ReiseBretagne – Bonjour Soleil

Gerald Penzl

 · 09.04.2023

Alles eine Frage des Timings: trockengefallener Hafen in Sauzon auf Belle-Île. Am Horizont hinter der Hafeneinfahrt ist Quiberon auf dem Festland zu erkennen
Foto: Gerald Penzl

Kleines und großes Meer: Der Golf von Morbihan und die Bucht von Quiberon im sonnigen Süden der Bretagne sind ein Paradies für Wassersportfans. Ein Revier mit zwei völlig unterschiedlichen Seiten

Die schlechte Nachricht zuerst: Asterix, der kleine Gallier, der so gerne römische Soldaten verprügelt, ist kein PR-Botschafter der Bretagne mehr. Seinen Job hat ein gewisser Kommissar Dupin übernommen. Dieser von einem deutschen Krimiautor frei erfundene Gesetzeshüter löst nicht nur mysteriöse Mordfälle, er macht seine Leser auch mit den touristischen Highlights der Bretagne vertraut. Seitdem bereisen rund 50 Prozent mehr Deutsche die Region im Westen Frankreichs. Und trotzdem ist das Mor-Bihan, das „kleine Meer“, wie die Bretonen das 120 Quadratkilometer große langunenartige Gewässer, das im Süden der Bretagne in die Bucht von Quiberon mündet, nennen, auch im Jahr acht des Monsieur le Commissaire zumindest für deutsche Freizeitskipper noch immer so etwas wie mare incognitum – ziemlich unbekannt.

François blickt auf die Uhr. „Monsieurs“, drängt er, „in einer halben Stunde schließt die Brücke Pont de Kérino. Also los! Allez! Allez! Sonst sitzen wir hier noch bis zur nächsten Flut im Hafen fest.“ Das lassen wir uns nicht zweimal sagen. In Rekordzeit sind die Frühstücksteller im Breizh Café über der Hafenmeisterei des Port de Plaisance von Vannes geleert, die Leinen unserer Loxo 32 gelöst und wir auf dem Weg zur Mündung der Marle in den Golf.

Zwei, drei Segelyachten kommen uns auf dem schnurgeraden Flüsschen entgegen, dann verabschieden sich die Türme und Festungsmauern der einstigen Herzogstadt achteraus. Backbord rückt das Maison Rose ins Bild. Dieses wegen seiner rosaroten Fassade in allen Seekarten als Landmarke verzeichnete Gebäude zählt zu den meistfotografierten Objekten am Golf. Ich greife zur Kamera, da legt der Skipper des Bowriders vor uns den Hebel auf den Tisch – und verwackelt mir im wahrsten Sinne das Motiv. François schüttelt nur den Kopf.

Mor-Bihan, „kleines Meer“, wie die Bretonen dieses Gewässer im Süden der Bretagne nennen

Erstes Ziel unseres fünftägigen Golf-Törns ist die Île-d’Arz. Wir folgen der Uferlinie des flachen, hakenförmigen Inselchens, steuern im Südosten den Plage de Pen Raz an und ... suchen den Anleger. Doch den gibt es nicht. Stattdessen schaukeln ein paar Dutzend Festmacherbojen gut 50 Meter vom Ufer entfernt in den Wellen. Da wir kein Dingi an Bord haben, greift François zum Handy und ruft die nahe gelegene Segelschule Le Gléans an.

Es dauert nicht lange, da holt uns ein Schlauchboot ab, und wir spazieren über ein naturbelassenes, vom Trubel des modernen Massentourismus so gut wie unbehelligtes 3,1 Quadratkilometer „großes“ Mini-Inselchen. Nach dem Besuch der historischen Gezeitenmühle im Süden und der noch viel älteren Menhire im Norden ist es Zeit für ein zweites Frühstück. Die besten galettes der Île d’Arz serviert die Crêperie Les Îles. Die aus Buchenweizen gebackenen Crêpes mit herzhafter oder süßer Füllung sind das Manna der Bretagne. Dazu wird Cidre kredenzt. Seine Grundlage sind von Hand gepflückte und nach alter Tradition in Fässern vergorene bretonische Äpfel.

Der Legende nach gibt es im Golf von Morbihan so viele Inseln, wie das Jahr Tage hat. Das ist natürlich maßlos übertrieben. In Wirklichkeit sind es etwa 40. Die exakte Zahl hängt vom Wasserstand der Gezeiten ab. Die Größte ist die etwa sechs Kilometer lange Île-aux-Moines – und dank bilderbuchschöner Natur, blühender Gärten, alter Kapitänsvillen und Aussichten auf den tiefblauen Golf auch ein absoluter Touristenmagnet. Entsprechend hoch ist die Dichte der Bars und Bistros rund um die Marina. Sollte es mal allzu drangvoll werden, hilft ein Leihfahrrad.

Der Stoff, aus dem “Asterix” gemacht ist

Nur wenige Minuten, und schon weht einem auf dem Weg zu den Stränden nur noch der Duft von Orangen- und Zitronenbäumen um die Nase. Geschichtsbuch auf: Wer im Lateinunterricht Caesars „Gallischen Krieg“ lesen durfte, weiß, dass der römische Feldherr in dieser Ecke Galliens bei der Unterwerfung der ansässigen keltischen Volksstämmen tatsächlich erhebliche Probleme hatte. Zwar konnten seine Galeeren die Flotte der Veneter 56 vor Christus in der Bucht von Quiberon mit Mann und Maus versenken, doch Ruhe und Ordnung kehrten dadurch nicht ein.

Ein Umstand, der einem gewissen René Goscinny zwei Jahrtausende später den Stoff für seine Asterix-Abenteuer liefern sollte. Während der kleine Comic-Held in erster Linie Legionäre verhaut, behaut sein Weggefährte Obelix nebenbei auch Hinkelsteine. Diese bis zu 20 Meter hohen und 350 Tonnen schweren Klötze gibt es hier heute noch wie Sand am Meer. Welche Funktion diese Menhire damals hatten, ob sie Landmarken, Grabsteine, Versammlungsstätten oder Kultzeichen waren, erfährt der Leser nicht. Vor den Toren des Städtchens Carnac warten gar 3500 dieser Rätsel-Steine in langen Reihen auf die Ewigkeit.

Auf dem Mor-Bihan soll es für jeden Tag des Jahres eine Insel geben. Ganz so viele sind es dann aber doch nicht

Das vielleicht spektakulärste prähistorische Steinbauwerk der Bretagne erwartet uns allerdings auf der Île de Gavrinis, die unmittelbar nördlich der Mündung des Golfs in die Bucht von Quiberon liegt. 1500 Jahre vor dem Bau der ersten Pyramide in Ägypten türmten fleißige Hände hier einen 50 Meter großen Bruch­stein­hü­gel auf, schlossen ihn oben mit einem 17 Tonnen schweren Stein ab und schmückten ihn innen mit wellenförmigen Gravuren aus. Die Gezeitenströme, die heute mit bis zu neun Knoten die Insel umspülen, waren damals übrigens kein Problem: Das „kleine Meer“ existierte so noch nicht. Die Steinkolosse mussten für den Bau „nur“ über Land gezogen werden ...

Auf die Steinzeit folgt das Mittelalter

Danach geht es den Fluss Auray aufwärts. „Auf die Steinzeit“, schmunzelt François, „folgt das Mittelalter.“ Mit fünf Knoten folgen wir den malerischen Schleifen und erreichen nach sieben Seemeilen Saint-Goustan, wo wir unsere Loxo am Quai Benjamin Franklin festmachen. Saint-Goustan ist das Hafenviertel von Auray. Das heutige 13 000-Seelen-Städtchen selbst thront hoch über dem rechten Ufer des Flüsschens. Da Saint-Goustan bei Flut direkt vom Atlantik aus angesteuert werden kann, boomte im Mittelalter der Handel mit Wein, Getreide und dem Salz aus den Salinen von Guérande. Auray war eine der reichsten Städte der Region, Saint-Goustan sogar der drittgrößte Hafen der Bretagne. Wir spazieren durch die historische Oberstadt, flanieren die blumengeschmückten Fachwerkgassen des Hafenviertels entlang und stehen vier Stunden später wieder voller neuer Eindrücke vor unserem Halbgleiter.

„Wer am Golf ohne Gezeitenkalender unterwegs ist, hat schlechte Karten“, sagt unser Skipper und deutet auf den zwischenzeitlich um zweieinhalb Meter gestiegenen Wasserstand auf dem Fluss. Gute Karten dagegen haben wir auch in La Trinité-sur-Mer: Dieses Mekka der französischen Offshore-Segler-Elite hat nicht nur einen Liegeplatz für uns, sondern auch einen freien (!) Tisch im Restaurant Le Quai. Wir bestellen Kir de Bretagne – Cidre mit Crème de Cassis – als Aperitif und Ailes de Raie, Rochenflügel in Kapernsauce mit Kartoffeln und Gemüse, als Hauptgericht. Unsere Wertschätzung der bretonischen Küche wird an den Nachbartischen wohlwollend registriert. Es dauert nicht lange, da macht die erste, die zweite, die nächste Cidre-Flasche die Runde.

Das Mor-Bihan mündet in die Bucht von Quiberon und damit in den Golf von Biskaya

Santé! Prost! Auf den Golf von Morbihan! Auf die Werft, die unsere Loxo 32 gebaut hat! Auf Commis­saire Dupin! Und natürlich Éric Tabarly! Dieses bre­tonische Urgestein eines Vollblutseglers hatte die englische Einhand-Transatlantikregatta OSTAR gleich zweimal gewonnen. Und damit der Segelwelt gezeigt, dass die Briten zu schlagen sind ... was die französische Admiralität im Streit um die Seeherrschaft zwischen Frankreich und England übrigens 800 Jahre lang nicht geschafft hatte.

Der Rest des Törns ist schnell erzählt: Nach einer kurzen Hinkelstein-Besichtigung in Carnac geht es mit 15 Knoten an der langen, handtuchschmalen Halbinsel Quiberon entlang zur Belle-Île. Der Name der 87 Quadratkilometer großen Insel vor den Toren des „klei­nen Meers“ ist Programm. Neben den Steilküsten, die Claude Monet mit seinen Bildern weltberühmt gemacht hatte, steht die „schöne Insel“ für Strände, dicht bewaldete Täler und stille Ankerbuchten. Das Klima ist mediterran, die Preise rund 30 Prozent höher als auf dem Festland. In der Hochsaison wird der Hafen der 2500-Seelen-Kapitale Le Palais zum Laufsteg der Reichen und Schönen aus Paris. Im September verabschiedet sich die Invasion der Sandälchen und Sommerkleidchen von Chanel, Hermès & Co. wieder zurück in die Hauptstadt.

Dann legt sich wieder das Mäntelchen der Beschaulichkeit über die Île. Noch beschaulicher – selbst im August – geht es auf den Nachbarinseln Île-d’Houat und Île-d’Hoëdic zu. Hier kann man Neptun einen guten Mann sein lassen, Anker werfen und es sich mit einem Buch auf Deck bequem machen. Eine passende Literatur wäre „Asterix auf großer Fahrt“ oder Kommissar Dupins „Bretonische Brandung“. Die Reihenfolge? Peu important... Egal!


Service

 | Karte: Christian Tiedt
| Karte: Christian Tiedt

Törnetappen

S Vannes (Port de Plaisance) – Île-d’Arz (Plage de Pen Raz): 6 sm

  1. Île-d’Arz (Plage de Pen Raz) – Île-aux-Moines (Port Miquel): 3 sm
  2. Île-aux-Moines (Port Miquel) – Île de Gavrinis (Fähranleger): 4 sm
  3. Île de Gavrinis (Fähranleger) – Auray (Saint-Goustan): 7 sm
  4. Auray (Saint-Goustan) – La Trinité-sur-Mer: 12 sm
  5. La Trinité-sur-Mer – Belle-Île (Le Palais): 18 sm
  6. Belle-Île (Le Palais) – Île-d’Houat: 9 sm
  7. Île-d’Houat – Île-d’Hoëdic: 5 sm
  8. Île-d’Hoëdic – Vannes: 23 sm

Z Vannes

Gesamtstrecke: 87 sm

Literatur

Törnführer „Süd-Bretagne. Französische Atlantikküste von Le Guilvinec bis La Rochelle“ aus der Feder von Ralf Paschold. Auf 259 Seiten werden u. a. 36 Häfen und zahlreiche Ankerbuchten vorgestellt. Taschenbuchformat, 2. Auflage 2017; 34,90 €. www.hansenautic.de

Sportbootkarten „NV-Atlas France FR6: Südbretagne von Lorient à Île de Noirmoutier“. NV-Verlag, Format A3, geheftet, 2 Übersegler, 13 Revierkarten, 20 Detailpläne, Navigationshinweise auf Französisch und Englisch, Auflage 2018; 49,00 €. www.nvcharts.com

Die TOP 3 im Revier

  1. Nantes Laut „Time Magazine“ ist die historische Hauptstadt der Bretagne am Unterlauf der Loire Europas lebenswerteste Stadt (www.nantes-tourisme.com).
  2. Carnac Rund um das Kleinstädtchen laden 3500 zum Weltkulturebe gekürte Hinkelsteine zur Besichtigung ein. Dazu lockt der zwei Kilometer lange Strand (www.ot-carnac.fr).
  3. Île d’Houat Trubel ist auf dieser naturbelassenen Fischerinsel ein Fremdwort und kommt, wenn überhaupt, nur im Inselkrimi „Das Portrait“ des Schriftstellers Iain Pears vor.
Pogo Loxo 32 (GFK-Halbgleiter) | Profil: Christian Tiedt
Pogo Loxo 32 (GFK-Halbgleiter) | Profil: Christian Tiedt

UNSER BOOT: Pogo Loxo 32 (GFK-Halbgleiter) · Länge: 9,50 m · Breite: 2,55 m · Tief­gang: 0,7 m · Reisegeschwindigkeit: 11 kn, Höchstgeschwindigkeit: 17 kn (Werksangabe) · Motorisierung: 75 PS (Diesel) · Ausstattung: Plotter, Innen- und Außensteuerstand, 1 Doppelkoje, 2 zu Einzelbetten umbaubare Sitzbänke. Küchenzeile, WC/Dusche. Seit 2019 ist das Boot auch mit E-Antrieb erhältlich. www.pogostructures.com

CHARTER: In der Bretagne (Loxo 32): www.bodivit.fr/location-bateau-loxo-32 (ab 960 €/Wochenende) sowie www.samboat.de/boot-mieten/benodet/motorboot/46919 (ab 440 €/Tag). Am Golf von Morbihan (andere Bootstypen, Anbieter u. a.): www.nautal.fr/location-bateau-moteur-morbihan sowie www.atlantique-location.fr/location-bateau-moteur-morbihan

Wetter/Klima

Nautische Informationen

DAS REVIER Der Golf von Morbihan ist ein 120 Quadratkilometer großes, etwa auf halber Höhe zwischen Brest im Norden und La Rochelle im Süden gelegenes Binnenmeer. Vannes, die 52 000-Einwohner-Hauptstadt des gleichnamigen Départements, liegt etwa zwei Kilometer landeinwärts und ist über den Fluss Marle ansteuerbar. Der Golf selbst ist bis zu elf Seemeilen lang, bis zu acht Seemeilen breit und max. 20 Meter tief. Etwa ein Drittel des Gewässers ist Wattenmeer. Die Passage zwischen dem Golf und der Bucht von Quiberon und damit dem Atlantik ist knapp 900 Meter breit. Auch wenn der Tidenhub im Vergleich zur Bucht von Saint-Malo im Norden der Bretagne mit fünf Metern deutlich moderater ausfällt, erreicht die Gezeitenströmung aufgrund dieses „Flaschenhalses“ Geschwindigkeiten bis zu 9 kn/h. Dank der relativ kleinen Wasserfläche sind auch bei höheren Wind­geschwindigkeiten kaum große Wellen zu erwarten.

Das gilt jedoch nur bedingt für die Bucht von Quiberon und selbstverständlich nicht für die atlantikzugewandten Seiten der Halbinsel Quiberon sowie der Insel Belle-Île. Im „kleinen Meer“ darf nicht schneller als 10 kn/h, in Entfernungen unter 300 Meter zum Ufer nicht schneller als 5 kn/h gefahren werden. Nachts herrscht Fahrverbot. Die Infrastruktur im Golf und auf den vorgelagerten Inseln ist gut. In und um den Golf gibt es über 30 Ports de Plaisance, Sportboot-Marinas (Übersicht: www.morbihan-tourismus.de/startseite/meerseite/freude-am-segeln/jachthafen), wobei die Compagnie des Ports du Morbian mit 16 Marinas und knapp 11 000 Liegeplätzen Platzhirsch ist (www.compagniedesportsdumorbihan.com).

FÜHRERSCHEIN Voraussetzung für Anmietung und Führen von Charterbooten ist der amtliche Sportbootführerschein See.


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