Jill Grigoleit
· 18.03.2023
Der Sportbootführerschein wird immer begehrter. Doch was liegt vor einem, bis man sich Skipper nennen darf? Unsere Mitarbeiterin Jill Grigoleit hat den Selbstversuch gemacht
Als mein Lehrmaterial zu Hause ankommt und ich das Lehrbuch zum ersten Mal aufschlage, fühle ich mich schlagartig in die Schulzeit zurückversetzt. Ich sehe mathematische Formeln und Aufgabenstellungen – schon damals nicht gerade meine Stärke. Dennoch werde in den kommenden acht Wochen versuchen, mir bislang völlig fremdes nautisches Fachwissen anzueignen. Fest entschlossen, aber auch mit einer gehörigen Portion Respekt vor den anstehenden Prüfungen, habe ich mich für den Sportbootführerschein See und Binnen bei der Segelschule Frank Lochte in Lüneburg angemeldet. Als ich vor einigen Jahren endlich mein lang ersehntes Abschlusszeugnis der Hochschule in der Tasche hatte, war ich eigentlich erleichtert, nie wieder für eine Prüfung büffeln zu müssen. Aber für die Aussicht, nicht mehr nur mitzufahren, sondern selbst skippern zu dürfen, kehre ich gern zurück auf die Schulbank.
Frank Lochte beginnt mit den Grundlagen der Navigation: Was ist eine Seemeile und wovon leitet sich die nautische Einheit Knoten ab? Wie kann ich mich auf einer Seekarte mit Breiten- und Längengraden orientieren und wie berechne ich Distanzen, Kurse und Geschwindigkeiten? Für jemanden wie mich, ohne Vorkenntnisse und einer gewissen Abneigung gegen alles, was mit Zahlen und Rechnungen zu tun hat, ganz schön viel fürs Erste. Umso überraschter bin ich, dass es mir tatsächlich Spaß macht, mit Dreieck und Zirkel in der Seekarte zu arbeiten.
Die für mich größte Überraschung als absolute Anfängerin: Im Gegensatz zum Autoführerschein spielt die Praxis beim Sportbootführerschein nur eine kleine Nebenrolle. Acht Wochen lang sitze ich jeden Dienstagabend in der Theoriestunde, arbeite zu Hause jeden einzelnen Prüfungsbogen durch und übe in jeder freien Minute mit der begleitenden App auf dem Handy. Aber auf dem Wasser bin ich nur ein einziges Mal: Eine Woche vor der praktischen Prüfung stehe ich am Steuer und versuche mir einzuprägen, was mir mein Fahrlehrer über die fünf Pflichtmanöver erklärt, die es zu absolvieren gilt.
Am Tag der Prüfung ist das Wetter auf meiner Seite: Die Sonne strahlt und es weht kein Lüftchen. Perfekte Bedingungen, um dem Prüfer zu zeigen, dass ich in der Lage bin, an- und abzulegen und ein Boot zu manövrieren, ohne den Steg zu rammen und umliegende Boote zu versenken. Trotzdem bin ich nervös, als ich mit meinen Tampen in der Hand am Anleger warte, bis ich dran bin. Im Fünfzehn-Minuten-Takt wird hier heute ein Skipperanwärter nach dem nächsten geprüft. Als ich an Bord steige, fühlen sich meine Beine trotz fehlenden Wellengang ganz schön wackelig an. Prüfungssituationen bin ich einfach nicht mehr gewöhnt. Erstaunlicherweise schaffen meine leicht zittrigen Hände vor den Augen des Prüfers aber trotzdem alle wichtigen Knoten. Der Punkt wäre schon mal im Sack. Ab geht’s ans Steuer. Vor Nervosität reiße ich den Schalthebel etwas zu stark nach hinten und der Motor heult kurz auf.
Doch dann geht alles glatt. Ablegen, nach Kompass fahren, peilen, Boje über Bord, sogar das von den meisten gefürchtete Anlegemanöver läuft wie im Lehrbuch. Geschafft! Die größere Herausforderung liegt aber noch vor mir. Ich muss wieder lernen zu lernen. Sich neues Wissen anzueignen ist Übungssache – und ich bin ziemlich außer Form. Multiple Choice klingt erst mal nach einer enormen Erleichterung, denke ich. Im Gegensatz zu früher muss man die Antworten nicht mehr selbst formulieren, sondern hat pro Frage vier Antwortmöglichkeiten und kann nach dem Ausschlussprinzip arbeiten. Und selbst wenn man die Antwort gar nicht weiß, gibt es immerhin noch eine 25-prozentige Chance, aus Versehen richtig zu tippen. Doch so einfach wie es klingt, ist es nicht, stelle ich schnell fest. Die Antworten ähneln sich häufig so sehr, dass man sie sich sehr gründlich durchlesen muss, um den kleinen, aber entscheidenden Unterschied überhaupt zu erkennen.
Manchmal unterscheiden sie sich nur in einem Wort. Hinzu kommt, dass vieles aus den Kollisionsverhütungsregeln für mich völliges Neuland ist. Im Straßenverkehr waren mir bei meiner Pkw-Fahrprüfung die meisten Regeln und Schilder schon aus dem Alltag bekannt. Schallsignale und Lichterführung begegnen mir aber zum ersten Mal, als ich mich auf den Sportbootführerschein vorbereite.
Eine große Hilfe ist mir dabei die SBF-App von Delius Klasing. Sie bietet einen Lernteil, einen Übungsteil und eine Prüfungssimulation, jeweils zu den verschiedenen Führerscheinarten. Im Gegensatz zu den klassischen Papierübungsbogen, bei denen man erst bei der Überprüfung sieht, welche Fragen man falsch beantwortet hat, korrigiert die App sofort und wiederholt die betreffenden Fragen nach dem Karteikartensystem so lange, bis man drei Mal richtigliegt. So wandert das neu erworbene Wissen Schritt für Schritt verlässlich ins Langzeitgedächtnis. Insgesamt umfasst der Prüfungsfragen-Katalog 72 Basisfragen, die für den SBF Binnen und SBF See gleich sind, 181 spezifische Binnen-Fragen und 213 spezifische See-Fragen sowie zusätzlich 15 Navigationsaufgaben mit jeweils neun Teilaufgaben. Ganz schön viel Stoff. Zu viel jedenfalls für dreizehn Prozent der Prüflinge: So hoch ist im Schnitt die Durchfallquote.
Bei der theoretischen Prüfung müssen 30 Multiple-Choice-Fragen innerhalb von 60 Minuten beantwortet werden. Bestanden hat man, wenn man fünf der sieben Basisfragen und 18 der 23 spezifischen Binnen- beziehungsweise See-Fragen richtig gelöst hat. Beim SBF See kommt noch der Navigationsteil hinzu, der aus neun Teilaufgaben besteht, von denen mindestens sieben korrekt gelöst sein müssen. Jeder Prüfungsbogen für den SBF See enthält zudem einen Ausschnitt einer Seekarte. Die Aufgabenstellung reichen hier vom einfachen Ablesen einer Distanz bis hin zur Berechnung von Besteckversetzungen.
Die Kosten für einen Sportbootführerschein schwanken stark und hängen von mehreren Faktoren ab. Angeboten werden wöchentliche Abendkurse, Wochenendcrashkurse und reine Selbstlern-Onlinekurse. Davon hängt auch ab, wie lange man braucht, bis man die Lizenz schließlich in der Tasche hat. Auch die Kosten für die praktische Ausbildung variieren von Fahrschule zu Fahrschule und je nachdem, ob man zusätzliche Übungsstunden benötigt.
Hinzu kommen die Kosten für Lehrmaterial, Navigationsbesteck und für das ärztliche Attest, bei dem Hör- und Sehkraft bescheinigt werden, sowie die Prüfungsgebühren. Alles in allem kann man mit etwa 300 Euro rechnen, kann aber auch bis zu 800 Euro ausgeben, je nachdem, wofür man sich entscheidet und wie lange man schlussendlich braucht. Knapp zweieinhalb Monate nach meiner ersten Theoriestunde sitze ich gemeinsam mit vielen anderen Prüflingen im Kellergeschoss der Stadthalle und schlage meinen Prüfungsbogen auf. Mit jedem Kreuzchen, das ich setze, nimmt das Gewicht auf meinen Schultern ab. Und mein Gefühl trügt nicht. Noch am selben Tag bekomme ich die Nachricht, dass ich bestanden habe.
Mein Fazit: Ja, es ist viel Stoff, aber wer sich etwas Zeit nimmt, schafft das locker, auch ohne Vorkenntnisse. Zwei Wochen nach der Prüfung liegt er in meinem Briefkasten: Mein Sportbootführerschein im praktischen Scheckkartenformat. Jetzt darf ich ganz offiziell allein Boot fahren. Ob ich es auch wirklich kann, wird sich zeigen. Aber Übung macht ja bekanntlich den Meister.
Die offiziellen Bezeichnungen der amtlichen Lizenzen zum Führen eines Sportbootes lauten Sportbootführerschein mit Geltungsbereich Binnenschifffahrtsstraßen“, kurz SBF Binnen, und Sportbootführerschein mit Geltungsbereich Seeschifffahrtsstraßen, kurz SBF See. Mit dem SBF Binnen darf man nicht gewerbsmäßig verwendete Fahrzeuge von weniger als 20 Metern (auf dem Rhein von weniger als 15 Metern Länge) auf Binnenschifffahrtsstraßen führen. Der SBF See gilt für Sport- und Freizeitzwecke und nur im Geltungsbereich der Seeschifffahrtsstraßen-Ordnung, welche die Drei-Seemeilen-Zone auf Seeschifffahrtsstraßen und Fahrwasser innerhalb der Zwölf-Seemeilen-Zone umfasst.