Jan Zier
· 02.12.2022
Von der Ostsee berichten Eigner, dass ihre Schiffe in den letzten Jahren besonders schlimm von Bewuchs mit Pocken befallen sind. Viele mussten deshalb früher kranen. Was ist da los?
“Es ist richtig schlimm in dieser Saison“, sagte Dirk Kehrhahn bereits im Herbst 2021 gegenüber BOOTE. Seit über 15 Jahren ist er immer schon ab Mitte April auf der Schlei unterwegs . Im vergangenen Jahr aber musste sein Boot bereits Ende Juli aus dem Wasser. Der Grund: Der Rumpf war voller Pocken.
„Wir haben derzeit ganz viel Bewuchs an Schiffspropellern, der Probleme bereitet“, berichtete Thedje Ancker, der Geschäftsführer von Ancker Yachting in Kappeln an der Schlei damals. Von den benachbarten Bootsbauern Janssen & Renkhoff war Ähnliches zu hören: „Wir haben Pocken ohne Ende.“ Ja, es sei „definitiv“ schlimmer als sonst: Reihenweise würden die Boote entlang der Schlei mitten in der Saison aus dem Wasser gekrant, um der Plage Herr zu werden. In der Saison 2022 gab es dann auch entsprechende Meldungen aus der Nordsee.
Nur Einzelfälle also und daher kein Grund zu Besorgnis? Tatsächlich ist das Problem vielschichtiger, wie Thomas Zeller weiß, Geschäftsführer des Antifouling- und Yachtfarben-Herstellers International: „Wir kennen das seit Jahrzehnten, gerade aus der Schlei und von der Trave.“ In diesen beiden Brackwasserrevieren sei das Problem immer schon größer gewesen als anderswo in der Ostsee, sagt Zeller.
Zu ähnlichen Ergebnissen kommt Sven Münch von der Yachticon-Gruppe, die das weitverbreitete Seajet-Antifouling vertreibt. „Nein, es gab 2021 kein außergewöhnlich großes Problem mit Pocken“, versichert er; zumindest ließen die Rückmeldungen seiner Kunden diese Schlussfolgerung nicht zu. In der Schlei und an der Trave gebe es aber „häufiger Berichte von starkem Pocken-Bewuchs an Yachten“, das sei eben reviertypisch. „Im Grunde ist aus meiner Sicht alles so wie immer“, sagt Münch, der selbst ein Schiff in der Schlei liegen hat.
Allerdings ist die Ostsee im vergangenen Jahr relativ schnell sehr warm geworden; im Juli sei sie „wärmer als viele Teile des Mittelmeers“ gewesen, erklärt der Kieler Meteorologe Sebastian Wache. Mit stellenweise mehr als 27 Grad lag die Wassertemperatur teilweise acht Grad über dem, was um diese Zeit sonst üblich ist.
Die Langfrist-Beobachtungen des BSH zeigen das eindrucksvoll: In den vergangenen 30 Jahren betrug die mittlere Oberflächentemperatur in der Ostsee im Juni durchschnittlich 12,6 Grad – 2021 aber 15,8 Grad. Auch in den Vormonaten sei das Wasser wärmer gewesen als im langjährigen Mittel. Das begünstigt den Bewuchs, gerade in den Brackwasserzonen der Flussmündungen. Jan Grell führt die Probleme der Bootseigner auf der Trave denn auch „auf den sehr schnellen Temperaturanstieg“ zurück. Daneben spielten auch der Nährstoff- und der Salzgehalt des Wassers für den Bewuchs von Pocken eine ausschlaggebende Rolle, erklärt Helge von der Linden.
Wer mehr fährt, hat weniger Bewuchs.“
Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Nutzungsintensität der Yachten: „Boote auch zu fahren ist das Wichtigste, um Bewuchs zu unterbinden“, sagt Thedje Ancker. Thomas Zeller von International bringt es auf eine simple Formel: „Wer mehr fährt, hat weniger Bewuchs.“
Was also können betroffene Bootseigner tun? „Das A und O ist das richtige Antifouling fürs eigene Revier“, betont Thomas Zeller. Er rät Bootseignern außerdem, „nicht zu sehr an der Schichtdicke zu knapsen“. Statt nur eine dünne Schicht Antifouling aufzubringen, sollten sie zwei oder in besonderen Fällen sogar drei Lagen aufrollen, wie es die Hersteller auch allesamt empfehlen. Denn: Wer sein Boot kranen muss, weil es zu viel Pockenbewuchs hat, zahlt am Ende deutlich mehr als für zwei, drei weitere Dosen Antifouling. Und es gehe dabei ja nicht nur darum, einen Knoten schneller zu sein. Wenn die Pocken die Borddurchlässe oder die Ruderanlage und Propeller überwuchern, „kann das schnell zum Sicherheitsrisiko werden“, kommentiert Zeller.
Wer nur eine Schicht Antifouling aufbringe, etwa selbstpolierendes, der habe typischerweise ab Mitte Juli oder August ein Problem, sagt er, denn das baue sich im Wasser mit der Zeit langsam ab.
„Immer häufiger streichen Bootseigner zu wenig Antifouling“, beobachtet auch Sven Münch von Yachticon, „das ist definitiv ein Problem.“ Ein „Dauerbrenner“ seien zudem falsch gewählte Anstriche: „Dünnschicht-Antifouling etwa ist für Binnenreviere gut geeignet, hat aber an der Ostsee definitiv nichts zu suchen.“
Die Ostsee gilt als Revier mit mittlerem Bewuchs, Schlei und Trave werden sogar als „schwierig“ eingestuft. Ein ungeeignetes Antifouling mag bei günstigen Rahmenbedingungen funktionieren – in einer Saison mit hohen Wassertemperaturen und bei geringer Nutzungsintensität des Bootes jedoch „reicht der Schutz häufig nicht mehr aus“.
Das Problem bei einem starken Pockenbefall ist, dass es so gut wie keine Alternative zum Kranen gibt. Denn: „Das mechanische Reinigen des Rumpfes im Wasser ist in aller Regel nicht erlaubt“, erklärt Sven Münch. Dadurch würden vermehrt Biozide ins Wasser gelangen. Gegebenenfalls muss man also den Hafenmeister fragen, ehe man vom Dingi aus mit dem Schrubber hantiert oder einen Taucher engagiert.
Noch etwas gilt es zu beachten: Wer den Bewuchs abkratzt, schädigt im Zweifelsfall auch die Schutzschicht. Und wenn an der mühsam abgepulten Seepocke noch Antifouling hafte, gelte diese als Sondermüll, so Münch. Immerhin: „Antifoulings enthalten heute viel weniger giftige Biozide als noch vor 20 Jahren“, zudem werden die Regeln für die Hersteller immer strenger, weswegen ein Produkt auch nur eine Halbwertszeit von zwei oder drei Jahren haben kann – dann ändert sich die Rezeptur wieder. Ob man nun ein selbstpolierendes oder aber ein Hartantifouling benutze, sei an dieser Stelle nicht so entscheidend: „Es gibt keine typbedingten Unterschiede.“ Grundsätzlich gilt: Bei den von den Herstellern als „selbstpolierend“ oder auch „selbstschleifend“ beschriebenen Antifouling-Anstrichen löst sich die Beschichtung langsam auf; die giftigen Wirkstoffe werden kontinuierlich ins Wasser abgegeben. Bei Hartantifoulings löst sich das Bindemittel nicht auf, nur die giftigen Biozide werden abgegeben.
Heute werden vor allem Kupferverbindungen als Biozide eingesetzt. Daneben ist auch Zinkoxid im Einsatz, das sei „aber nicht ganz so wirksam“, sagt Helge von der Linden. Ein besonderes Problem stellen laut Thedje Ancker Boote mit Saildrive dar: Dieser erfordere ein Antifouling, das auch für Aluminium geeignet sei. „Das aber ist kupferfrei und wirkt deshalb schlechter.“
Und was ist mit biozidfreiem Antifouling? „Es gibt Produkte, die funktionieren können, wenn man sie richtig verarbeitet – was meist nur von professionellen Anwendern zu leisten ist“, sagt Sven Münch. Allerdings verhindern diese den Bewuchs meist nicht. „Er ist dann aber einfacher zu entfernen.“ Zwar wünsche sich jeder ein komplett biozidfreies Produkt, das auch unter schwierigen Bedingungen gleichen Bewuchsschutz garantiere und trotzdem bei fünf Grad und feuchtem Rumpf Ende März im Freilager gestrichen werden könne. Nur: „Da sind wir leider noch nicht.“
Derzeit forscht unter anderem die Firma Nandatec aus Itzehoe an biozidfreiem Antifouling. Über drei Jahre hinweg sollen Schiffe mit biozid- und nanopartikelfreien Anstrichen in verschiedenen Konzentrationen getestet werden. Wer wolle, könne sein Boot dafür zur Verfügung stellen, sagt Firmenchefin und Biologin Dagmar Schneider. Die ersten Erkenntnisse seien vielversprechend.
Aber auch sie hat die Erfahrung gemacht, dass es im vergangenen Jahr „viel früher“ losging mit Pocken. Neben Algen, Muscheln und Seepocken wächst inzwischen vermehrt der Australische Kalkröhrenwurm (siehe Interview unten). Er befällt massenhaft Schiffsrümpfe, aber auch Steganlagen, Bojen und Kaikanten. Am Ende hilft gegen Bewuchs vor allem „regelmäßiges Fahren“, sagt Sven Münch. Lange Aufenthalte im heimatlichen Hafen nach einem ausgedehnten Urlaubstörn indes könnten das Problem sogar noch verschlimmern. Das gilt gerade bei selbstpolierendem Antifouling, wenn in zu geringer Schichtstärke gestrichen wurde. Die Schutzschicht trägt sich beim Sommertörn ab – und anschließend liegt das Boot noch wochenlang fast schutzlos im Hafen, bei dann noch höheren Wassertemperaturen.
Interview mit Sven Hille, der als Meeresbiologe am Leibniz-Institut für Ostseeforschung in Warnemünde arbeitet
In der Trave wurde er bereits vor mehr als zehn Jahren nachgewiesen, auch in der Warnow gibt es ihn schon einige Jahre. Zunächst waren das nur vereinzelte Tiere.
Seit Oktober 2020 beobachten wir erstmals eine massenhafte Ausbreitung an Unterwasserschiffen und Hafenanlagen in der Unterwarnow; aus Emden wurde Ähnliches berichtet. Dort gab es bereits Havarien, weil Ruderanlagen nicht mehr einsatzfähig waren. Auch in Schweden wurde der Kalkröhrenwurm schon gefunden. Für uns kam das insgesamt nicht überraschend – dieser Organismus gehört zu den 100 wichtigsten invasiven Arten und breitet sich dank der Schifffahrt schon seit 100 Jahren weltweit aus.
Die Pockenentwicklung wird vor allem vom Nährstoffangebot bestimmt. Die Temperatur spielt auch eine Rolle, ist aber nicht ausschlaggebend; in kaltem Wasser wachsen die Organismen einfach nur langsamer.
Er begünstigt diese Entwicklung, weil das Wasser wärmer wird. Zudem verändern sich Nährstoffgehalte durch den Klimawandel – Starkregen, aber auch die industrielle Landwirtschaft spielen hier eine Rolle. Darüber hinaus hat der Kalkröhrenwurm eine große Toleranz, was Salzgehalte angeht, und in Flussmündungsgebieten findet man ihn weltweit, also auch an der Warnow, der Schlei oder der Trave. Potenziell kann er sich noch nach Rügen oder Usedom ausbreiten, viel weiter östlich wird er absehbar nicht mehr kommen, weil der Salzgehalt dann nicht mehr ausreicht.
Die waren bisher immer froh, wenn sie die Pockensaison überstanden hatten. Blieb das Unterwasserschiff bis zum Hochsommer sauber, war die Gefahr gebannt: Bei den Pocken kommen die ersten Larven im Mai, im Sommer gibt’s noch mal welche. Der Kalkröhrenwurm produziert aber auch im September noch binnen weniger Wochen Röhren von bis zu zehn Zentimeter Länge. Er wächst also schneller und verlängert die Bewuchssaison in den Herbst hinein.
Bootsleute können ihre Beobachtungen auch selbst beim Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde melden: sven.hille@io-warnemuende.de