fahrzeuge. Schon ohne Anhänger variiert diese stark, mit Last sinkt sie drastisch – teils auf unter die Hälfte. Um diesen wichtigen Punkt ging es dann auch schwerpunktmäßig bei unseren Testfahrten. An den kleineren EL6 kuppelten wir unser 1,2-t-Testboot an, der EL8 musste sich sogar mit 1,8-t-Testgewicht am Haken beweisen. unächst ging es in verkehrsbedingt gemäßigter Fahrweise (60–80 km/h) auf die Landstraße. Während der EL6 im regulären Betrieb rund 10 kW aus der Batterie saugte, stieg der Verbrauch im Anhängerbetrieb auf mehr als das Doppelte an. 23 kW zeigte der Bordcomputer. In Reichweitenkilometer ausgedrückt bedeutet das: 250 km sind mit Anhänger zu schaffen. Der EL8 überraschte uns insbesondere im unteren Geschwindigkeitsbereich. Hier verbrauchte er mit 12 kW ohne Last und etwa 25 kW mit Last kaum mehr als sein kleinerer Bruder, obwohl die Anhängelast fast 45 % höher lag. Und trotz 1,8 t Zuglast erreichte auch der EL8 die angepeilten 250 km Reichweite.
Auf der Autobahn, mit Geschwindigkeiten zwischen 80 km/h und 100 km/h, änderte sich das Bild. Liegen ohne Anhänger noch beide Fahrzeuge mit Verbräuchen zwischen 20 kW (EL6) und 24 kW (EL8) dicht beieinander, fordern die 1,8 Tonnen am Haken des EL8 deutlichen Tribut. Mit 65 kW Gesamtleistungsaufnahme zogen die beiden Permanentmagnet- und Induktionsmotoren bei 100 km/h rund die 2,7-fache Energiemenge aus der Batterie. Die Reichweite des Nio-Flaggschiffs schmilzt dann auf magere 138 km zusammen. Wer es dagegen langsamer angeht und die 80-km/h-Marke kaum überschreitet, wird mit fast 100 km mehr Reichweite belohnt. Ein guter Deal. Beim EL6 mit 1,2 t am Haken bleibt es dagegen ungefähr bei Faktor 2. Im Klartext: Wer mit 100 km/h unterwegs ist, braucht rund 42 kW, was einer Reichweite von 175 km entspricht. Gelassene Fahrer bringen es bei 80 km/h auf rund 200 km bis zur nächsten Ladesäule.
Und damit kommen wir zur Infrastruktur. Wer mit dem Trailer unterwegs ist, kann nicht einfach jede Schnellladesäule nutzen. Der Grund: Viele sind nicht durchfahrbar, nach vorne begrenzt oder es fehlt der Platz zum Rangieren. Das bedeutet: abkoppeln, laden, wieder ankuppeln – ein Aufwand, der unterwegs Zeit und Nerven kostet. Wir wählten zum Aufladen unserer Nios deshalb bewusst einen Autohof mit hintereinanderliegenden Ladeplätzen, der ausreichend Raum für unsere Gespanne bot. Der eigentliche Ladevorgang geht dann dank DC-Schnelllader mit bis zu 240 kW in rund 30 Minuten (bis 80 %) vonstatten.
Zwar bemühen sich die Ladesäulenbetreiber und Energieversorger zunehmend, auch spezielle Gespann-Ladeplätze zu etablieren, noch sind sie jedoch rar und aufgrund des deutlich höheren Flächenbedarfs auch nicht überall zu realisieren.
In Sachen Ladetechnik punktet Nio dann noch mit einer Besonderheit. Im Gegensatz zu anderen Fabrikaten können bei Nio-Fahrzeugen die Batterien binnen weniger Minuten in sogenannten Swap-Stationen ausgetauscht werden. Dazu fährt man in eine Art Carport, und von unten wird der leere Akku dann automatisch durch einen vollen ersetzt. Das geht ähnlich schnell wie das Betanken eines Verbrenners, ist in Deutschland aber erst an rund 20 Swap-Stationen möglich. Zwar bemüht sich der chinesische Tech-Konzern um einen zügigen Ausbau seines Swap-Stationen-Angebotes, noch ist das Netz für Trailerkapitäne jedoch nicht ausreichend. Für unsere Testfahrt im Hamburger Umland und auf der Autobahn zur Ostsee wäre die nächstgelegene Swap-Station beispielsweise in Hannover gewesen.
Modell | NIO EL6 | NIO EL8 |
Antrieb | 2 E-Motoren (150 kW vorne, 210 kW hinten) | 2 E-Motoren (180 kW vorne, 300 kW hinten) |
Systemleistung | 360 kW (489 PS) | 480 kW (653 PS) |
Drehmoment | 700 Nm | 850 Nm |
Beschleunigung (0-100 km/h) | 4,5 s | 4,1 s |
Höchstgeschwindigkeit | 200 km/h | 200 km/h |
Batteriekapazität (brutto/netto) | 75 oder 100 kWh /73,5 oder 90 kWh | 75 oder 100 kWh /73,5 oder 90 kWh |
Reichweite (WLTP) | 406–529 km | 375–510 km |
Verbrauch (WLTP) | 20,4–22,1 kWh/100 km | 21,2–23,1 kWh/100 km |
Ladeleistung (DC) | max. 140–180 kW | max. 240 kW |
Ladezeit (10-80%) | ca. 30–40 min | ca. 20–40 min |
Ladeleistung (AC) | 11 kW | 11 kW |
Länge/Breite/Höhe | 4.854 mm/1.987 mm/ 1.703 mm | 5.099 mm/1.989 mm/ 1.750 mm |
Radstand | 2.915 mm | 3.070 mm |
Leergewicht | 2.303 kg | 2.538 kg |
Kofferraumvolumen | 597 l (bis 1.430 l) | 265 l (bis 810 l) |
Sitzplätze | 5 | 6 oder 7 |
Anhängelast | 1200 kg | 2000 kg |
Preis (zzgl. Akkumiete) | ab 53.500 Euro | ab 82.900 Euro |
Geschwindigkeit | EL6 | EL8 |
60 km/h | 294 km | 270 km |
80 km/h | 203 km | 225 km |
100 km/h | 175 km | 138 km |
Messergebnisse auf ebener, gerader Strecke im Eco-Modus. EL6 mit 1,2 t Last und 75-kWh-Akku; EL8 mit 1,8 t Last und 100-kWh-Akku
Geschwindigkeit | EL6 ohne Last | EL6 mit Last | EL8 ohne Last | EL8 mit Last |
60 km/h | 8 kW | 15 kW | 6 kW | 20 kW |
80 km/h | 14 kW | 29 kW | 16 kW | 32 kW |
100 km/h | 20 kW | 42 kW | 24 kW | 65 kW |
Messergebnisse auf ebener, gerader Strecke im Eco-Modus