Pershing 9XZwischen Komfort und Krawall - 28 Meter sorgen für kontrollierten Rausch

Sören Gehlhaus

 · 10.08.2023

28-Meter-Jet: Zwei MTU-Diesel bringen 3878 Kilowatt auf die Wellen des Oberflächenantriebs. 42 Knoten münden in einen gut fünf Meter hohen und 30 Meter langen Roostertail
Foto: Alberto Cocchi
Der Look und Schub eines Kampfjets, das Handling und der Komfort eines Passagierflugzeugs. BOOTE EXCLUSIV erlag dem Faszinosum Pershing 9X

Die Bucht von Cannes ist am frühen Morgen wie ausgestorben. Der einzige Sparringspartner der 9X ist ein Helikopter, der nur wenige Meter neben der rechten Flanke scheinbar auf der Stelle steht. Das GPS loggt 38 Knoten, die Kommunikation zwischen den beiden Piloten geschieht intuitiv. Fotoshootings sind für Enrico Carbonari keine Seltenheit. Der Werkskapitän gibt sich so entspannt, als hätte er das Kommando auf einer Kabelfähre. Der 28,14 Meter lange Bolide, dessen MTU-Diesel 3878 Kilowatt an einen Oberflächantrieb weiterreichen, gehorcht auf jeden Millimeter Lenk- und Schubeinschlag. Ab 17 Knoten setzt die Gleitfahrt ein, und der bis zu fünf Meter hohe Roostertail wandert mit. Die gut 30 Meter lange Fontäne wirkt wie der Kondensstreifen, den ein Düsenjet als Zeichen seiner Leistungsfähigkeit in den Äther pustet.

Alberto Galassi lag richtig, als er während der Pressekonferenz am Vortag nicht müde wurde zu betonen, dass Pershing-Kapitäne eigentlich Jetpiloten seien. Ich bin an Bord von Baunummer fünf, einem Vorführmodell. Die 9X umschreibt der CEO der Ferretti-Gruppe, unter deren Dach Pershing seit 1998 firmiert, als „ein riesiges Schiff, das aber viel kleiner wirkt. Das macht sie so fantastisch!“

Nach der 5X ist die 9X das zweite Modell aus der X-Serie, mit der Pershing gewohnt kraftvoll und selbstbewusst in die Zukunft stürmt. Die Italiener lösen das Kohleversprechen, das in der Vergangenheit Cockpitverkleidungen und Ausrüstungsgegenstände wie Flybridge-Leitern machten, nun in strukturellen Bereichen ein. Die 9X laminiert die Werft aus Mondolfo großflächig in Karbon: den Rumpf mit Vinylesterharz und hohem GFK-Anteil, Deck und Aufbauten mit Epoxid­harz. Die Rumpflinien basieren auf denen der Pershing 92, die wiederum aus der 90 und 88 hervorgegangen ist.

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Ein Name wie eine Verheißung

Pershing – der Name prescht nach vorn, weckt Assoziationen von Power und Speed. Pershings Gründer Tilli Anto­nelli war Profisegler, bevor er 1985 sein eige­nes Unternehmen gründete. Aber, wie sollte es anders sein, der mit der meisten Kraft an Bord. Auf dem italienischen America’s Cupper „Il Moro de Venezia“ brachte der Italiener am Grinder die Winschen auf Hochtouren. Als Namensgeber diente ihm der US-amerikani­sche General John J. „Black Jack“ Pershing, nach dem in der Zeit des Kalten Krieges die MGM-31 Pershing benannt wurde: die Pershing-Rakete.

Den ersten Gestaltungsauftrag vergab Antonelli an Fulvio De Simoni, der in der Folge Pershing-Hausdesigner wurde. Die optische Ähnlichkeit zu Kampfjets scheint seit jeher eine Lastenheftforderung an De Simoni zu sein. Doch noch nie ähnelte das Deckshaus so sehr der Kanzel eines Kampfjets wie bei der 9X mit ihren segmentierten, kantigen Fens­tern. Auf der anderen Seite enthielt ein Pershing-Rumpf noch nie derart große Fenster wie in der X-Serie.

Kalkuliertes Risiko für Eigner einer Pershing

Pershing-Eigner mögen ein wenig verrückt sein; für sie liegen – Achtung, Klischee! – zwischen dem Mittagessen in Cannes und der Feierei auf Ibiza lediglich gute fünf Stunden Beinahe-Vollgas und eine 9000-Liter-Tankladung. Hasardeure sind speziell die Eigner großer Pershings nicht. „Über 90 Prozent überlassen das Kommando einem Kapitän, steuern aber so oft es geht selbst“, sagt Testpilot Carbonari über die Speed-Aficionados. In der 9X finden Eigner das kalkulierte Risiko. Wieder der Mittdreißiger: „Die kleineren Pershings sind wesentlich anspruchsvoller zu steuern, der Trimmaufwand ist größer, und sie liegen nicht so stabil im Wasser wie die 9X.“

Darüber hinaus bietet Pershings Maxi Coupé Annehmlichkeiten wie das elektronische Steuerrad, das nach dem Loslassen automatisch in die Neutralstellung übergeht. Oder die je 500 Kilo­gramm schweren Kreisel der zwei Seakeeper-Stabilisatoren, die binnen fünf Minuten nach dem Ablegen warmgelaufen sind. Ein umgelegter Schalter setzt dem leichten Schaukeln bei unter fünf Knoten Fahrt ein promptes Ende. Nach nur einer Bildschirmberührung übernimmt das gemeinsam mit TopSys­tem entwickelte Easy-Set-System, das automatisch trimmt und die Leistungen der beiden Aggregate individuell aufeinan­der abstimmt.

Das Wechselspiel aus Komfort und Krawall macht einen großen Teil des Reizes der 9X aus. Bretthart – es hat den Anschein, als würde das Karbon seine Fasern anspannen – setzen sich die 71,7 Tonnen in Bewegung. Als der digi­tale Drehzahlmesser die 1000-Umdre­hungs-Marke erreicht, leisten die MTU-Diesel 11,8 Knoten, verbrennen 168,4 Liter Diesel pro Stunde und werden von da an zusätzlich mit Luft gekühlt. Ab 17 Knoten geht die 9X in die Gleitfahrt über.

Wattierter Kraftprotz

Der Bug touchiert die Horizontlinie, als wir die 40-Knoten-Marke reißen. Voraus ist vom Cockpit aus nicht mehr viel auszumachen. Jenen, die sich nicht auf das Radar verlassen möchten, sei die optionale Kamera am Bug empfohlen, zusätzlich zu den zwei im Maschinenraum und den beiden am Heck. Im Cockpit und dem angrenzenden, nicht separierbaren Salon herrscht mit knapp 70 Dezibel eine Lautstärke, die einem laufenden Fernseher entspricht und mir in dieser Situation als vollkommene Ruhe erscheint. Kein Ruckeln, Brummen oder Vibrieren. Die Geschwindigkeit erahnt nur, wer einen Blick auf die Heckfontäne wirft oder seinen Kopf aus dem Salon kommend in Richtung Laufdeck schiebt und den Drei-Wetter-Taft-Test macht. Im Vergleich zu der inneren Sicherheit des Salons hat der Fahrtwind gefühlte Orkanstärke.

Ich begebe mich vor die Bullaugen-Tür des Motorenraums, wo das Fiepen des Turbos die sonstige Geräuschkulisse überlagert. Meine Sinne auf eine weitere Probe zu stellen und auf die Flybridge zu steigen untersagt der Kapitän. Sie zu begehen sei bereits ab 15 Knoten tabu. 42 Knoten auf der Fly fühlten sich so an wie 100 km/h in einem Auto ohne Windschutzscheibe. Also wieder zurück in den Salon. Meine Hände tasten die Decke vergeblich nach Handläufen ab, die Schritte wollen wohlüberlegt sein. Den Speisebereich hinter den drei Pilotensitzen genießen Eigner nur bei Stillstand.

Taucht die 9X im Hafen auf, reiben sich Bunkerstellenbetreiber weltweit die Hände. Bei 2000 Umdrehungen und 31 Knoten – mit 1/3 Zuladung und zehn Personen an Bord – fließen 762 Liter Diesel in der Stunde durch die Einspritzdüsen. Hingegen bei 41 Knoten und 2400 Umdrehungen schießen pro Stunde 1037 Liter in die 32 Zylinder jedes MTU-Aggregats. Kapitän Carbonari zirkelt komplexe Figuren in den flach daliegenden Golfe de la Napoule, und der Drehradius beträgt 100 Meter – bei 34 Knoten!

„Wir sind bereits zweieinhalb Meter hohe Wellen mit 23 Knoten herunter­gesurft“, berichtet Carbonari über einen seiner Überführungstörns, auf dem die Reichweite aufgrund von Kraftstoffeinsparungen nicht unwesentlich angestiegen sein dürfte. Die Pershing-Ingenieure geben sie mit 300 Seemeilen bei 38 Knoten an. Mit beiden Maschinen nacheinander laufend und zehn Knoten Fahrt klettert der Aktionsradius auf 1000 Seemeilen.

Bewährtes von Poltrona Frau

Das Cockpit gleicht mit den drei 24-Zoll-Touchscreens von Simrad, von denen der linke absenkbar ist, dem eines F-35-Kampfjets. Letzte analoge Bastionen bilden der Kompass und die Zündschlüssel. Beim Aktivieren der beiden Triebwerke liegen die Handballen auf einer Karbonplatte, die wiederum schwarzes Leder von Poltrona Frau ummantelt. Die Cockpitgestaltung ist das Meisterstück, das die zehnjährige Zusammenarbeit mit dem italienischen Möbelmulti krönt. Aus dieser Konstanz entsprang ein gefälliges Styling aller Wohnbereiche mit Wengé-Holz und grauem Leder, an dem alle bisherigen 9X-Eigner nur marginale Änderungen vornahmen.

In die Unterdeckwohnbereiche gelange ich über den Niedergang rechts vom Steuerstand. Hier sieht das Layout durch­aus Gestaltungsspielraum vor: Möglich sind entweder drei Doppelgästekabinen, prädestiniert für die Familiennutzung, oder eine Doppelkabine an Backbord, eine Dinette an Steuerbord und die VIP-Suite im Bug. Unter Deck massiert cremeweißer Flauschteppich meine Füße, durchgängige LED-Strips an den Decken schmeicheln den Augen. Für Sicherheit während der Nachtfahrt umgeben hellgraue Lederpolster die Betten. Die mit Schlangenleder bezogenen Sideboards finden sich in der mittschiffs gelegenen Eignerkabine und oben im Salon wieder, genauso wie der weiß getünchte Eichenholzboden Salon und Eignerbad schmückt. Das teilt sich in dieser Ausführung in zwei getrennte Bereiche auf, von denen einer in einer weiteren Option durch einen begehbaren Kleiderschrank ersetzt werden kann.

Die beigefarbene Chaiselongue auf der Steuerbordseite – sie ruht auf Edelstahlfüßen vor schwarzer Wengé-Verkleidung – hat eher skulpturalen Charakter, wird aber zum Leben erweckt, sobald das Oval-Bullauge im Fenster darüber geöffnet ist. Die vier Rumpffenster ergeben pro Seite eine Glasfläche von 15 Quadratmetern. Die mit Miele-Geräten bestückte Galley befindet sich zwischen den beiden Crew­quartieren auf dem achterlichen Unterdeck und ist über den Salon oder eine auf das Laufdeck führende Leiter erreichbar.

Kapitän Carbonari manövriert die 9X mit nur einem Triebwerk und klassisch an Rad und ZF-Hebel in die Box. Gängiger dürfte die Variante im Docking-Modus sein, wenn der Joystick von Xenta synchron und elektrohydraulisch sowohl die Diesel als auch die Bug- und Heckstrahler ansteuert. Dann dreht die 9X sogar auf der Stelle. Am Ende bleibt die Frage: Raubt komfortbringende Technik dem Biest die Magie? Nicht unbedingt. Wer die rohe Kraft der 9X spüren möchte, schaltet das Easy-Set-System aus, das im Startpreis von 7 150 000 Euro inbegriffen ist. Oder ordert nicht die zwei Gyrostabilisatoren dazu und spart eine Viertelmillion Euro. Der 3,85 Meter lange Williams-Tender und ein Sea-Doo Spark – beide gehören zum Standardpaket – rutschen wie bei der Pershing 92 aus dem Heck. Der Unterschied zur 9X: In ihrem Fall sollten wir die Garage doch lieber Hangar nennen.


Technische Daten

  • Länge über alles: 28,14 m
  • Breite: 6,23 m
  • Tiefgang: 1,65 m
  • Verdrängung (leer): 68 t
  • Material: GFK-Karbon
  • Motor: 2 x MTU 16V 2000 M96L
  • Motorleistung: 2 x 1939 kW
  • Geschwindigkeit (max.): 42 kn
  • Geschwindigkeit (Reise): 38 kn
  • Kraftstoff: 9000 l
  • Verbrauch @ 31 kn: 762 l/h
  • Reichweite: 380 nm @ 38 kn
  • Navigation: Simrad
  • Bugstrahlruder: 1 x 30 kW
  • Kreiselstabilisator: 2 x Seakeeper 9
  • Tender: Williams Turbojet 385
  • Styling: Fulvio De Simoni
  • Interiordesign: Fulvio De Simoni
  • Konstruktion: Ferretti-Gruppe
  • Designkategorie: CE „A“, RINA
  • Werft: Pershing, 2017
  • Händler: Sieckmann Yachts
Pershing 9X: Sun Deck
Optional: Anstelle der Steuerbord-Gästekabine realisiert Pershing eine Dinette. Das zweite Eignerbad weicht auf Wunsch einem Kleiderschrank

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