Eine Yachtpremiere inmitten des Glamours und Trubels des Cannes Film Festivals hat es bis dato noch nicht gegeben. Während auf der für den Verkehr gesperrten Croisette Polizei-Hundertschaften versuchen, Zigtausende Touristen auf Promi-Sightseeing-Tour in Schach zu halten, Paparazzi ihre Leitern vor dem Palais de Festival besteigen und Frauen in extravaganten Haute-Couture-Kleidern über den roten Teppich spazieren, hängt am benachbarten Jetée Albert Edouard im Vieux Port von Cannes eine 13-Meter-Yacht an einer Tesla-ähnlichen Ladesäule und wartet auf den nächsten Einsatz, dieses Mal mit BOOTE EXCLUSIV an Bord.
„Herzlich Willkommen an Bord von ,The Icon‘“, empfängt mich Tyde-Geschäftsführer Christoph Ballin herzlich auf dem Achterdeck der Neuheit, von deren Existenz bis vor wenigen Wochen nur ein sehr kleiner Personenkreis wusste. Nichts war im Vorfeld der Weltpremiere an die Öffentlichkeit gelangt, keine Renderings, Zeichnungen oder technische Daten, die Aufschluss darüber gegeben hätten, was im alten Hafen von Cannes zu erwarten sei. Nur so viel war von den Presseverantwortlichen verraten worden: „Fahrt hin, es lohnt sich! Mehr dürfen wir nicht sagen.“
Doch Unwissenheit hat einen wunderbaren Vorteil: Man ist unvoreingenommen und kann vor Ort alles auf sich wirken lassen, ganz nach dem Motto: Der erste Eindruck zählt. Und der Ersteindruck enttäuschte nicht: „Gläsernes Hausboot“, „Viel kleiner als ich erwartet hätte“ und „Wow, wie groß sind die Glasfronten und wie niedrig ist das Freibord?!“ waren die spontanen Reaktionen meines Gehirns beim Anblick von „The Icon“. Und je länger ich das schwimmende Objekt betrachtete, umso erstaunter war ich. So etwas hatte ich zuvor noch nicht gesehen – ein derart extravagantes Format ließe sich getrost als Meilenstein der Yachtgeschichte beschreiben, schon allein aufgrund der Fülle der implementierten Innovationen.
Wobei es sich bei dem 13,15 Meter langen und zehn Tonnen verdrängenden Boot nicht direkt um eine Yacht im klassischen Sinne handelt. „Dies ist erst der Anfang“, verrät Ballin, der sich mit seinem Tech-Start-up Tyde in Starnberg niedergelassen hat. „Baunummer 01 ist unser Vorführmodell, hiermit möchten wir der Welt zeigen, was ,The Icon‘ ist und sein kann. Yacht, Shuttle, Fähre – wir können jeden Wunsch erfüllen.“ In erster Linie ist das neue Gefährt ein ausschließlich elektrisch fahrendes und dank Foils effizient über der Wasseroberfläche dahingleitendes Ausrufezeichen!
Die Batteriekapazität von „The Icon“ erlaubt aktuell eine Reichweite von 50 Seemeilen am Stück. Flüsterleise Seemeilen wohlgemerkt, da bei Fahrt keine Wellen gegen den Rumpf klatschen und die zwei 100 Kilowatt starken Deep Blue-Motoren von Torqeedo selbst bei einem Topspeed von 30 Knoten leise und gleichmäßig vor sich hin summen. Das von prismenförmig angeordneten großen Glaspaneelen dominierte Exterior und das moderne Interior des Fluggleiters entstand in enger Zusammenarbeit mit der weltweit agierenden Kreativschmiede Designworks, einem Tochterunternehmen von BMW. Die am besten als „Luxus-Tourer“ zu beschreibende Baunummer 01 unterscheidet sich maßgeblich von jeder normalen Yacht, da das Format als Vorführmodell gebaut wurde. Der von natürlichem Licht geflutete Salon ist der einzige Raum an Bord, auf Toilette, Bad, Galley oder Gästesuite wurde bewusst verzichtet.
Die Gestalter nennen das Konzept überaus passend „Infinite Space“, ein Raum ohne Grenzen. Sie entwarfen „The Icon“ von innen nach außen und erschufen so einen geschützten Mikrokosmos mit maximaler Panorama-Aussicht. „Der Gedanke war von Anfang an, dass wir auch im Innern der Natur möglichst nah sein können“, fasst Christoph Ballin zusammen. Im Interior finden sich ein blauer Teppich und wenige aus Exyd-Chromstahlblechen gefertigte Möbelstücke, deren Oberfläche das einfallende Sonnenlicht reflektiert. Dazu gehören zwei große Sideboards vor der achterlichen Glasschiebetür und vier um 360 Grad drehbare Sessel plus eine Zweiersitzbank vor dem zentral gelegenen Steuerstand, der mit seinem 32-Zoll-Touchscreen mit 6K-Auflösung an das Instrumentendesign elektrischer BMW-Modelle angelehnt wurde. Über das Display können alle relevanten Seekarten, Boots-, Wetter- und Routingdetails abgerufen werden. Hierzu wurde unter anderem das Orca-Navigationssystem integriert. Schlüsselfunktionen lassen sich auch per Sprachbefehl abrufen. Gelenkt wird per Steuerrad oder intuitiver Joystick-Steuerung, die das Manövrieren besonders in engen Marinas erleichtert.
Bei der Entwicklung befreite sich das Team von Beginn an von gängigen Konventionen. „Unser Ziel war nicht einfach nur ein Boot, sondern ein eigenes Erlebnis auf dem Wasser zu entwerfen“, verrät Ballin stolz. Das langjährige Engagement von BMW beim America’s Cup, der Königsklasse des Segelsports, waren auch während der Konzeptionierungsphase wegweisend. Mit einem großen Ingenieursteam gelang der Brückenschlag zwischen maritimer Technik und fortschrittlicher Elektromobilität. Dafür wurden Experten aus aller Welt an Bord geholt – unter anderem Guillaume Verdier, einer der führenden Designer von schnellen und äußerst effizienten Segelyachten und unter anderem mitverantwortlich für das Design des Rumpfes und der Foils des letzten Gewinnerbootes beim America’s Cup, Emirates Team New Zealand. Auch das noch junge Unternehmen Tyde steuerte im großen Stil Know-how bei, denn als langjähriger Geschäftsführer des bayerischen Unternehmens Torqeedo war Tyde-CEO Christoph Ballin über viele Jahre maßgeblich daran beteiligt, Elektroantriebe auf dem Wasser alltagstauglich zu machen. „Mit ,The Icon“ können wir klimafreundliche Mobilität auch im maritimen High-End-Segment verankern“, ist sich Ballin sicher.
Da die Fortbewegung zu Wasser aufgrund des Rumpfwiderstandes rund zehnmal so energieintensiv ist wie an Land, war von Anfang an klar, dass „The Icon“ foilen muss. „Nur so lässt sich substanziell Energie einsparen und nur so waren wir in der Lage, einen rein elektrischen Antrieb basierend auf sechs marinisierten BMWi3-Batterien mit einem Energiegehalt von insgesamt 240 Kilowattstunden zu realisieren“, so der Tyde-Chef. Bei den Foils handelt es sich um ein System aus einem Front- und einem langen Heckflügel, die mit profilierten Masten mit dem flachen GFK-Rumpf verbunden sind. Trimmflaps an beiden Foils und Seitenruder an den achterlichen Masten kontrollieren den Flug und steuern den Kurs, wie vom Kapitän vorgegeben.
Zu den komplexesten technischen Themen während der Flugphase beim Foilen zählt die Ansteuerungen der Trimm- und Steuerklappen über einen bordeigenen Computer in Echtzeit, basierend auf den Bewegungen des Bootes, der Höhe und Richtung des Wellengangs und der Geschwindigkeit. Denn nur so bleibt das Schiff in einer stabilen Fluglage und droht nicht, in scharfen Kurven bei 25 Knoten plötzlich abrupt auf die Wasseroberfläche zu fallen, was zu einer dramatischen wie gefährlichen Vollbremsung führen würde. Die im Münchner Raum sitzende Firma Ocean Flight Technologies verantwortete diesen hochkomplexen Entwicklungsprozess und wagte sich damit erstmals aus der Luft ins Wasser. Die implementierte Sensorik arbeitet im Kilohertz-Bereich, die Bewegungssensoren werten tausendmal pro Sekunde Daten aus, um die Ansteuerung der Foils dementsprechend anzupassen. Eine erstaunliche Rechenleistung, die beeindruckend funktioniert, denn der Tyde-Foiler ist intuitiv und kinderleicht zu steuern und bedienen, wie ich bei einer ausgiebigen Probefahrt in der Bucht von Cannes erfahren darf.
Über den synchronisierten Kommandogeber werden zwei Zugpropeller am hinteren Foil angesteuert, die den bei J&J in Slowenien gebauten GFK/Karbon-Gleiter zügig beschleunigen. Rund 15 Sekunden dauert es, bis „The Icon“ bei 16 Knoten SOG abhebt und in den Flugmodus übergeht, was mit einem eindrucksvollen und von Oscar-Preisträger Hans Zimmer komponierten Sound einhergeht, der sich in etwa so anhört, als würde ein Flugzeug melodisch abheben. Für den perfekten dreidimensionalen Klang sorgt ein Dolby-Atmos-System, bestehend aus 13 Lautsprechern plus Subwoofer. Und plötzlich ist alles still, während man rund einen Meter über die Wasseroberfläche dahingleitet und weiter auf bis zu 30 Knoten beschleunigt – ganz ohne Spritzwasser am Steven und der sonst üblichen Bootsbewegungen beim Ein- oder Überstampfen von Wellen. „The Icon“ vermittelt den Fahrgästen und mir als Steuermann ein Gefühl der absoluten Sicherheit. Selbst in Kurven, die wohlgemerkt nicht zu hektisch und abrupt geflogen werden wollen, verhält sich der Luxustourer gutmütig und folgt wie auf Schienen den Steuerbefehlen. Und dass bei 25 Knoten! Das gefüllte Wasserglas, das Christoph Ballin während des Flugs zu Demonstrationszwecken auf den Beistelltisch zwischen den vorderen Sesseln stellt, rührt sich keinen Millimeter und auch das Wasser darin bewegt sich nur minimal. Und wie funktioniert die Landung? Denkbar einfach, über den Kommandogeber wird der Speed gedrosselt, bis die Rumpfunterseite bei 18 Knoten wieder die Wasseroberfläche berührt, ebenfalls begleitet von einer immersiven Touchdown-Klangwelt von Hans Zimmer, die sich natürlich auch ausschalten lässt.
Wer die Tyde-Neuheit zum ersten Mal sieht, stellt sich unweigerlich die Frage, wie bei einem Freibord von nicht einmal einem Meter und einem Aufbau, der zu 80 Prozent aus Glas besteht, die Sicherheit gewährleistet ist. „Das Thema Glas war – wie man sich denken kann – eine eigene Geschichte für sich, da insbesondere die wassernahen unteren Glaspaneele besonders schlagfest sein müssen, um unter Umständen auch dem Impact größerer Wellen standzuhalten“, erklärt Christoph Ballin. „Das Glas wurde in Zusammenarbeit mit AGC Glass Europe entwickelt, die Fertigung übernahm das Unternehmen Sedak in Gersthofen. Es handelt sich um eine Verglasung nach ISO-Norm 12216, bestehend aus drei laminierten Lagen chemisch gehärtetem und beschichtetem Glas, die fest mit einer Karbonrahmenstruktur verbunden sind.“ Auch für die Klassifikationsgesellschaft DNV war das foilende Glashaus ein außergewöhnliches Projekt, dem sie neben einem Rumpfbauschein auch ein Compliance Statement analog zur Kategorie C für Windstärken bis zu sechs Beaufort und signifikante Wellenhöhen bis zu zwei Metern ausstellte. Doch bei diesen Bedingungen wird „The Icon“ im Normalfall eher nicht auslaufen. „Wir können problemlos bei Wellenhöhen bis 1,50 Metern mit hoher Geschwindigkeit foilen, bei höherem Seegang empfehlen wir es nicht“, sagt Christoph Ballin.
Dass sich Automarken in den maritimen Sektor wagen, ist mitnichten eine Besonderheit. Im Laufe der letzten Dekade präsentierten Mercedes (Arrow 460), Porsche Design (GTT 115), Bugatti (Niniette 69), Aston Martin (AM37), Lamborghini (Tecnomar for Lamborghini 63) und Lexus (LY650) schwimmende Formate, die für Aufsehen sorgten. Mit der je nach Ausstattung 2,2 bis 2,5 Millionen Euro teuren „The Icon“ ist es Tyde und BMW gelungen, ein UFO zu wassern, dass dank bahnbrechendem Design und innovativer Vielfalt dazu beitragen kann, der Geschichte der maritimen Mobilität ein neues Kapitel hinzuzufügen. Ballin und sein Team stehen erst am Anfang. Zwei weitere, deutlich größere Foiling-Modelle sind in Arbeit, mit allen Annehmlichkeiten, die zu einer Superyacht gehören.