Reise ItalienKalabrien und Apulien – Die Sohle des Stiefels

Thomas Kittel

 · 07.05.2023

Reine Freude: Die Spaggia della Purità – „Strand der Reinheit“ –  in Gallipoli. Im Hintergrund der Leuchtturm der Isola di Sant’Andrea
Foto: Thomas Kittel

Von Messina nach Bari: Der südlichste Reiseabschnitt ihres Törns rund um Italien führt die Kittels mit ihrer Yacht „Azura“ entlang der Küsten Kalabriens und Apuliens in Richtung Adria

Völlig neue Ufer liegen vor uns: Am 99. Reisetag unseres Törns rund Italien verlassen wir Messina. Ab jetzt geht es an der uns bis auf Apulien völlig unbekannten Festlandsküste entlang – zunächst um die Stiefelspitze herum, dann durch den Golf von Tarent und nach Umrundung des Stiefelabsatzes das Adriatische Meer hoch nach Norden. Die erste Etappe beginnt gleich mit zunehmendem Wind und Seegang, bis zur Flybridge weht die Gischt. Doch nach etwas mehr als sieben Stunden erreichen wir unseren kalabrischen Zielhafen Roccella Ionica.

Die angekündigte Sandbank vor der Hafeneinfahrt stellt sich als harmlos heraus, und wir liegen bald längsseits am Kai. Einen Schönheitspreis gewinnt der Hafen zwar nicht, aber er wird dennoch von vielen Schiffen als Zwischenstation angelaufen – zwischen Messina und hier gibt es schlicht keine brauchbaren Alternativen. Die Außentemperaturen liegen nachts noch bei 25 bis 30 Grad, innen noch höher. Da das Wasser eine ähnliche Temperatur aufweist, kommt von unten auch keine Abkühlung. Wir bewundern die Crews der kleineren Segelyachten, die nicht über unseren Komfort einer Klimaanlage verfügen und nachts in ihre überhitzten Kojen krabbeln müssen…

Am nächsten Tag erreichen wir Crotone, wo zwei ältere Herren als „Hafenmeister“ das Empfangskomitee bilden. Hier liegen wir direkt neben der norwegischen Ketsch „Blåmann“, einem hölzernen Zweimaster, der nach einem Design des berühmten Konstrukteurs Colin Archer gebaut wurde. Crotone kommt im Hafenführer zwar schlecht weg, stellt sich aber als putzmunterer Urlaubsort heraus, in dem das Leben in allen Straßen und Restaurants geradezu tobt. Viele Fischläden bieten frischen Fang. Eine riesige Landkarte zeigt die im Süden des heutigen Italiens einst von den Griechen gegründeten Siedlungen. Auch Crotone – früher Kroton – gehört dazu. Aufgrund der Windvorhersage am nächsten Morgen bleiben wir noch eine weitere Nacht und nutzen den Tag für Arbeiten am Schiff.

Von den Griechen gegründet

Laghi di Sibari liegt in der westlichsten Ecke des Golfs von Tarent bei der Stadt Sibari, einer ursprünglich ebenfalls griechischen Gründung. Die Marina behauptet von sich, die größte Italiens zu sein. Sie liegt auf vier künstlichen Inseln, die mit Ferienhäusern und Apartments bebaut sind. Von See kommend, erreicht man das Innere über einen äußerst flachen Kanal, dessen Mündung zur Versandung neigt. Wir werden gebeten, vor der Einfahrt auf ein kleines Lotsenboot zu warten, das uns durch die Untiefen geleitet. Ein Mann steht mit einer langen Stange am Bug und lotet damit alle paar Meter. Dann zeigt er die Richtung an. Im Schneckentempo bewegen wir uns so durch den Kanal, der zeitweise nur 1,60 Meter tief ist. Bei unserem Tiefgang bleibt da wirklich nur noch die sprichwörtliche Handbreite Wasser unterm Kiel.

Die Marina ist in der Tat riesig und wird überwiegend von kleineren Booten genutzt. Wir sind mit Abstand der größte Dampfer und fragen uns, wann sich wohl zuletzt ein solches Schiff hierhin verirrt hat. Das Erscheinungsbild ist leider sehr verfallen: abblätternde Farben, zerbrochenes Holz und bröckelnder Beton. Wenn hier nicht Menschen wohnen, fahren und herumlaufen würden, könnte man meinen, der Abriss stünde bevor – aber so ist es nicht. Im totalen Kontrast dazu steht die Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft im Hafenbüro. Als ich nach der Liegegebühr frage, erfahre ich, dass die Preisliste nur bis 20,50 m Länge reicht. Mein Vorschlag, doch einfach hochzurechnen, wird mit einem Gegenvorschlag beantwortet: Man freue sich, dass ein so großes Schiff zu Gast sei, und würde daher ganz auf die Gebühr verzichten. Zunächst glaube ich, falsch verstanden zu haben, aber es ist genau so gemeint. Ich bedanke mich herzlich – das ist uns auch noch nicht passiert!

Abends startet das Leben in Italien

Nach einer ähnlich spannenden Ausfahrt steuern wir am nächsten Tag den Porto degli Argonauti an. Hinter dem wohlklingenden Namen verbirgt sich eine weitere künstliche Ferienwelt – aber vom Allerfeinsten. Die neu wirkende Anlage beherbergt Ferienhäuser, ein Hotel und eine Art Ortszentrum – alles eingebettet in eine wunderschön angelegte und penibel gepflegte Parklandschaft. Fast lautlos dahinsummende und kostenlose Elektrofahrzeuge verbinden die Anlage mit dem Strand und der Marina. Wir können uns nicht erinnern, irgendwo etwas Besseres gesehen zu haben. Lediglich die Pizzeria Luv überrascht mit einem eigenartigen Novum: Es gibt keinen Wein – stattdessen bayerisches Bier vom Fass. Und das im südlichsten Italien… So heißt es halt mal nicht „Salute!“, sondern: „O’zapft is!“

Mit der schwülen Luft deutet sich ein Wetterwechsel an. Dunkle Gewitterwolken ziehen auf, die ersten Böen pfeifen durch den Hafen und peitschen Schaumkronen auf. Wir fahren zunächst unter Land, wo das Wasser noch ruhiger ist. Über unser eigentliches Ziel Tarent, das dem Golf seinen Namen gegeben hat, lesen wir: „Die bauliche Struktur der Altstadt in diesem Bereich befindet sich derzeit in einem desaströsen Zustand. Viele Häuser sind verlassen, einsturzgefährdet oder bereits Ruinen.“ Als die angepeilte Marina dann noch stolze 400 Euro pro Tag für einen Liegeplatz aufrufen will, steuern wir lieber direkt Gallipoli an.

Schon der ursprünglich griechische Name Kallipolis bedeutet „schöne Stadt“. Insbesondere die sehenswerte Altstadt hat es uns angetan: Sie liegt auf einer fast kreisrunden Felseninsel, die über eine Brücke mit der moderneren Neustadt verbunden ist. Gallipoli besitzt drei Häfen – zwei kleine im Süden und Westen mit „Schnuckelfaktor“ und einen größeren im Norden, der neben unserer Marina auch die umfangreiche Fischereiflotte beherbergt. Auf dem Fischmarkt wird fast täglich der frische Fang verkauft. Auch wer baden will und einen Sandstrand sucht, kommt an der direkt an der Altstadt gelegenen Spiaggia della Purità („Strand der Reinheit“) voll auf seine Kosten. Vor der Altstadt liegen neben einigen Riffs zwei kleine flache Inseln. Auf der größeren Isola di Sant’Andrea, in deren Windschatten Sportboote ankern, steht auch der weithin sichtbare weiße Leuchtturm.

Die große Hitze scheint vorbei zu sein

Nachdem der Starkwind abgeflaut ist, laufen wir bei herrlichem Wetter mit Santa Maria di Leuca die südlichste Spitze des Stiefelabsatzes an. Im großen Porto Turistico herrscht viel Betrieb. Neben zahlreichen einheimischen Dauerliegern wird der Hafen von vielen Schiffen als Zwischenstation genutzt – insbesondere auch für den Sprung von und nach Griechenland. Die Insel Korfu ist nur etwa 60 Seemeilen entfernt, und zum griechischen Festland sind es kaum 20 Seemeilen mehr. Santa Maria di Leuca besitzt neben der großen Marina eine lange Strandpromenade, an der viele große repräsentative Villen im Jugendstil gebaut wurden. Der Ort stellt gleichzeitig auch den Endpunkt einer 250 km langen Wasserleitung dar, die große Teile Apuliens mit Wasser versorgt. Der Apulische Aquädukt ist dabei der größte Europas. Auch der kaskadenartige Überlauf am Ende der Leitung kann sich sehen lassen.

Ab jetzt geht es wieder nach Norden, hinein in die Adria. Es ist immer noch sehr warm, aber die ganz große Hitze scheint vorbei zu sein. Zudem kommt uns ein wohltuend frischer Wind entgegen.

Der große Naturhafen von Otranto bietet in den Marinas nur Liegeplätze für kleinere Boote. Der Rest des Hafens mit einem großen, für uns geeigneten Kai steht unter der Verwaltung der Guardia Costiera, die wie meistens kein Englisch spricht. So lässt sich am Telefon nichts klären, und wir fahren einfach hin. Nachdem wir unser Schiff mühevoll festgemacht haben und gerade in den Ort gehen wollen, kommt die geballte Autorität auf uns zu und macht uns klar, dass wir hier leider nicht liegen dürfen. Der Kai werde am Abend als Ab­schussram­pe für ein großes Feuerwerk benötigt. Als Alternative bleibt nur ankern.

Stillstehende Krananlagen und wenig Berufsschifffahrt machen deutlich, dass der Ort in Italien schon bessere Zeiten gesehen hat

Uns gelingt es noch, eine kleine Karenzzeit herauszuhandeln, die wir für eine Besichtigung des wunderschönen Orts nutzen. Otranto ist praktisch in und um eine riesige Festungsanlage gebaut und sprüht vor Leben, das wir leider nur kurz genießen können. Dann legen wir ab und suchen uns einen Ankerplatz in der geräumigen Bucht, die nur nach Osten offen ist. Dummerweise haben wir ausgerechnet heute leichten Ostwind. Für das Schaukeln werden wir mit einem grandiosen Feuerwerk belohnt, das direkt vor unserem Bug abgeschossen wird und dann über uns explodiert. Der Donner der Detonationen bricht sich mehrfach in der Bucht und sorgt für ein infernalisches Spektakel.

Bei wiederum hervorragenden Bedingungen fahren wir entlang der Küste weiter nach Brindisi, das schon etwas städtischer wirkt, einen Flughafen und einen riesigen kommerziellen Seehafen besitzt. Stillstehende Krananlagen und wenig Berufsschifffahrt machen aber deutlich, dass der Ort schon bessere Zeiten gesehen hat. Die Marina liegt leider weit vom Stadtkern entfernt, auch einen Strand sucht man vergebens. So fühlt man sich etwas wie auf Isolierstation und muss schon einigen Aufwand treiben, um unter Leute zu gelangen. Die Hafenpromenade in der Altstadt ist allerdings sehr attraktiv und insbesondere abends überaus lebendig, wenn wie in allen süditalienischen Orten das Leben erst richtig loslegt.

Wind kommt auf und hält uns einige Tage im Hafen fest. Als wir endlich auslaufen, hat der zwar etwas nachgelassen, aber die Dünung steht noch voll im Saft. Nicht jedermanns Sache, und so freuen wir uns, als wir endlich im hübschen Monopoli einlaufen. Auch hier verwaltet die Guardia Costiera den Kai, aber im Office spricht man Englisch und ist Besucher wie uns gewohnt. Man darf prinzipiell nur eine Nacht bleiben, was wir auch nicht überschreiten. Monopoli ist schlichtweg ein kleiner Traum: Die wunderschöne Altstadt ist hervorragend gepflegt und beleuchtet, nicht weit entfernt liegt ein Badestrand, und mehrere kleine Hafen­becken mit vielen Fischerbooten verleihen dem Ort den entsprechenden Charme. Ein Abendessen unter freiem Himmel in einem der zahlreichen Restaurants gehört ebenso zum Pflichtprogramm wie der anschließende Bummel durch die Altstadt.

Zurück am Schiff, lauschen wir bei einem Glas Wein einem Freiluftkonzert vom gegenüberliegenden Ufer. Am nächsten Morgen wird noch mal geschwommen und eingekauft, am Hafen werden von den Fischern die Netze geflickt und Hakenleinen aufgerollt, während ein Pianist melancholische Balladen spielt.

Die Marina stellt sich als Nautica Ranieri sehr gut organisiert heraus

Seegang und Wind sind jetzt ganz weg. So fahren wir gemütlich nach Bari, wo wir einen Liegeplatz bei Nautica Ranieri reserviert haben. Die Marina stellt sich als sehr gut organisiert heraus: Das Formblatt mit unseren Daten liegt fertig da, ebenso Zugangskarten und Stadtplan. Zwar sind wir hier auch etwas vom Ortskern entfernt, aber der nahe Stadtteil Marconi bietet auch alle Möglichkeiten. Nach dem Essen schlendern wir an der Wasserlinie entlang, wo zu unserer Überraschung viele italienische Familien auf dem Bürgersteig ihr Lager aufgeschlagen haben. Man sitzt auf der Steinbrüstung, isst und trinkt von mitgebrachten Klapptischen und palavert, während die Bambini bis spät in den Abend spielen. Für die Verpflegung derjenigen, die sich selbst nichts mitgebracht haben, sorgen kleine fahrbare Lieferwagen, die Getränke und Essbares anbieten. Und über allem kreist majestätisch der Licht­strahl des Leuchtturms von San Cataldo.


Service

 | Karte: Christian Tiedt
| Karte: Christian Tiedt

Törnetappen

S Messina–Rocella Ionica: 65 sm

  1. Rocella Ionica–Crotone: 64 sm
  2. Crotone–Laghi di Sibari: 55 sm
  3. Laghi di Sibari–Porto degli Argonauti: 40 sm
  4. Porto degli Argonauti–Tarent–Gallipoli: 60 sm
  5. Gallipoli–Santa Maria di Leuca: 25 sm
  6. Santa Maria di Leuca–Otranto: 24 sm
  7. Otranto–Brindisi: 41 sm
  8. Brindisi–Monopoli: 38 sm
  9. Monopoli–Bari: 26 sm

Z Bari

Gesamtstrecke: 438 sm

Nautische Informationen

Die italienische Südküste grenzt von der Straße von Messina im Westen über den Golf von Tarent bis zur Straße von Otranto im Osten an das Ionische Meer, dessen südliche Grenze wiederum durch eine Linie von der Südspitze Siziliens zur Südwestspitze der Halbinsel Peloponnes bezeichnet wird. Die 40 Seemeilen breite Straße von Otranto zwischen der gleichnamigen italienischen Hafenstadt und dem albanischen Vlorë bildet den Übergang vom Ionischen zum Adriatischen Meer.

 | Profil: Christin Tiedt
| Profil: Christin Tiedt

Unser Boot: Marlow Explorer 72 (GFK) · Länge: 23,66 m · Breite: 6,13 m · Tiefgang: 1,45 m · Verdrängung: 63 t · Reisegeschwindigkeit: 10 kn · Reichweite: 3500 sm (6 kn) · CE-Kategorie: A · Motorisierung: 2 x 1000 PS (Diesel)

Die TOP 3 im Revier

  1. Gallipoli: Malerische Insellage mit dem „Strand der Reinheit“ direkt vor der Tür. Schlägt das nördlich gelegene Tarent beim Charme-Faktor um Längen
  2. Monopoli: Traumhafter kleiner Fischerort mit einer Altstadt wie aus dem Bilderbuch. Am Abend typisch italienisches Lebensgefühl unter freiem Himmel
  3. Porto degli Argonauti: Der am besten ausgestattete Hafen am Golf von Tarent. Das Service- und Urlaubsangebot der Ferienanlage lässt keine Wünsche offen

Wetter/Klima

 | Abbildung: BOOTE
| Abbildung: BOOTE

Literatur

  • Küstenhandbuch „Italien“ von Rod Heikell. Edition Maritim, 500 S., 840 Abb., Format: 21,7 x 30,6 cm, gebunden. ISBN 978-3-667-11229-3, Preis: 69,90 Euro. www.delius-klasing.de
  • Italienische Sportbootkartensätze „P5b: Mare Ionio“ (Ionisches Meer, 84 Euro) und „P7: Adriatico Meridionale“ (Südliche Adria, 110 Euro), Maßstab jeweils 1 : 100 000 (Übersegler) und 1 : 30 000 (Detailkarten). Bezug über: www.hansenautic.de

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