Designer-PortraitEnrico Gobbi gilt als Tausendsassa in der Yacht-Branche

Martin Hager

, Clare Mahon

 · 21.02.2023

Enrico Gobbi: Der italienische Designer steht gelassen am Eingang zu seinem Studio
Foto: Giovanni Cecchinato, Michele Chiroli

Seit vielen Jahren gehört Enrico Gobbi zu den gefragtesten Designern der Branche. Doch das künstlerische Multitalent hat noch viel mehr zu bieten. BOOTE EXCLUSIV besuchte den sympathischen Italiener in seinem Atelier.

Wir treffen uns mit Enrico Gobbi in seinem Studio in Mestre, ganz in der Nähe von Venedig. „Team for Design - Enrico Gobbi“ steht auf dem Klingelschild der Kreativadresse mit industriellem Charme. Es ist ein schwül-heißer Tag, doch die Atmosphäre im Büro, das sich in einem Teil eines sanierten ehemaligen Kohleschuppens befindet, ist kühl, ruhig und gelassen. So wie die Innentemperatur mit der Außentemperatur kontrastiert, so kontrastiert das moderne und ganz in Weiß gehaltene Interior mit der harschen Industriehistorie des Gebäudes und seiner von harter Hafenarbeit geprägten Umgebung. Das Büro hat etwas Nautisches: Das lange und schmale Gebäude liegt direkt am Kanal und ähnelt einem Schiffsrumpf. Auf dem „Unterdeck“ befinden sich die Arbeitsbereiche der Designer und Projektmanager, der Kapitän, Gobbi selbst, wirkt in einem geschlossenen Büro auf dem „Oberdeck“. Alles ist makellos sauber und in einem tadellosen Zustand.

Das trifft auch auf Enrico Gobbi zu. Der Sohn eines Schneiders und Stylisten ist fit, schlank und er wirkt gänzlich unberührt von der drückenden Hitze vor der Tür. Er ist in ein kragenloses weißes Hemd und eine kakifarbene Hose gehüllt, die am Knöchel gerade so weit hochgerollt ist, dass seine fein gearbeiteten italienischen Lederschuhe perfekt zur Geltung kommen. Er führt uns in den Konferenzraum, ein helles Loft gegenüber seinem Büro, in dem Regale mit Stoff- und Marmormustern aufgereiht sind, die Eignern bei der Entscheidung über die Innenausstattung ihrer Yacht helfen. Während wir uns niederlassen, erzählt Enrico Gobbi, dass sich die Studiogröße durch die Expansion in einen Raum nebenan bald verdoppeln wird.

Da die Yachten, die wir entwerfen, immer größer werden, kommen auch immer größere Gruppen an Entscheidern zu uns. Ein Konferenzraum mit sechs Plätzen reicht einfach nicht mehr aus.“

Gelernt schöne Dinge zu schätzen

„Ich glaube, dass zwei Dinge meine ästhetische Vision geprägt haben“, startet Gobbi seine Geschichte. „Erstens ist es die Tatsache, dass ich in Venedig aufgewachsen bin. Ich konnte die Fenster öffnen und war von Schönheit umgeben. Diese Stadt ist etwas ganz Besonderes! Zweitens haben mir meine Eltern beigebracht, schöne Dinge zu schätzen, nicht unbedingt luxuriöse Dinge, aber Dinge, die schön sind. Hinzu kommt, dass ich aus einer Familie mit vielen überaus kreativen Menschen stamme. Obwohl mein Vater knapp achtzig Jahre alt ist, arbeitet er immer noch als Schneider und Stylist, hauptsächlich für die Marke Moncler. Ich bin ein Einzelkind, und er hätte es gern gesehen, dass ich in seine Fußstapfen trete. Doch ich wollte schon immer Architekt werden und meine Eltern haben mich voll und ganz unterstützt.“

Während seines Architekturstudiums an der Universität von Venedig kam in Gobbi das Interesse für Boote auf. „Boote waren schon immer ein Thema für mich, aber ich hatte mich bis dahin nie ernsthaft mit ihnen beschäftigt“, erinnert er sich. „Ich fing an, mich selbst zu unterrichten und las alles, was ich in italienischen Fachzeitschriften zum Thema Yachtdesign finden konnte. Meine Diplomarbeit schrieb ich über die Umrüstung eines Kreuzfahrtschiffes der Reederei Costa Crociere in eine Yacht. Aus Frustration über den Mangel an spezialisierten Designschulen in Italien zog Gobbi nach Kalifornien, um sein Studium fortzusetzen und absolvierte dort einen Kurs für Yachtdesign.

Enrico Gobbi fand seinen ersten Mentor in Venedig

Zu diesem Zeitpunkt hatte er zwar bereits einen Abschluss in Architektur, ergänzt durch einen Kurs in Yachtdesign, aber der italienische Designer ist sich sicher, dass seine wahre Ausbildung mit seinem ersten Job begann. „Nachdem ich aus den Staaten kam, ging ich direkt zu Nuvolari-Lenard in Venedig und sagte: ,Ich will hier arbeiten, lasst mich einfach ins Büro kommen, ihr müsst mich nicht einmal bezahlen‘“, erinnert sich Enrico Gobbi lachend. In Carlo Nuvolari fand er seinen ersten Mentor.

Ich habe ihm viel zu verdanken, denn er hat mir alles beigebracht – auch wie man mit Kunden umgeht.“

In nur zwei Jahren arbeitete sich Gobbi vom engagierten Azubi zum Büroleiter hoch und drei Jahre später hielt er die Zeit für gekommen, sich selbstständig zu machen: „Es war ein großes Risiko, weil ich keinen einzigen Kunden hatte, aber über einen Freund buchte ich zunächst einen Ministand auf der Dubai Boat Show, wo ich ein 40-Meter-Konzept ausstellte.“ Dort knüpfte Gobbi eine weitere wichtige Verbindung, dieses Mal zu Peter Zuber, dem österreichischen Eigentümer von Dreamline und Dominator Yachts.

„Peter ist so etwas wie ein Talentscout in der Yachtwelt. Er hat ein großes Netzwerk und er kennt sowohl die Industrie als auch viele Eigner und potenzielle Kunden. Peter hat mich empfohlen, wo er nur konnte“, sagt Enrico Gobbi über den Mann, den er auch eine Vaterfigur nennt. „Er hat mir wirklich sehr geholfen und teilte offen sein Netzwerk. Peter brachte mich auch mit dem Kunden für das 40-Meter-Projekt in Kontakt.“

Größere Projekte: Yachten, die aussehen wie ein Sportwagen

Dieses Projekt war der Startschuss für „Team for Design - Enrico Gobbi“ und seitdem schaut Gobbi nicht mehr in den Rückspiegel. Dominator, Dreamline und ISA Yachts waren und sind wichtige Kunden des Studios, aber die vielleicht engste Arbeitsbeziehung existiert mit Rossinavi. Eine der bedeutendsten Kooperationen zwischen Gobbi und der Werft aus Viareggio war die 63 Meter lange „Utopia IV“. „Der Eigner sagte: ,Ich möchte eine Yacht, die wie ein 63 Meter langes Auto aussieht, das ich am Steg vor meinem Haus andocken und damit spontan auf die Bahamas fahren kann. Wären Sie bereit, ein solches Schiff für mich zu entwerfen?‘“, erinnert sich Gobbi. „Ich antwortete, dass eine Yacht im Coupé-Format der Traum eines jeden Designers sei.“

“In meinen Gedanken stelle ich mir häufig Yachten vor, die Sportwagen ähneln. Yachten, die wie größere Mercedes SLs, Aston Martins oder sogar Jaguar E-Types mit ihren langen Motorhauben und den durchgehenden, klaren Fensterlinien aussehen. „Utopia IV“ war der Beginn eines neuen Looks für größere, aber sportliche Yachten mit langen, schlanken Vordecks, die an die Motorhauben klassischer Sportwagen erinnern. Heute bitten uns unsere Kunden um immer größere Projekte, die weiterhin vom Automobildesign inspiriert sind“, sagt Gobbi.

Die „Utopia IV“ wurde für einen Eigner mit Faible für sportliche Coupé-Automobile
Foto: Giovanni Cecchinato, Michele Chiroli

Werft Rossinavi zählt zu den wichtigsten Partnern

Enrico Gobbi und Rossinavi arbeiteten an insgesamt fünfzehn Yachten zusammen, mal bei der Interior- und Exteriorgestaltung wie bei der 70 Meter langen „Polestar“ (Ex-„Polaris“, Heft 2/22), der 49-Meter-„EIV“, der 48,50 Meter langen „Prince Shark“ oder 65-Meter-„Resiliance“ (Heft 1/23). Manchmal gestalteten Gobbi und sein Kreativteam auch nur das Exterior wie bei 49-Meter-„Flying Dagger“, dann wieder nur das Interior wie bei der 50 Meter langen „Piacere“. Es überrascht nicht, dass Enrico Gobbi und Rossinavi-COO Federico Rossi im Laufe der Jahre eine enge Beziehung zueinander entwickelt haben. „Federico und ich diskutieren zwar manchmal intensiv über Details, aber wir verstehen uns und er unterstützt und promotet unsere Arbeit in jeglicher Hinsicht. Unser Exteriorstil ist festgelegt und definiert, aber bei den Interiors sind wir flexibler, hier können wir uns an den Stil des Kunden anpassen“, sagt Gobbi.

„Polestar“: Die 70 Meter lange Ex-„Polaris“ ist das Flaggschiff sowohl für die Werft Rossinavi als auch Designer Enrico Gobbi
Foto: Giovanni Cecchinato, Michele Chiroli

Es überrascht nicht, dass Federico Rossi und Enrico Gobbi eng kooperieren, doch es ist überaus interessant zu hören, dass ihre Arbeitsbeziehung über das Yachtbusiness hinausgeht und auch künstlerischere Aspekte umfasst. In der Lobby des „Team for Design – Enrico Gobbi“-Studios sind einige Marmor- und Glasskulpturen ausgestellt, die aus der kreativen Partnerschaft von Gobbi und Rossi hervorgingen: „Federico ist mein gleichberechtigter Partner bei den Kunstprojekten; ich übernehme den kreativen Teil und er fördert mich und stellt den Kontakt zu den Yachteignern her. Die Stücke aus Carrara-Marmor werden in Verona geformt, während ich für die Glaskunst mit einem der letzten echten Glasbläsermeister in Murano zusammenarbeite. Ich kann nur etwa einmal im Monat in sein Atelier kommen, aber es ist meine Leidenschaft und ich genieße es, über die Grenzen des anspruchsvollen Materials hinaus zu arbeiten.“

Ein Atelier für einzigartige Designs

Obwohl Serienmodelle wie die GT-Linie, die Gobbi für ISA Yachts entworfen hat, sehr erfolgreich waren, sagt er, dass sich sein Studio von dieser Art des Yachtbaus wegbewegt. „Was ich an Serienmodellen nicht mag, ist, dass sie alle sehr ähnlich, wenn nicht sogar gleich sind. Es ist zwar gut für das Geschäft und ich verdiene an den Lizenzgebühren, doch ich finde die Projekte wenig befriedigend. Ich möchte Yachten entwerfen, die einzigartig sind. Wie ein Architekt, der für seine Kunden einzigartige Villen baut, nicht zwei Häuser, die gleich sind. Wir sind ein Atelier“, sagt Gobbi und verweist auf die Tatsache, dass er sowohl Architekt als auch Sohn eines Stylisten ist. „Unsere Eigner sind glücklich, weil sie wissen, dass wir nur wenige wirklich wichtige Projekte realisieren.“

Auf der vergangenen Monaco Yacht Show wurden eine Reihe neuer Projekte von „Team for Design – Enrico Gobbi“ angekündigt: eine 68-Meter-Yacht für Tankoa, ein 50-Meter-Projekt für Rossinavi, eine 78-Meter-Yacht, die bei Turquoise im Bau ist, und eine 80-Meter-Yacht, die ISA Yachts derzeit auf Spekulationsbasis baut. Zwei weitere Projekte befinden sich zudem im Verhandlungsstadium mit Werften.

Teamarbeit: Ein Teil der Kreativmannschaft des Studios "Team for Design - Enrico Gobbi" auf der Atelier-Terrasse am Kanal im Venedig-Stadtteil Mestre
Foto: Giovanni Cecchinato, Michele Chiroli

Eine Segelyacht fehlt noch in der kreativen Kollektion von Enrico Gobbi

Man sollte meinen, dass Enrico Gobbi mit Yachten und Kunst kreativ gut ausgelastet ist. Weit gefehlt, der sympathische Gestalter hat ein drittes Standbein: „Ich habe ein zweites Unternehmen, Enrico Gobbi Architetto. Hier konzentriere ich mich auf Architekturprojekte, meist Häuser und Villen für Kunden, für die ich schon eine Yacht entworfen habe“, verrät er und führt fort: „Mein wichtigstes Projekt dieser Sparte entstand für den Auftraggeber von ,Polaris‘. Er verliebte sich in ein Grundstück an der toskanischen Küste und baute ein Anwesen für seine Familie und Gäste. Das war ein dreijähriger Auftrag für mich und zehn andere Architekten, mit denen ich zusammenarbeite. Ein weiteres wichtiges Projekt, an dem wir aktuell arbeiten, ist eine Villa am Bleder See in Slowenien mit einem 20 Meter langen unterirdischen Pool, der mit Sicis-Mosaik ausgelegt ist.“

Gibt es etwas, das Gobbi bei aller Kreativität noch nicht probiert hat? „Ich würde gern eine Segelyacht entwerfen“, sagt er. Und Katamarane? „Ich muss gestehen, dass ich mich nicht wirklich von Kats angezogen fühle. Ein Großteil meiner Inspiration kommt aus dem Automobildesign, und ein Katamaran mit seinen zwei Rümpfen und dem leeren Raum in der Mitte ist zu weit von einer eleganten Linie entfernt. Ich glaube nicht, dass ich einen Kat entwerfen könnte, der gut aussieht.“

Für Enrico Gobbi ist das Entwerfen schöner Dinge eine lebenswichtige Kraft, die ihn weit über das Design von Yachten hinausführt: „Als Architekt habe ich gelernt, dass ein Sinn für Proportionen hinter allem steht. Proportionen und Linien mit Spannung, die Dynamik erzeugen – egal, ob ich an Yachten, Häusern oder Skulpturen arbeite.“ Die rastlose Suche nach Schönheit hat Enrico Gobbi stets gute Dienste geleistet.


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