„Carinthia VII“Lürssen holt 97-Meter-Schönheit aus Dornröschenschlaf

Perfekt proportioniert: Kaum zu glauben, dass Tim Heywood den Riss vor 25 Jahren zeichnete. Zur Verjüngungskur gehörte ein dunkleres Blau
Foto: Tom van Oossanen, Guy Fleury
Ein neuer Eigner holte die „Carinthia VII“ aus dem Dornröschenschlaf. Den zweiten Frühling als Charteryacht ermöglichte Lürssens Refit-Sparte, die in Rekordzeit erneuerte, anpasste und doch den Charme und die Substanz der 97-Meter-Schönheit bewahrte.

In der Architektur hält das Credo „Alt ist das neue Neu“ immer häufiger Einzug. Das Erhalten ist eine Form des nachhaltigen Bauens und konserviert gebundene graue Energie, die seit Erstellung in das Gebäude geflossen ist. Analog dazu strotzte „Carinthia VII“ nur so vor blauer Energie, als sie im Spätsommer 2022, wenige Monate nach dem Tod der Auftraggeberin Heidi Goëss-Horten, einen neuen Bewahrer fand, der sich ebenso als ein Erneuerer herausstellte. Er zählt zu jenen Eignern, die große One-offs gebraucht kaufen und ihrem Gusto anpassen. Sie sparen Energie und nutzen einen Vorteil: Einer Refit-Dauer von etwa einem Jahr stehen bis zu vierjährige Wartezeiten für einen Neubau gegenüber. Viele machen meist kurzen Prozess, lassen das gesamte Interieur entfernen und teils aus steuerrechtlichen Gründen entsorgen.

Eine Ikone der 90er-Jahre

Die 97 Meter lange Lürssen, die siebte mit dem lateinischen Namen „Carinthia“ – deutsch für „Kärnten“ –, erwachte aus einem 21-jährigen Dornröschenschlaf. In Venedig zählte die blaue Schönheit jahrelang zum Stadtbild, die vier Hauptmaschinen hatten lediglich 4500 Betriebsstunden auf den 80 Zylindern. Vom Stapel lief „Carinthia VII“ 2002, beinahe 30 Jahre nach Nummer sechs. Vermutet wird, dass die Witwe des Kaufhausmagnaten Helmut Horten, 32 Jahre jünger als ihr 1987 verstorbener Mann, testamentarisch verpflichtet war, „Carinthia VI“ zu halten. Denkbar wäre es durchaus, war sie doch eine Ikone, entstanden mit Herzblut in einer Zeit, als deutsche Industrielle eher mit Formaten im biederen Bäderdampfer-Stil unterwegs waren. Der Yachtbau hatte sich in den Neunzigern dramatisch verändert und der Sprung zu „Carinthia VII“ war enorm. Goëss-Horten schöpfte jede technische Raffinesse aus, die inzwischen möglich war und die man ihr empfahl.

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Linien von Tim Heywood

Horten beschäftigte nicht mehr Bannenberg, sondern dessen begnadeten Schüler Tim Heywood. Der Designer, der 1996 Bannenberg verlassen und sich mit seiner Frau unter dem Namen THD selbstständig gemacht hatte, erinnert sich: „Frau Horten hatte ein Meeting bei Lürssen und man zeigte ihr meine Pläne für ,Pelorus‘. ‚Das ist genau das, was ich möchte‘, sagte sie. Ich wurde beauftragt, einen Entwurf zu liefern, der ,Pelorus‘ spiegelte, dabei aber eigenständig blieb.“ „Carinthia VII“ sollte auf jeden Fall schneller sein. Auch war sie ein Jahr früher fertiggestellt als ihr 115 Meter langes Vorbild „Pelorus“.

„Carinthia VII“ wurde zeitlos, kraftvoll, dabei in gewisser Weise feminin. „Es lief extrem unkompliziert, das Exterieur ist 100 Prozent THD.“ Am eindrucksvollsten zeigen sich ­Heywoods­ graziös fließende Linien aus der Luft: die Decks in Stufen fein modelliert, Brückennocken, Abluft und Kommunikation meisterhaft zusammengeführt, ausufernde Freiflächen auf allen Ebenen. Heywood selbst liebte den Aufenthalt auf den weitläufigen Decks, den Blick nach achtern über seine kunstvollen Kurven auf die schäumende See gerichtet. Nicht weniger genial gestaltete Heywood die Seitenansicht, auf Yachten dieser Größenordnung nicht selten ein Schwachpunkt. Mit leichter Hand zog der Designer die dunkelblaue Bordwand in dramatischem Bogen auf die Höhe des zweiten Decks – das Prinzip „Backdecker“ als Premium-Ausgabe.

Die einstige Inneneinrichtung

Die Innenräume zeigten sich zum Zeitpunkt des Verkaufs eher gediegen denn zeitgemäß. „Sie war 20 Jahre alt und zu der Zeit konventionell gehalten, vom Stil her hatten wir es mit einer 40 Jahre alten Yacht zu tun“, beschreibt es Alberto Perrone Da Zara, Sales Director von Lürssen Yacht Refit. Es gab wuchtige Wurzelholztische, Vertäfelungen mit Marmor­imitation, vielerlei Wandmalerei in Pastell, grün karierte Vorhänge, ein Meer von konischen Lampenschirmen im Salon, beigefarbene Polstermöbel mit Mustermasern oder glasierte Fliesen in Türkis im Spa. Alles erstklassig erhalten. Und dennoch ging ein Teil davon in die Versteigerung, bei der etwa Decksmöbel-Sitzgruppen so massiv und einst so teuer wie ein Kleinwagen für wenige Hundert Euro erstanden wurden.

„Es wurde versucht, so viele Dinge wie möglich und mindes­tens ein Möbelstück pro Zimmer zu retten“, sagt Perrone Da Zara im Flur des Oberdecks. Der italienische Schiffbau­ingenieur arbeitet seit 2014 für die Bremer Werft und seit der Übernahme von Blohm+Voss in Hamburg. Wie bei seiner 45 Meter langen Vorgängerin betraute der neue Eigner, ein Kunstsammler, Bizzozero Cassina Architects mit der inneren Auffrischung. Sie bestückten mit zeitgenössischer Kunst und Designmobiliar, bewahrten aber die handwerkliche Exzellenz. So beließ man im Salon die Wurzelholz-Boiserie und ergänzte um Stoffe eines Kunsthandwerkers aus Venedig. An den Wänden wurde viel mit heller Farbe gearbeitet, die gesprüht wurde und aufgrund hochentzündlicher Gase hoher Sicherheitsstandards bedurfte.

Das Hauptdeck der „Carinthia VII“

Das Hauptdeck zählt vier Doppelkabinen, ein Deck höher liegt eine VIP-Suite vor der Eignerkabine. Auch in Letzterer verblieben die umlaufenden und mit Intarsien verzierten Birnenholzschränke sowie komplett getäfelte Ankleidezimmer. Die Decke zieren Lautsprecher statt eines Teilbaldachins und das Bad wurde im Gegensatz zu den anderen Badezimmern an Bord komplett erneuert. Die frei stehende Wanne umgeben nun beheizter Botticino- und Calacatta-Marmor. In das Ambiente fügt sich das Parkett aus Chantilly-Tafeln ein, die Eichenholz aus einem ehemaligen Kloster formen. Es wurde geschliffen und geölt und fühlt sich angenehm unter den Sohlen an.

Ein ähnliches Muster zeigt sich an den Wänden des Treppenhauses, wo die Innenausbauer von Vedder Leder-Mosaike kunstvoll ineinandersetzten, den cremefarbenen Stufenteppich ließen sie auf Eignerwunsch liegen. „Vorher gab es hier 16 Farben, jetzt sind es 8. Und je weiter man nach unten geht, desto dunkler werden sie“, informiert Perrone, der mit ­seinem Team auch das Refit der 126-Meter-Lürssen „Octopus“ stemmte. „Carinthia VII“ aber galt es auch für die kommerzielle Nutzung fit zu machen. Damit ging das 300-Tage-Projekt weit über kosmetische Maßnahmen am Interieur hinaus und erforderte – im wahrsten Sinne des Wortes – einschneidende schiffbauliche Maßnahmen. Zu beiden Seiten integrierte man je drei Speigatten in das Schanzkleid des Hauptdecks, damit über Deck kommendes Waser ablaufen kann. Umfangreiche Schweißarbeiten erforderten die wasserdichten Schotten und Türen mittschiffs auf dem Tank- und Unterdeck, die sich aus den Stabilitätskriterien nach SOLAS 2 ergaben.

Der neue Flaggenstaat, die Marshallinseln, verlangte nach einem SOLAS-Rettungsboot auf dem Vordeck inklusive Kran und Notstromaggregat. Zudem installierte man ein komplettes Feuerlöschsystem, eine Sprinkleranlage gab es zuvor nicht. Die Brandschutzklasse B60 sah den diskreten Umbau aller Türen vor, sodass diese Feuer bis zu 60 Minuten standhalten. Hinzu kamen eine Notstromversorgung, die vollständig der Klasse entspricht, und zwei Rettungsinseln, die mit ihrer Auslösevorrichtung aufgrund des engen Zeitrahmens unverkleidet am Brückendeck hängen. Isolierungen wurden auf höhere Brandklassen aktualisiert, zusätzliche optische und akustische Alarme eingebaut und für die vollständige Konformität sogar offene Räume mit neuen feuerfesten Trennwänden abgeschlossen.

Motorisierung der „Carinthia VII“

Die vier 20-Zylinder von MTU benötigten erstaunlich wenig Zuwendung. Zwei Aggregate wurden der Wartungsstufe W6 unterzogen, was die komplette Zerlegung in ihre Einzelteile, deren gründliche Reinigung und den Wiederzusammenbau nach sich zog. Die geballte Antriebsleistung von 29 600 Kilowatt brauchte es, damit „Carinthia VII“ trotz der vollumfänglichen Stahlkonstruktion die gewünschten 25 Knoten lief. Alu-Aufbauten standen bei Lürssen Ende der 90er-Jahre noch nicht hoch im Kurs. Dem Topspeed und der Rumpfform entsprechend kamen für das Refit nur einfahrbare Stabilisatoren infrage. Quantum lieferte zwei XT-Flossen, die sich zum Halten der Position auch ohne Anströmung bewegen und bei langsamer Fahrt oder vor Anker Rollbewegungen minimieren.

So können sich Charter-Gäste ohne Schlingern auf dem Laufband gut zehn Meter über der Wasseroberfläche verausgaben. Auf dem Brückendeck realisierte Lürssen ein vollklimatisiertes, 85 Quadratmeter großes Fitnessstudio. Insgesamt sechs Tonnen Glas und Stahl flossen in die Schiebetüren achtern und Schließung des Treppenaufgangs auf dem Sonnendeck. Das erhielt einen Esstisch für 14 Personen und zwei Bars, eine davon mit Grill. Zwei Radardome wanderten vom Sonnendeck in verkleinerter Form nach vorn auf die Dächer der Nocken und rahmen zwei Starlink-Flachantennen an. Die empfangenen Streamingdaten schickt ein Projektor auf eine Leinwand, die von der Crew hinten auf dem Oberdeck aufgespannt wird.

Highlights an Bord

Zwei Decks tiefer versiegelt das Teakdeck ein Zwölf-Meter-Pool in Stars-&-Stripes-Blue, das auf die Lackierung des legendären US-America’s-Cuppers zurückgeht. Nach oben klemmt diese Lösung optisch ein wenig, aus guten Gründen: Eine Infinity-Variante bis achtern in das Schanzkleid unterbindet die Passerelle, die in der Mitte auf 8,80 Meter ausfährt. Ein Rezess für das Becken verhinderte die darunterliegende 124 Quadratmeter große Tendergarage. Statt der originalen Vantage 26 und der Custom-Limousine im stringenten Heywood-Look kommen hier ein schaluppenhaftes Beiboot (Intender 820 ES) und ein 8,50-Meter-RibEye mit Diesel-Außenborder unter.

Am Pool lehnend sinnt Alberto Perrone Da Zara über die Grenzen des Projekts nach: „An einem Punkt mussten wir aufhören. Sie kamen mit immer neuen Ideen.“ Letztlich musste „Carinthia VII“ doch ein wenig von ihrer ursprünglichen blauen Energie einbüßen. Unter dem neuen Eigner verlor sie ihr kraftvolles Blau, das von Awlgrip fortwährend als Carinthia Blue vermarktet wird. Nun glänzt sie etwas dunkler in ­Majestic­ Blue – ein kleiner Schwenk auf der Farbskala, den auch Großmeister Heywood goutiert. Eine haifischgraue Lackierung umschließt die Fenster. Es sind die gleichen kugelsicheren Scheiben geblieben, sie waren vor 22 Jahren bereits bodentief.


Technische Daten

  • Länge über alles: 97,20 m
  • Breite: 16,60 m
  • Tiefgang: 4,80 m
  • Gross Tonnage: 3643 Gross Tons
  • Material: Stahl
  • Motoren: 4 x MTU 20V TB93
  • Motorleistung: 4 x 7400 kW
  • Geschwindigkeit (max.): 25 kn
  • Geschwindigkeit (Reise): 18 kn
  • Reichweite @ 15,5 kn: 5500 sm
  • Generatoren: 2 x 640 kW, 2 x 455 kW
  • Kraftstoff: 456 000 l
  • Wasser: 130 000 l
  • Konstruktion: Lürssen
  • Exterieurdesign: Tim Heywood
  • Interieurdesign: Bizzozero Cassina Architects
  • Klasse: DNV
  • Werft: Lürssen, 2002 / 2023
  • Charter: Fraser, 1,4 Mio. Euro p. W.

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