30 Jahre verschollenDie unglaubliche Geschichte hinter dem ersten Schubertkreuzer

Lasse Johannsen

 · 28.12.2023

Mit überdimensionaler Schwedenflagge  demonstriert die „Alba II“ ihr maritimes Erbe
Foto: YACHT/N. Krauss
Der erste Schubertkreuzer gilt als Schwedens bekanntester Veteran. Dreißig Jahre lang war er verschollen. Die unglaubliche Geschichte

Wenn die Bewohner des Stockholmer Schärengartens von klassischen Yachten reden, dann gehören die historischen Salonboote aus dem Hause Pettersson & Co. wie selbstverständlich dazu. Ein seltenes Exemplar macht bis heute als „Schwedens bekanntester Oldtimer“ von sich reden. Und es gab zumindest einen Moment, da passte dieses Prädikat mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf die „Alba II“. Denn im Jahr 1993 wurde das 1912 gebaute, gut 18 Meter lange Boot aus genietetem Schiffbaustahl auf dem Grund des Stockholmer Schärengartens aufgestöbert, nachdem es 30 Jahre lang als verschollen gegolten hatte. Unter großer medialer Aufmerksamkeit fand eine hochkomplizierte Bergungsaktion statt, und in 25 000 Stunden wurde dieser seltene Schubertkreuzer – der Typ ist nach seinem Konstrukteur, dem Werftbesitzer Hugo Schubert aus Saltsjöbaden, benannt – aufwendig restauriert. Eine Yacht, die landesweit Aufsehen erregte. Hier ist ihre Geschichte.

Was den klassischen Dampfer ausmacht

2020 liegt „Alba II“ unweit der Stockholmer Altstadt auf einem überdachten Stegplatz am Mälarsee. Liebevoll gepflegt, wird das historische Motorschiff, finanziert durch Fahrten mit zahlenden Gästen, von einem Eignerkonsortium genutzt. Einer von ihnen ist Richard Kahm. Dem pensionierten Banker macht es sichtlich Freude, interessierten Gästen das Schiff zu zeigen. Mit einem Augenzwinkern setzt er sich die weiße Kapitänsmütze auf und führt über das lackierte Deck aus Oregon Pine. Wie auf der Miniatur eines Ozeanriesen ist alles vorhanden, was einen klassischen Dampfer ausmacht. Neben Details wie großen Lüftern, gläsernen Skylights und rot-weißen Rettungsringen ist das vor allem die Aufteilung. Hinter der von bespannter Reling eingefassten Brücke mit Fahrstand stehen ein Klinkerdingi und der stilbildende Schornstein, zu dessen Fuß Bänke aus Edelholz zum Sitzen einladen. All das spielt sich auf dem Aufbau ab, der den namensgebenden Salon beherbergt. Das massive Haus reicht vom Heck bis zum Beginn der Back, die das erste Schiffsdrittel eindeckt. Es nimmt dabei so dezent den Sprung des Vorschiffs auf, dass es bei Betrachtung der Silhouette der Yacht als Teil der Rumpfform wahrgenommen wird. Hervorstechend wirkt nur das kleine Deckshaus auf dem Vorschiff, in dem ein Halbrund aus Ledersofas zum Träumen einlädt, während große Fenster den Blick auf die vorbeiziehende Schärenwelt freigeben.

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Wer den Niedergang hinabsteigt, erreicht den plüschigen Salon, dessen intarsienverzierter Ausbau in feinster Möbeltischlerarbeit ein reines Kunstwerk ist. Überall erinnern aufgearbeitete oder rekonstruierte Details an Szenen aus dem Leben dieser Motoryacht und an ihren letzten Eigner, der 35 glück­liche Jahre auf ihr verbrachte und sie dann versenkte: um sie davor zu bewahren, in falsche Hände zu geraten. Die Entstehung der „Alba II“ fällt in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Das Meer zu beherrschen, im Großen wie im Kleinen, gilt damals als eine der Königsdiszi­plinen irdischen Daseins. Und wer es sich als Küstenbewohner leisten kann, setzt gern ein Zeichen der Zeit, indem er ein schwimmendes Fahrzeug bereedert. Die willkommene Nebenwirkung dieses Pläsiers ist der entstehende Eindruck, dass hier jemand das nötige Kleingeld hat, sich vom Fahrplan der öffentlichen Dampferflotte unabhängig zu machen. Und so ist die Anlehnung der äußeren Erscheinung von Privatyachten an die zeitgenössischen Fahrgastschiffe kein Zufall.

Die Werft von Hugo Schubert

Auf der Werft von Hugo Schubert im Stockholmer Vorort Saltsjöbaden bedient man seinerzeit diesen Trend. Schubert selbst bringt die besten Voraussetzungen dafür mit. Der 1863 geborene Göteborger kam schon mit 25 Jahren als studierter Schiffbau-Absolvent nach Stockholm und avancierte 1898 zum Direktor der Mälar-Werft, wo unter anderem die Dampfschiffflotte für den See entstand. Im Jahr 1906 gründete Schubert dann seine eigene Werft. Sechs Jahre später läuft die heutige „Alba II“ hier als das erste einer Baureihe von zehn Schwesterschiffen vom Stapel. Sie heißt zu dieser Zeit „Tosca“ und ist auf eigene Rechnung für den opernbegeisterten Werftchef entstanden. Auf Repräsentations­fahrten während der Stockholmer Segelolympiade im Baujahr 1912 findet sich aber umgehend ein Käufer. Der Banker Alfred Berg befährt mit ihr unter dem Namen „Wijk“ zwei Sommer lang den Schärengarten, 1915 geht das Schiff dann in die Hände des US-Botschafters J. N. Morris über. Nun trägt es das sternenbesetzte Banner und den repräsentativen Namen „Ame­rica“. Ein Jahr nach Kriegsende kauft der Chef der schwedischen Handelsbank Mauritz Philipsson das Schiff und gibt ihm seinen heutigen Namen.

Der letzte Eignerwechsel läutete dann jene Ära ein, in welcher die überlieferte Vita der Yacht maßgeblich geprägt wurde. 1927 nämlich übernimmt der vermögende Stockholmer Knäckebrotfabrikant Nils Westerdahl das Ruder und lässt der „Alba II“ 35 Jahre lang seine ganze Liebe zukommen. Zahl­reiche Schwarz-Weiß-Fotografien aus dieser Zeit lassen die glücklichen Tage im Schärengarten auferstehen, und manch überlieferte Anek­dote untermauert diesen Eindruck. Vor allem die illustre Gesellschaft an Bord, zu Westerdahls Gästen zählen Prominente und Angehörige des Königshauses, verleihen dem Schiff damals seinen sprichwörtlichen Glanz. Bis im Jahr 1964, Westerdahl ist 79 Jahre alt, eines schönen Tages die letzte Fahrt der „Alba II“ in eine Bucht namens Kanholmsfjärden führt. Auf hundert Meter Tiefe schickt der Eigner sein Schiff, aus Sorge, der aus seiner Sicht moralisch nicht gefestigte Schwiegersohn könnte sich ihrer dereinst aus der Erbmasse habhaft machen. Es sind Anekdoten wie diese, die der gewitzte Richard Kahm mit sichtlichem Vergnügen zum Besten gibt, während er das erstaunlich wendige Schiff mit flotter Fahrt vor das Rathaus der Hauptstadt des Königreichs steuert. Bis das im Frühjahr 2000 erstmals wieder möglich wurde, war es ein steiniger Weg, den Kahm von Beginn an verfolgte.

Die Suche nach dem Schubertkreuzer

Alles begann im Jahr 1993, als der Initiator der Rettungsaktion Peter Upmark die Tochter des letzten Eigners Westerdahl um die Erlaubnis bat, nach dem Schiff suchen zu dürfen. Zwei Gebiete im Schärengarten kamen dafür infrage, weil es dort in den Sechzigerjahren möglich war, Versenkungen offiziell genehmigen zu lassen. Da Unterlagen über eine solche Genehmigung nicht mehr zu recherchieren waren, musste sich Upmark auf sein Gespür verlassen. Er konzen­trierte sich bei der Suche auf eine Munitionsdeponie auf hundert Meter Tiefe im Kanholmsfjärden.

Schon dass die Yacht von der Besatzung des geologischen Forschungsschiffs „Stratos“ der Stockholmer Universität tatsächlich geortet wurde, ist ein kleines Wunder, und dass sie anschließend unter Mitwirkung des Militärs tatsächlich von dem munitionsverseuchten Grund gehoben werden konnte, ein großes. Entsprechend war das Medienecho. Mit derartiger Präsenz gelang es später, ein öffentlich gefördertes Projekt auf die Beine zu stellen, an dem sich viele Firmen beteiligten, die „Alba II“ auf höchstem Standard restaurierten, wobei der Rumpf fast vollständig im Original erhalten blieb. Der ausführliche Restaurierungsbericht ist mit zahlreichen Fotos im Internet dokumentiert.

Nun treibt ihn ein 272 PS leistender 6-Zylinder-Volvo-Penta mit 16 Knoten Höchstgeschwindigkeit an. Er dreht dann mit 1800 Umdrehungen zwar nicht besonders hoch, als wirtschaftlich aber, so Kahm, gelte an Bord eine Fahrt von 8 bis 10 Knoten. Dann ist die Antriebsanlage an Deck kaum zu hören, und man kann die vorbeiziehende Schärenlandschaft mit Muße genießen. Und darum geht es schließlich heute wie auch vor mehr als hundert Jahren auf dem Schubertkreuzer „Alba II“.


Technische Daten Schubertkreuzer „Alba II“

  • Konstrukteur/Bauwerft: Hugo Schubert
  • Baujahr: 1912
  • Material: Stahl, Pinie, Mahagoni
  • Restaurierung: 1994–2000
  • Länge: 18,5 m
  • Breite: 3,4 m
  • Verdrängung: 18 t
  • Motor: Volvo Penta TMD 102A
  • Leistung: 200 kW/272 PS
  • Internet: www.myalba.se

Die „Alba II“ – Ex-„America“, Ex-„Wijk“, Ex-„Tosca“ – ist die erste von zehn baugleichen Motoryachten des Stockholmer Schiff­bau-Ingenieurs Hugo Schubert

Dieser Artikel erschien in der BOOTE-Ausgabe 08/2020 und wurde von der Redaktion im Dezember 2023 überarbeitet.


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