Thomas Kittel
· 08.04.2023
Von den Wassergrotten der Ägadischen Inseln bis auf den Gipfel des Ätna: Mit der Motoryacht „Azura“ einmal rund um Sizilien inklusive Abstecher nach Malta
Willkommen im wahren Süden! Auf unserer diesjährigen Sommerreise rund um Italien ist „Azura“ an der Spitze des Stiefels angekommen. Wir haben das Festland bereits seit einigen Tagen in unserem Kielwasser gelassen. Bei glasiger See und großer Hitze haben wir einige Tage auf den Äolischen Inseln verbracht. Als Einstimmung sozusagen auf die nächste Etappe, auf unser nächstes Ziel, dessen bergige Silhouette sich voraus bereits aus dem Dunst hebt: Sizilien. Capo d’Orlando an der Nordküste wird unser erster Anlaufhafen, danach wird es im Uhrzeigersinn einmal um die größte Insel des Mittelmeers gehen.
Nachdem wir eine Zeit lang an der grandiosen Kulisse entlanggefahren sind, erreichen wir die relativ neue Marina Capo d’Orlando. Die Schutzmole aus gewaltiger Betonwand mit Bergen von Tetrapoden lässt erahnen, welche Wetterverhältnisse hier im Winter herrschen. Die Anlage ist bestens organisiert und lässt keine Wünsche offen.
Direkt am Hafen hat eine Ferrari-Oldtimerrallye haltgemacht, die später mit dezent brüllenden Motoren weiterzieht. Wir essen im fantastischen Pepe Rosa und beobachten das italienische Leben: Vom Pärchen in trauter Zweisamkeit bis zur Großfamilie mit Oma und Enkeln versammelt sich hier alles. Offenbar hat sich die Marina zu einem Treffpunkt nicht nur für Wassersportler entwickelt.
Ganz anders kommt dagegen Cefalù daher: Der Hafen macht mit seinen kahlen Betonpiers und der Gittermastbeleuchtung nicht viel her. Die Landschaft drum herum lässt jedoch schon erahnen, welche Reize im Ort selbst auf uns warten. Cefalù ist mit seiner Altstadt, dem hoch gelegenen Castello und dem eindrucksvollen Duomo Santissimo Salvatore, hoch attraktiv. Der mittelalterliche Sakralbau zeigt romanische, katalanische und arabische Einflüsse und gehört zum Unesco-Weltkulturerbe.
Das lange Zeit unglaublich ruhige und stabile Sommerwetter nähert sich seinem Ende. Während Sonne und Hitze bleiben, kommen Wind und Wellen zurück. Sicherheitshalber laufen wir Palermo zwei Tage früher an. Das hat zudem den Vorteil, dass wir mehr Zeit für die Stadt und ein paar Arbeiten am Schiff haben. Wir entscheiden uns für die Marina Villa Igiea nördlich des Handelshafens. Die über dem Hafen thronende Villa hat nicht nur der Marina, sondern auch dem benachbarten Grand Hotel zu seinem Namen verholfen. Unser nautischer Reiseführer schreibt dazu: „So teuer, wie man meinen könnte, ist es nicht, und der aufmerksame Service versetzt einen in die Zeit zurück, in der man zum guten Essen noch einen Anzug trug und sich mit der Dame seines Herzens zum Martini verabredete.“ Auch wenn wir in der herrschenden Hitze den Anzug lieber im Schrank lassen – das könnte der Plan für unseren letzten Abend in Palermo werden ...
Starke Winde sorgen dafür, dass wir sogar noch einen Tag länger im Hafen bleiben, bevor wir in Richtung der Westspitze Siziliens aufbrechen und nach einem Zwischenstopp in Trapani Kurs auf die Ägadischen Inseln nehmen, die uns bisher noch kein Begriff waren. Das wird sich schnell ändern. Bei völliger Windstille stampft „Azura“ durch eine unangenehme Dünung, bis wir in der angepeilten Bucht an der Nordspitze der Insel Marettimo wieder Ruhe finden. Dort machen wir an einer der ausgelegten Bojen unterhalb des Castello di Punta Troia fest – ein gut geschützter Traumliegeplatz, der bei 27 °C Wassertemperatur auch zum Bad einlädt.
Wir lassen unser Dingi zu Wasser und tuckern zu den nahe gelegenen Höhlen, von denen man eine sogar befahren kann – ein Erlebnis, das auch für uns Neuland darstellt. Dann nehmen wir Kurs auf Favignana, die ebenfalls zu den Isole Egadi gehört. Der gleichnamige Hafen darf getrost noch als Geheimtipp bezeichnet werden. Wir bekommen den letzten noch verfügbaren Liegeplatz am äußersten Ende eines Schwimmstegs, wo in seichtem Wasser ausschließlich kleinere Boote festgemacht haben. Der Hafen sprudelt geradezu vor Leben: Ständig kommen die Fähren und spucken Leute aus, Touristenschiffe und ein „Red Submarine“ werben um Kunden, Sportboote aller Art laufen ein – es wird geankert, wo Platz ist, ohne den Fährverkehr zu stören.
Seinen Reiz entfaltet Favignana im Zentrum: Die Piazza Madrice und ihre Seitenstraßen sind voller Leben, und aus dem Park des Palazzo Florio dringen klassische Klänge – mehrere Sängerinnen bieten auf den Stufen des Haupteingangs Opernarien dar. Es fühlt sich an, als wäre man urplötzlich selbst als Statist auf die Bühne einer großen Freiluftaufführung geraten. Kann es irgendwo noch schöner sein?
Der Abschied fällt schwer. Wir wollen deswegen noch eine Badepause in der Bucht von Levanzo einlegen, doch bevor wir an der Boje festmachen können, kommt schon die Polizia Municipale im Schlauchboot auf uns zugeschossen. Man verkündet, dass wir in eine Schutzzone gefahren sind, und belegt uns mit 51 Euro Strafe. Hätten wir schon festgemacht, wäre es noch teurer geworden. Zur Erläuterung drückt man mir einen Prospekt in Italienisch in die Hand, wo alles erläutert sein soll – na prima.
Weiter nach Marsala. Trotz des hier hergestellten weltberühmten Likörweins, der in die Rezepte vieler wohlschmeckender Speisen Eingang gefunden hat, kann uns der Ort nicht so richtig begeistern. Über Sciacca und Licata tingelt „Azura“ weiter entlang der Südküste Siziliens, bis wir, an Ölplattform und Verladestation vorbei, Marina di Ragusa anlaufen – ein netter kleiner Hafen, umgeben von vielen Ferienhäusern und mit großem Sandstrand ausgestattet, was hier keine Selbstverständlichkeit ist. Dort tobt den ganzen Tag das Touristenleben.
Etwas landeinwärts in Donnafugata besichtigen wir das dortige Castello, das 1963 auch als Kulisse für den von Luchino Visconti gedrehten Film „Der Leopard“ diente – ein Meisterwerk der Filmgeschichte. Donnafugata besitzt auch eine Kellerei, deren Weine international ausgezeichnet wurden. Die ebenfalls beworbenen Katakomben finden wir dagegen nicht. Als wir bei der Suche mit dem Auto fast steckenbleiben, beenden wir die Expedition und beschließen den Tag im Ristorante Calamanca direkt am Hafen. Es stellt sich heraus, dass der Manager aus Albanien stammt, in Griechenland studiert hat und nun seit mehr als zehn Jahren auf Sizilien lebt. Überhaupt treffen wir immer wieder Menschen mit einer unglaublich internationalen Vita, die viele Sprachen sprechen und für die der Wechsel ihres Lebensraums zum Alltag zu gehören scheint. Zum Abschied spendiert man uns einen Digestif namens „Zedernwasser“ – der trifft unseren Geschmack zwar nicht unbedingt, aber dafür kennen wir jetzt ein alkoholisches Getränk mehr.
Marina di Ragusa ist unser Sprungbrett nach Malta – dieser Abstecher muss sein. Bei herrlichen Bedingungen machen wir uns auf die Reise, die uns auf schnurgeradem Südkurs über 50 Seemeilen nach La Valetta führt. Kurz vor der Inselgruppe frischt der Wind auf und sorgt für Gischt auf der Fly. Entgegen den bekannten Fotos wirkt Malta von Weitem weniger felsig und steil. Die Bebauung sieht nach Großstadt aus: Hochhäuser, Baukräne, Gerüste. Erst beim Einfahren in den großen Naturhafen entfaltet die Insel ihren Charme: Wir legen uns in die Grand Harbour Marina mitten im Geschehen und umgeben von viel Historie. Ein Blick auf die Karte zeigt, dass wir uns geografisch bereits südlich von Tunis befinden. Mit mehr als 400 000 Einwohnern auf gut 300 Quadratkilometer Fläche hat Malta die fünfthöchste Bevölkerungsdichte weltweit. Der „Spitzenplatz“ gehört einem anderen Miniaturstaat am Meer: Monaco.
Die wechselvolle kulturelle Geschichte begegnet dem Besucher auf Schritt und Tritt: Mal glaubt man in Süditalien zu sein, dann umfängt einen britische Kultur, während das gesprochene Englisch einen starken arabischen Akzent aufweist. Zu den absoluten Highlights gehört die im 16. Jahrhundert von den Maltesern als Ordenskirche errichtete St. John’s Co-Cathedral. Während der eigentliche Bau nach vier Jahren fertig war, dauerte die Innenausstattung über 100 Jahre. Bei einer Rundfahrt durch die Stadtteile Vittoriosa und Kalkara fallen uns frisch aufgestellte Heiligenfiguren, Straßengirlanden und Blumenschmuck auf. Wie wir erfahren, wird hier jährlich im Rahmen einer großen Feier des Kriegsendes gedacht. Dabei wird die Statue des Schutzpatrons St. Lawrence, die im Krieg in Sicherheit gebracht wurde, wie damals aus der Kirche entfernt, in einer beeindruckenden Prozession durch den Stadtteil getragen und dann feierlich zurückgebracht.
Nach einem Zwischenstopp auf der Nachbarinsel Gozo geht es bereits wieder zurück nach Norden. Erster Landfall nach der Überfahrt ist das Capo Passero, die südöstliche Ecke Siziliens. Wir runden das Kap und erreichen über Marzamemi schließlich Syrakus an der Ostküste. Auch dieser Ort entfaltet seinen ganzen Charme am Abend: eine wunderschöne Hafenpromenade, zahlreiche Restaurants über dem Wasser, angestrahlte Gebäude, eine filmreife Piazza vor der Kathedrale – und zu meiner Überraschung eine hypermoderne Illumination, eine Bar und von einem Musiker live produzierte Technomusik als totales Kontrastprogramm zum altehrwürdigen Castello Maniace.
Unser nächster Hafen wird Catania, die zweitgrößte Stadt auf Sizilien, am Fuße des Ätna gelegen. Eine prächtige Marina gibt es hier nicht. So liegen wir mit Buganker in einer Lücke am Steg des kleinen Yachtclubs Circolo Nautico, der sich eher für mittlere Segelyachten eignet und in unmittelbarer Nähe zum kommerziellen Hafen untergebracht ist. Bei nur 16 Ampere brauchen wir unsere Kabel gar nicht auszurollen. Qualmende Großfähren, Lkw-Verkehr, Baustellen und Schlaglöcher bestimmen den Eindruck. Die Geschichte der Stadt ist von Überfällen, Eroberungen, Erdbeben und Vulkanausbrüchen geprägt. Unser Reiseführer schreibt: „Wie in Neapel scheint auch in Catania die unmittelbare Nähe eines aktiven Vulkans einen besonderen Menschenschlag hervorgebracht zu haben, der sich für seine Stadt kaum interessiert, weil sie ohnehin jederzeit dem Erdboden gleichgemacht werden kann.“ Diesen Eindruck kann man tatsächlich auch hier gewinnen.
Am nächsten Morgen fahren wir mit dem Mietwagen auf den Ätna. Auf der kurvenreichen Straße müssen wir ständig auf Radfahrer achten, die sich den Berg hinauf quälen. Dann geht es mit Seilbahn und geländegängigen Transportern bis auf 2900 Meter Höhe. Ein Führer überwindet mit uns den letzten Höhenunterschied bis zu einigen erloschenen Kratern auf 3000 Metern. Die derzeit aktiven liegen noch etwas höher, dürfen aber nicht bestiegen werden: Im Frühjahr 2020 gab es einen Ausbruch – die kilometerlangen Lavaspuren sind deutlich zu erkennen.
An den Kraterrändern weht ein starker, kalter Wind, doch der Faszination kann sich niemand entziehen. Die spröde Schönheit der vulkangeformten Landschaft, die Nähe zur Naturgewalt und der Rundumblick und die Ruhe vereinigen sich zu einem ganz besonderen Erlebnis. An der Talstation herrscht dagegen eine Atmosphäre wie in den winterlichen Alpen mit Musi-Radi-Gaudi – es fehlt nur der Schnee. Aber auch den gibt es hier, wie zahlreiche Skilifte beweisen – man muss wohl nur noch etwas warten.
Bevor wir Messina erreichen, laufen wir als Zwischenstation noch Riposto mit seinem Porto dell’Etna an. Diese große moderne Marina leitet aus der Nähe zum Ätna offenbar ab, besonders teuer und besonders unpersönlich sein zu dürfen – kein Ort, in den es uns ein zweites Mal ziehen würde. So fahren wir weiter nach Taormina, wo wir gern an eine der dortigen fest verankerten Bojen gegangen wären. Als man jedoch für einen Tagesstopp ohne Übernachtung 120 Euro aufruft, sagen wir „Nein danke“ und ankern lieber selbst zum Nulltarif.
Es ist ohnehin fast geschafft, voraus liegt die Straße von Messina, die Sizilien vom italienischen Festland trennt. Sie grüßt uns mit einer ordentlichen Gegenströmung von bis zu vier Knoten, aber so kurz vor dem Ende unserer Umrundung lassen wir uns nicht mehr aufhalten. Als wir am Abend am Hafen von Messina im Ristorante sitzen, legt gerade die Fähre zu den Äolischen Inseln ab. Der Kreis hat sich geschlossen.
DIE INSEL SIZILIEN ist bei einer Fläche von rund 25 000 Quadratkilometern etwas größer als Mecklenburg-Vorpommern. Zwischen Marsala im Westen und Messina im Osten beträgt die Entfernung etwa 280 Kilometer. Im Norden liegt das Tyrrhenische Meer, im Osten das Ionische Meer. Die 17 Seemeilen lange und an schmalster Stelle nur 1,7 Seemeilen breite Straße von Messina verbindet die beiden Meeresteile und trennt gleichzeitig Sizilien vom italienischen Festland. Im Südwesten liegt die mit 80 Seemeilen wesentlich breitere Straße von Sizilien zwischen der Insel und der zu Tunesien gehörenden Halbinsel Kap Bon. In diesem Seegebiet verläuft eine der Hauptrouten für Bootsflüchtlinge im zentralen Mittelmeer. Das Revier ist weitläufig und nautisch sehr unterschiedlich, allerdings schon allein aufgrund der großen Seeräume immer anspruchsvoll.
UNSER BOOT: Marlow Explorer 72 (GFK) · Länge: 23,66 m · Breite: 6,13 m · Tiefgang: 1,45 m · Verdrängung: 63 t · Reisegeschwindigkeit: 10 kn · Reichweite: 3500 sm (6 kn) · CE-Kategorie: A · Motorisierung: 2 x 1000 PS (Diesel)
Küstenhandbuch „Italien“ von Rod Heikell. Ventimiglia–Brindisi, mit Sardinien, Sizilien und Malta. Nautischer Törn- und Reiseführer, Serviceinformationen. Edition Maritim: 500 S., 840 Abb., Format: 21,7 x 30,6 cm, gebunden, ISBN 978-3-667-11229-3, Preis: 69,90 Euro. www.delius-klasing.de
Italienische Sportbootkartensätze „P6a: Sicilia Costa Settentrionale“ (Nordküste, 110 Euro), „P6b: Sicilia Costa Meridionale“ (Südküste, 110 Euro) und „P5a: Tirreno Meridionale“ (Ostküste, 84 Euro), Maßstab jeweils 1 : 100 000 (Übersegler) und 1 : 30 000 (Detailkarten), Format 34 x 51, einzelne Blätter in Kunststofftasche. Bezug über: www.hansenautic.de
Britische Imray-Seekarte „M36: South Coast of Sicilia to Malta“ für die Passage nach Malta, mit Detailplänen u. a. für den Grand Harbour. Maßstab: 1 : 275 000, gefaltet, Preis: 24,50 Euro. www.hansenautic.de
Revierhandbuch „North Africa“ von Graham Hutt. Mit Malta. Imray: 299 S., geb., Format: 35 x 21,7 cm, Preis: 52 Euro. www.hansenautic.de