Die Geschichte von „Piacere“ beginnt in Florida. Der Broker Javier Navarro von Zarpo Yachts lief über die Yachtmesse in Fort Lauderdale, zusammen mit einem Eigner, der seine erste Customyacht bauen wollte. „Wir sahen uns Projekte an und sprachen mit Designern, wir suchten nach einem zeitlosen und aktuellen Design“, erzählt Navarro. Nach und nach entstand so ein Topteam, um eine Motoryacht nach einer sehr persönlichen Wunschliste zu entwickeln. Für die Realisierung kamen nur wenige Adressen in die engere Wahl.
„Ich zog erst eine nordeuropäische Werft in Betracht, wollte den Eignern aber auch Rossinavi vorstellen“, sagt Navarro und gibt dem „R“ in Rossi ein elegantes Rollen. „Sie verfügen über die nötige Bauqualität und können Custom, haben aber auch einen persönlichen Touch, der für diese Eigner sehr wichtig ist“. Glücklicherweise befand sich die 62,6 Meter lange „Utopia IV“ auf der Messe, und so wurde umgehend ein Besichtigungstermin festgelegt. „Sie liebten das Interieur und die Qualität“, berichtet der Broker. „Vor allem verstanden sich die beiden Familien auf Anhieb.“ Diese zwischenmenschliche Beziehung war eine der wichtigsten Treiber des Projekts. „Den familiären Touch, den du mit einer Werft wie Rossinavi hast, den direkten Kontakt mit dem Topmanagement, die Rossis selbst ohne Vermittler. Es ist sehr schön, so zu arbeiten.“
Auch Werftchef Federico Rossi erinnert sich an den Besuch in Fort Lauderdale: „Nachdem die Eigner ‚Utopia IV‘ gesehen hatten, zeigten wir ihnen die Basisplattform, unterzeichneten den Vertrag und arbeiteten weiter an der Entwicklung.“ Das Projekt sollte speziell auf das Wohnen an Bord und Langstreckenfahrten ausgerichtet werden. „Die Eigner sind familienorientiert und lieben es, gut zu leben. Und weil sie so klare Vorstellungen hatten, stimmten wir das Projekt so ab, dass es wie ein Maßanzug passte“, sagt Rossi.
Ein Mitglied des Designteams heißt Horacio Bozzo. Der argentinisch-italienische Konstrukteur mit Studio im toskanischen Pietrasanta zeichnete die Linien. „Ein essenzieller Aspekt des Briefings waren schöne Ausblicke und so viel Tageslicht wie möglich“, erklärt Bozzo, der „Piacere“ ein funktionales Design verpasste, mit klaren minimalistischen Linien. Zudem schuf er eine Yacht für ein Leben an der frischen Luft mit großen Außenflächen, die den Bedürfnissen aller Generationen entgegenkommen. Da gibt es viel Glas in den Fenstern, Schanzkleidern und Relings, um Helligkeit in die Innenräume zu bringen. „Der Name ,Piacere‘ bedeutet im Italienischen ,Vergnügen‘ und erklärt die Absicht des Eigners in einem Wort. Er wollte eine Yacht, auf der er die Freuden des Familienlebens genießen kann“, beschließt Bozzo.
Ein anderer wichtiger Name in diesem Traumteam war Enrico Gobbi, der sich mit seinem Studio Team for Design um die Kreation des Interieurs kümmerte. Während Gobbi schon häufiger für Rossinavi gearbeitet und auch die Yacht gezeichnet hatte, die die Eigner in Fort Lauderdale besichtigten, ist „Piacere“ die erste Gemeinschaftsarbeit von Bozzo, Gobbi und Rossinavi. „Es war wirklich ein eng verknüpftes Team mit exzellenten Synergien und Dialogen auf allen Seiten“, meint Rossi. „Man kann es an der Qualität der Ergebnisse sehen.“
Noch bevor die Designer richtig loslegten, luden die Eigner sie in ihr Haus ein, sodass sie eine bessere Vorstellung davon bekämen, wie sie leben, was sie mögen und wie sie ihre Yacht nutzen. Enrico Gobbi erinnert sich an einen warmen und herzlichen Empfang und war begeistert von der Erfahrung. „Als wir mit seinem Boot rausfuhren, sahen wir sogar Wale“, erzählt er. „Aber mehr als alles andere gab uns der Ausflug die Chance, die Eigner persönlich kennenzulernen und ein gutes Verhältnis aufzubauen. Sie waren sehr involviert und betonten, dass sie eine einladende, elegante und funktionale Yacht wollten, nichts zum Angeben. Das Wort, das am häufigsten aufkam, war zeitlos. Denn sie wollten ,Piacere‘ für Jahre behalten.“
Zudem wollten die Eigner ausgedehnte Reisen zu alten und neuen Zielen unternehmen, was die Werft vor einige Herausforderungen stellte. „Piacere“ sollte sowohl Zertifikate für Suez- als auch Panamakanal erhalten und eine echte Langstreckenyacht mit allen Features sein, die man sonst an Bord einer 60-Meter-Yacht findet. „Um einen Fahrstuhl anzubieten, der vom Unterdeck hinauf zum Sonnendeck fährt, einen richtigen Beachclub und eine große Garage, muss man das Beste aus jedem Raum herausholen, sei es für die Stauräume oder die Technik“, führt Rossi aus. Man müsse den Raum zwischen den Decks minimieren, was auf der einen Seite gut ist, weil es den Schwerpunkt niedrig hält, aber auf der anderen Seite nicht viel Platz lässt für die Systeme. Für die Klimaanlage, zum Beispiel, war eine intensive Planung notwendig. „Es ist viel einfacher, eine 60-Meter-Yacht mit 1000 Gross Tonnage zu bauen als 50 Meter mit unter 500 GT“, verrät er. „Auf der Werft machten wir Witze darüber. Aber es stimmt, an Bord von ,Piacere‘ planten wir jeden Raum so, als hätten wir es mit einer 18-Meter-Segelyacht zu tun.“
Eine intensive Nutzung der Flächen stand auch hinter der Anforderung des Eigners nach einem Beachclub, der exklusiv für die Gäste reserviert ist. Obendrein wollten sie zwei Castoldi Tender haben, einen 14 Fuß langen für die Crew und einen mit 23 Fuß für die Eigner. So entschied sich Horacio Bozzo, die Garage am Bug zu platzieren.„Sie vorne zu haben, macht viel Sinn, weil man den Tender sicher einholen und wassern kann. Zudem ist es ein offener Raum, der nicht zur Gross Tonnage zählt“, sagt er. Eine Tür mit Scharnieren zu nutzen, war unmöglich wegen der komplexen Linien im Bug, aber es fand sich eine geniale Lösung. „Wir nutzen den Kran, der für das Einsetzen der Tender gedacht war, als Öffnungsmechanismus, um die Alurumpftür auf- und zuzudrücken“, erklärt Bozzo. „Weil die Tür strukturell steif, aber leicht ist, konnten wir kleinere und leichtere Mechanismen verwenden“. Zudem blieb neben den Tendern noch Platz für einen Waverunner und Seabobs.
Außer dem Beachclub stand und steht das Sonnendeck im Fokus. „Jeder, der ,Piacere‘ betritt, ist überrascht von der Größe der Flybridge, und die Eigner haben bestätigt, dass sie sie häufig nutzen“, meint Bozzo. „Frühere Kunden erzählten, dass sie die Fly nicht so mögen, weil sich die Yacht vor Anker nach dem Wind ausrichtet und das Oberdeck zugig wird.“ Nach diesem Feedback begann er, das Sonnendeck so zu planen, dass der Wind wehen kann wie er will. Bozzo montierte Glasschiebetüren an den vorderen Teil des Hardtops und schuf einen Raum, der geschützt, aber nicht abgeschlossen ist und auch nicht die Gross Tonnage in die Höhe treibt. Dieses Setup macht die höchste Ebene zum Ganztagsraum mit Spapool, Bar und Speiseplatz – direkt erreichbar mit dem Fahrstuhl.
Die Möbel der Inneneinrichtung sind meist sonderangefertigt, aber es gibt auch Stücke von italienischen Top-Designmarken wie Minotti und Poliform sowie viel Leder für ein dauerhaft luxuriöses Ambiente. „Horacios Linien lassen viel Sonnenlicht in das Interieur, und so blieb ich bei einer hellen Farbplatte, um ein Ausbleichen zu verhindern“, sagt Gobbi. Um die Bedürfnisse der Eignerfamilie zufriedenzustellen, achtete der Designer auf Sicherheit, vor allem für die Kinder: „Wir rundeten die Ecken ab und trafen alle Vorsichtsmaßnahmen, um die Yacht sicher zu machen, ohne ihren Look zu ruinieren.“
In den frühen Phasen der Bauzeit war es einfach für die Eigner, die Werft zu besuchen und die Details des Projekts abzustimmen. Mit der Pandemie änderte sich das: Der Besuch bei den Eignern entpuppte sich damit als eine bessere Idee als alle gedacht hatten. „Wir haben ein so gutes Verhältnis aufgebaut, dass die Eigner sagten: ‚Macht einfach, ihr kennt unseren Geschmack und wir vertrauen euch‘“, erinnert sich Gobbi. Rossinavi begegnete Herausforderungen mit Einfallsreichtum. „Wir packten Muster in identisch nummerierte Umschläge und schickten einen Satz zum Eigner und behielten einen auf der Werft. Nachdem die Umschläge geliefert waren, starteten wir einen Videocall und öffneten sie zusammen, fast wie in einer Spielshow“, erläutert Rossi lachend.
Als „Piacere“ abgeliefert war, dauerte es noch eine Weile, bis die Reisebeschränkungen aufgehoben wurden und die Besitzer in See stechen konnten. „Ich bekam eines Abends einen unerwarteten Anruf“, berichtet Javier Navarro. „Es war der Eigner. ‚Javier‘, sagte er, ‚ich bin superhappy. Ich genieße gerade meinen ersten Whiskey an Bord, und ich bin zu Tränen gerührt.‘ Ich konnte es an seiner Stimme erkennen, dass er keinen Witz machte. Der Konstruktionsprozess war herausfordernd, und nun passte endlich alles, es war einfach fantastisch.“
Der Eigner hatte von dieser Yacht lange geträumt. „Als er sie dann sah, liebte er sie so sehr, dass er praktisch den ganzen Sommer an Bord verbrachte und kaum an Land ging“, erinnert sich Federico Rossi, „Ich denke, dass ,Piacere‘ eine sehr private Yacht ist, was möglicherweise lustig klingt, wenn man ihre Größe bedenkt. Sie wurde gebaut für ein Leben mit der Familie. Eine Yacht zu sehen, die so genutzt wird, ist ein Glücksfall. Es ist traurig, wenn sie im Hafen liegen.“
„Piacere“ mag der erste Custombau des Eigners sein, aber sie könnte mit diesem Designteam einen Trend gesetzt haben. Und Rossi kann sicher sein, dass „Piacere“ nicht für längere Zeit irgendwo liegen wird. Nach einem Sommer im Mittelmeer verbrachte sie einen Winter in der Karibik und wird bald den Pazifik erkunden. Ganz privat, „con Piacere“, mit Vergnügen.