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Von der Nordspitze Ölands sind es 42 Seemeilen hinüber zur Insel Gotland, bei knapp 1400 Umdrehungen und acht Knoten Fahrt bedeutet das etwa sechs Stunden für uns. Jetzt beginnt der zweite Teil unseres Sommertörns mit dem Cruising Club der Schweiz, der in Karlskrona begonnen hat und in Riga enden soll, eine Reise quer über die Zentrale Ostsee. Nur ein Wegpunkt teilt die heutige Strecke, eine ODAS-Tonne etwa auf halber Distanz nach Visby. So vermeiden wir das Verkehrstrennungsgebiet unterwegs. Der Generalkurs liegt um 065°.
Es bleibt grau, während die „Rolling Swiss 2“ mit schnurgeradem Kielwasser nach Ostnordost steuert. Immer wieder hüllen Regenschauer uns ein. Die Sonne zeigt sich selten, das Gleiche gilt für Seevögel. Einzige weitere Begegnung ist die Schnellfähre, die uns mit hoher Bugwelle von Oskarshamn kommend überholt. „Destination Gotland“ ist groß auf ihrem Rumpf zu lesen. Das gilt auch für uns!
Nach etwa vier Stunden dreht der Wind auf Nord und nimmt wie angekündigt leicht zu, doch da können wir die hohe Steilküste südlich von Visby schon ausmachen. Bald taucht auch die Stadt selbst aus dem Dunst auf. Ein langer Tag neigt sich dem Ende entgegen. Der Hafen ist zwar recht voll, doch wir bekommen noch einen Liegeplatz längsseits an der mit Reifen bewehrten Pier, die eigentlich für größere Schiffe gedacht ist, wie etwa die nagelneue, schwarz glänzende Sunseeker hinter uns. Oder für ungewöhnliche Exemplare wie den schwimmenden Lindwurm unter russischer Flagge, mit geschupptem Ringelschwanz achtern und drei Köpfen am Bug. Die pelzbehangene Crew lässt es sich an Deck gut gehen. Diese „künstlerische“ Interpretation eines Drachenschiffs sucht wohl ihresgleichen. Ansonsten sieht man Segler aus Deutschland, Finnland und Schweden, auch einen Litauer und die obligatorischen Briten. Wir können zwei Nächte bleiben, danach ist der Platz bereits reserviert. Perfekt für uns.
Die Sonne strahlt, aber draußen bläst es ordentlich – also doppeltes Glück, dass wir hier sind! Gotland lag schon immer im Schnittpunkt der Schifffahrtsrouten über die Ostsee – ein Ort, an dem man im wahrsten Sinne nicht vorbeikam: Bis ins Hochmittelalter waren es die Wikinger und ihre Nachfahren, die es zum Handelsplatz ausbauten. Dann wurde Visby elementarer Knotenpunkt im weitgespannten Handelsnetz der Hanse. Heute sind hier vor allem Kreuzfahrtschiffe, Sportboote und die Fähren, die Besucher über die Ostsee auf die Insel bringen.
Überall werden Bühnen und Zelte aufgebaut: Morgen beginnt die Almedalsveckan, das „größte demokratische Diskussionsforum der Welt“. Tausende Veranstaltungen wird es geben, zu allen nur denkbaren Themen. Das gedruckte Veranstaltungsprogramm für die Woche ist so dick wie ein Bestellkatalog.
Vom Hafen geht durch enge Gassen über Hästgatan und St. Hansgatan zum Stora Torget, dem Herz der Altstadt. Im Westen wird der Marktplatz von der Ruine der Kirche St. Karin begrenzt. Schon vor fünfhundert Jahren verfallen, gehören ihre gotischen Bögen – natürlich gegen Einsturz gesichert – längst zu den Wahrzeichen Visbys. Danach führt der Weg zur ebenfalls noch aus dem Mittelalter stammenden, intakten Domkirche und dann hinunter zur Uferpromenade. Hinter dem schmalen Steinstrand wogt die tiefblaue, windgepeitschte Ostsee. Weiter auf Zeitreise außen entlang der intakten Stadtmauer mit ihren wuchtigen Türmen, die in der Sonne leuchten. In der Konditori Norrgatt am Broväg gibt’s den nötigen Zucker nach der langen Tour: Bullar und Wienerbrød, süß muss sein! Mit Gebäck kennt man sich hier wirklich aus.
Nach einem Besuch im Gotlandsmuseum am Nachmittag zieht es uns am Abend zurück zum Stora Torget, und im Plaza Restaurang finden wir sogar noch einen schönen Tisch. Das Essen ist gut, die Luft warm und die griechische Livemusik nebenan nicht schlecht. Süden im Norden! Mit Blick auf all das alte Mauerwerk ringsumher und den makellosen Himmel darüber fühlt man sich tatsächlich wie am Mittelmeer, nicht wie an der Ostsee. Als der Sirtaki anklingt – fraglos die Abschlussnummer –, machen auch wir uns auf den Heimweg zu unserem Boot.
Am Morgen steht draußen noch immer eine ordentliche See. Das Nachlassen des Windes, eigentlich für die Mittagszeit angekündigt, hat die aktuelle Vorhersage nun auf den Nachmittag verschoben. Zwar sind es jetzt nur noch vier bis fünf Beaufort aus Nordwest, aber in Kombination mit dem alten Schwell und der Tatsache, dass wir fast genau gegenan müssen, ist auch das auf der Ostsee noch eine Hausnummer. Versuchen wollen wir es dennoch; unser Tagesziel ist zwar eigentlich Fårösund ganz im Norden Gotlands, aber da wir aufgrund der Wettersituation auf unseren Abstecher nach Gotska Sandön noch weiter nördlich verzichten, hätten wir zumindest zeitlichen Spielraum für einen weiteren Zwischenstopp. Beim Einkaufen lassen wir uns ordentlich Zeit, dann legen wir ab.
Einmal um den Molenkopf herum, geht es sofort zur Sache. Achterbahn! Zum Glück sind die Wellenkämme nicht mehr ganz so steil, von harten Schlägen bleiben wir heute weitgehend verschont. Trotzdem muss sich nicht nur die „RS2“ abmühen, ohne Festhalten ist kein Schritt an Bord zu machen. Nach knapp zwei Stunden haben wir den weißen Turm von Stenkyrkehuks Fyr an Steuerbord voraus, der sich aus den Bäumen oberhalb eines Steinstrands erhebt. Von Bord sieht es so aus, als würde die imposante Brandung bis zu den kleinen roten Fischerhütten reichen, die dort stehen.
Hinter der Huk wird für uns ein Kurswechsel nötig, um der Uferlinie weiter zu folgen. Doch auf dem neuen Kurs haben wir die Welle von Backbord jetzt nur noch ein wenig vorlicher als querab – und die „Rolling“ beginnt ihrem Namen sofort alle Ehre zu machen. Die Entscheidung fällt schnell: Ab ins Loch! Gleich hinter der Landspitze liegt Lickershamn. An der Pier können wir zumindest einigermaßen geschützt längsseits gehen. Ruhig liegen wir hier anfangs zwar nicht, aber zum Abend hin wird nimmt der Wind dann tatsächlich ab.
Landgang: Durch duftenden Kiefernwald zieht es uns zur „Jungfrau“, einer von Wind und Wetter geformten Kalksteinformation. Raukar heißen diese Naturskulpturen, die an vielen Stellen Gotlands zu finden sind – aber nirgends höher aufragen als die sieben Meter messende Jungfru auf der Steilküste von Lickershamn.
Über Nacht ist der Wind fast vollständig eingeschlafen. Schlapp hängen Wimpel und Flaggen am Morgen herunter. Die Hitze ist umso spürbarer. Der Schwell ist immer noch vorhanden, aber wesentlich sanfter als gestern und gut zu ertragen. Endlich mal wieder eine Stunde auf dem Vorschiff in der Sonne! Entsprechend schnell vergeht die Fahrt über die Ostsee, immer mit der Küste an Steuerbord. Vorbei an der Landspitze von Hallshuk und der trichterförmigen Kapellsvik bis zum westlichen Ende des Fårösunds, der Gotland von der kleineren Nachbarinsel Fårö trennt. An der langen Pier des Fischereihafens von Fårösund, dem gleichnamigen Dorf auf der gotländischen Seite, machen wir gegenüber von einem Lotsenboot fest. Es ist kaum 14 Uhr. Unser letzter Tag in Schweden, und die Zeit reicht sogar noch für einen Ausflug. Also zur Landpartie hinüber nach Fårö, mit der Fähre, die halbstündlich pendelt.
Keine zwanzig Minuten später bin ich am anderen Ufer und mache mich zu Fuß auf zum Naturreservat von Ryssnäs, zwischen sommerlichen Feldern hindurch und dann in eine sandige Heidelandschaft hinein. Blauer Heinrich, Lupinen und Disteln blühen, der Wald spendet Schatten. Eine herrliche Wanderung. Schließlich leuchtet wieder das Meer über dem Kalksteinstrand, und ich bin allein mit scheuen Schafen und angriffslustigen Möwen.
Dann am Strand entlang. Überall findet man Fossilien, versteinerte Korallen und Abdrücke von Muscheln, auf denen noch das Perlmutt glänzt – und dazwischen das ein oder andere braune Möwenei. Kein Wunder, dass die Vögel so ungehalten über meine Anwesenheit sind. Zurück im kleinen Café an der Fähre, reicht die Wartezeit für eine schnelle Erfrischung, bevor es wieder nach Fårøsund hinübergeht.
Unser Platz im Fiskehamn ist gar nicht schlecht. Blanker Beton mit dicken Reifen, aber auch mit Picknicktischen. Ein Motorsegler aus Lettland ist da, ein anderer aus Litauen. Mit Laptop, Bier und Musik aus der Boombox im Sonnenschein Tagebuch schreiben – man kann es schlechter treffen. Zum Abendessen zaubert die Schweizer Bordküche Älpler Makkaroni mit Apfelmus, Stärkung für die lange Überfahrt morgen. Ablegen werden wir um 4 Uhr.
An diesem Tag beginnt der unbekanntere Teil unserer Reise. Am Anfang steht die Überfahrt zur Rigaer Bucht, einmal quer über die mittlere Ostsee. Knapp 120 Seemeilen liegen bis zur estnischen Insel Saaremaa vor uns. Dreizehn Stunden werden wir mindestens benötigen. Die Wetterprognose: Südwestwind um 4, leicht abschwächend und westdrehend im Tagesverlauf. Meine erste Dreistundenwache beginnt zwar erst um 7 Uhr, aber ich stehe trotzdem schon um 3.45 Uhr auf, um beim Ablegen zu helfen und zu fotografieren. Doch daraus wird nichts – ein Wolkenriegel hängt über dem Horizont, wo die Sonne gerade aufgegangen ist. Es ist schon frisch und windig, als wir die Leinen loswerfen und rückwärts von der Pier ablegen, hinaus auf den Fårösund.
Die gestern noch so sommerliche Landschaft wirkt kalt. Ein Leuchtturm, dann die kleine Insel Bungeör, unser letztes Stück Schweden auf diesem Törn. Ich liege bald wieder in meiner Koje unter dem Schlafsack, und es geht ordentlich zu Kehr. Warte auf den Kurswechsel, der die Welle achterlicher werden lässt. Aber viel hilft es nicht. Das wird eine lange Überfahrt ...
Fünf Minuten vor der Zeit pünktlich zum Wachwechsel nach oben, schmutziges Grau überall. Dazu mehr Schaumkronen auf der Ostsee als erwartet, viel mehr Wind und unangenehme Bewegung im Boot. Das Land ist achtern längst verschwunden, dafür ist der Schiffsverkehr beachtlich. Vier, fünf Frachter um uns herum, zwei davon sind für uns nautisch von Bedeutung, ein großer Bulker und ein rostiger Russe, beide auf Nordostkurs. Wir befinden uns auf dem Hauptschifffahrtsweg durch die Ostsee. Beide werden sicher passiert. Ohne einen weiteren Fixpunkt, auf den man sich konzentrieren kann, ohne weitere Schiffe zum Ablenken, wird mir bald etwas flau im Magen. Noch nicht mal steuern kann ich, das macht der Autopilot besser. Also nagele ich meinen Blick auf den Horizont – und habe Glück.
Die nächste Freiwache bringt zwar erneut kaum Schlaf, dafür aber etwas Sonne durchs Fenster. Und als ich wieder nach oben komme, ist der Anfang vom Ende bereits ganz fein im Fernglas sichtbar: der Leuchtturm inmitten der Irbenstraße, des Hauptzugangs zur Rigaer Bucht zwischen der Nordspitze Lettlands und der estnischen Insel Saaremaa. Auf Saaremaa liegt auch unser Tagesziel: der kleine Hafen von Mõntu, eine alte Industrieverladestelle etwa sechs Kilometer entfernt vom Leuchtturm Sörve.
Nach einsamen Stunden nimmt nun auch der Verkehr wieder zu, ein Holzfrachter auf Gegenkurs zieht die Aufmerksamkeit auf sich. Gerade als er querab ist, fängt plötzlich die Backbordmaschine an zu röhren. Die Temperatur geht hoch, wir müssen den Motor abstellen. Zum Glück haben wir zwei Diesel! Mit 1150 Umdrehungen und nur noch knapp sechs Knoten geht es vorsichtig weiter Richtung Hafen. Zu allem Überfluss trübt es sich nun auch wieder ein, der schwarz-weiße Leuchtturm von Sörve, schon länger an Backbord in Sicht, wirkt plötzlich sehr weit weg.
Doch zum Glück nimmt die Welle weiter ab. Mõntu kommt in Sicht, helle Hallendächer zuerst, dann die Richtbaken der Hafenansteuerung. Was uns dort erwartet, wissen wir nicht. Eine alte Betonpier wie in Grankullavik auf Öland vielleicht. Doch dann reiben wir uns die Augen: Hier ist alles nagelneu; blitzblanke Edelstahlpoller, frisches Holz ohne Kratzer, ein Servicegebäude mit fünfzehn Türen. So kunstvoll glatt gestrichener Beton, dass das Wellenmuster an die Ramblas in Barcelona erinnert. Der Hafenmeister ist zwar etwas einsilbig, aber immerhin zur Stelle. „Fünfundzwanzig“, sagt er, völlig okay. Zwei Schweden liegen hier schon, ansonsten ist der Hafen leer.
Das Umfeld: ein schmaler Strand, Wald, und dazwischen eine gewaltige gemähte Wiese – wohl ein Wohnmobil- und Campingplatz. Komplett verwaist. Ein älteres sowjetisches Denkmal erinnert auf Russisch an die Rückzugskämpfe 1941, ein zweiter, neuerer Gedenkstein an die Rückeroberung durch die Rote Armee 1944. Diese Inschrift mahnt die zivilen Opfer an, auf Estnisch, Englisch und Deutsch. Kein Russisch. Ich gehe eine Runde laufen, zunächst am Strand entlang, dann in den dichten Wald hinein. Birken und helles Grün überall. Wenn Gotland wie Griechenland war, sonnengebleicht, verkarstet und von alten Mauern durchzogen, ist Estland wie Finnland, frisch und voller hungriger Insekten. Vom Mittelmeer nach Skandinavien an einem einzigen Tag, und das auf der gleichen geografischen Breite. Zum Abschluss gibt es sogar noch ein Bier im Sonnenschein auf dem „Balkon“, unserem Achterschiff.
Die genaue Schadensursache steht zwar noch nicht fest, aber alles deutet tatsächlich auf den Impeller. Das wäre mit Bordmitteln zu beheben. Eine Überprüfung morgen früh soll Klarheit bringen. Am Abend steht kulturelle Weiterbildung in schweizerischen Dialekten auf dem Programm, vom „Blauen Bähnli“ bis zum „Pacifik“. Ein Tag voller Überraschungen.
Guter Start mit Strandspaziergang. Aber zu früh gefreut, es warten schlechte Nachrichten: Nicht der Impeller ist hin, dafür wäre Ersatz an Bord gewesen. Offenbar ist die ganze Backbord-Kühlwasserpumpe im Eimer. Das bedeutet zwar, dass sich an den ohnehin zwei geplanten Tagen in Kuressaare – unserem nächsten Ziel – erst einmal nichts ändert. Es könnten aber auch leicht mehr werden. So einfach ist es nämlich nicht mit einer neuen Pumpe: Die Jagd führt über zwei Stunden von Erfurt über Plymouth nach Hamburg und in die Niederlande. Seriennummern, Produktnummern, Telefonnummern. Es dauert bis zum Mittag, bevor das passende Teil bestellt ist. Bleibt nur noch die Frage, wann die Zustellung stattfindet. Mit viel Glück am Mittwoch, also übermorgen. Nur dann würden wir noch bis nach Riga kommen ...
In „Schleichfahrt“ steuern wir nun erst einmal Richtung Nordosten. Für die zwanzig Seemeilen benötigen wir fast vier Stunden, zum Glück bei schwachem Wind. Die Dächer der Burg von Kuressaare sind schon von Weitem über dem flachen Ufer zu sehen. Zum Hafen führt eine kanalartige Rinne, die flachen Wälle zu beiden Seiten sind von Möwen bevölkert. Das obere Zeichen der Richtfeuerlinie steht auf dem Dach eines Hotels. Der Hafenmeister erwartet uns schon.
Arensburg – der alte deutsche Name von Kuressaare wird hier durchaus marketingtechnisch eingesetzt. Auch im schmucken Stadtzentrum trifft man ihn an. Die imposante Festung selbst ist ebenfalls in tadellosem Zustand und beeindruckt allein schon durch ihre schiere Größe. Mauerwerk und die Wallanlagen wirken frisch restauriert, fast neu – wie das absichtlich modern gestaltete Haupttor. Im Burggraben sind Ruderboote unterwegs. Das Museum im Inneren durchblättert die verschiedenen Kapitel der Vergangenheit Saaremaas, leidvolle wie die Zeit des Zweiten Weltkriegs, und bleierne wie die jahrzehntelange Sowjetherrschaft danach, als aus Kuressaare Kingisepa wurde, benannt nach einem estnischen Vorzeigekommunisten. Aber eben auch das stolze Kapitel der „singenden Revolution“, die im Zuge der Perestroika 1991 die Freiheit und Unabhängigkeit Estlands wiederherstellte. Viel Geschichte für eine kleine Insel.
Unsere neue Pumpe ist auf dem Weg, es heißt weiter hoffen. Für Ablenkung sorgt deshalb erst einmal ein Wagen, den wir für 40 Euro pro Tag vom Hafenmeister „mieten“. Ein Mazda, sicher fünfzehn Jahre alt, mit durchgesessenen Sitzen und einem Raucharoma, dass von dem gelben Vanille-Duftbaum am Innenspiegel eher noch verstärkt wird. Aber er fährt! Fünfzig Kilometer sind es bis Sääre auf der Halbinsel Sörve ganz im Südwesten. Einige Felder, viel Wald, der zum Ende aber lichter wird und in Buschwerk übergeht. Dann wächst kaum noch etwas, und das Land läuft in einer schmalen Zunge aus Sand und Steinen im Meer aus.
Direkt voraus steht der Sörve Tuletorn im Sonnenlicht, der Leuchtturm, den wir schon von See aus sahen. Ich parke beim Café und besorge mir ein Ticket für den Leuchtturm. Innen dann die Überraschung: ein fünfzig Meter hoher, hohler Schacht. Eine eingezäunte Treppe führt im Zickzack hinauf, nicht in Schneckenform; für solche Feinheiten hatten die Sowjets nichts übrig, als sie den Stahlbetonbau 1960 in die Höhe zogen.
Auch oben ist der Umgang vergittert, was bei dem starken Wind sicher sinnvoll ist. Weiße Pfeile auf dem Boden weisen in die Weite: Gotland, 147 Kilometer. Wieder unten gehe ich auf die Landzunge hinaus. Dramatische Wolkenkulisse. Im Westen die offene Ostsee, im Süden die Irbenstraße und dahinter die Rigaer Bucht. Ob wir es bis nach Riga schaffen werden? Oder wird dieser letzte Ort Saaremaas auch das Ende dieser Reise? Über dem flachen Steingrund laufen die glasigen Wellen von beiden Seiten kreuzend übereinander. Da vibriert mein Telefon in der Hosentasche. Ich fische es heraus und lese die Nachricht.
5. Grankullavik (Öland) – Visby (Gotland): 42 sm
6. Visby – Lickershamn (Gotland): 16 sm
7. Lickershamn – Fårösund (Gotland): 24 sm
8. Fårösund – Mõntu (Saaremaa): 115 sm
9. Mõntu – Kuressaare (Saaremaa): 22 sm
10. Kuressaare
Gesamtstrecke (zweiter Törnabschnitt): 219 sm
Sportbootkartensatz 11 „Ostküste Schweden 1“ von Delius Klasing. Format: A2, ISBN: 978-3-667-11614-7, Preis: 109,90 Euro. www.delius-klasing.de
Hafenführer „Hamnguiden 7: Landsort-Skanör, Öland, Gotland & Bornholm“. 414 S., ISBN: 978-82-7997-211-2, Preis: 69,90 Euro. Bezug über www.hansenautic.de
Hafenführer „East Baltic Coast: Sail in Estonia and Latvia“. 168 S., ISBN: 978-9934-8816-8-8, kostenlos. Bezug über www.eastbaltic.eu
Trader 42 (GFK-Halbgleiter) · Länge: 13,30 m · Breite: 4,30 m · Höhe: 3,80 m · Tiefgang: 1,20 m · Kojen: 6 (3 Doppelkabinen) · WC/Dusche: 2/2 · CE-Kategorie: A · Motorisierung: 2 x 380 PS (Diesel) · Besondere Ausstattung: UKW-Funkanlage, Autopilot, Plotter mit Radar- und AIS-Overlay, Generator, EPIRB, Bugstrahlruder, Dingi
Auf diesem Törn waren wir mit dem Cruising Club der Schweiz (CCS) unterwegs. Der in Bern ansässige Zentralclub gehört mit rund 6500 Mitgliedern zu den größten Wassersportvereinen der Schweiz und nimmt bei der Hochseeausbildung eine Führungsposition in der Sportschifffahrt ein. Im Verein bildet die Motorbootabteilung mit ihrer eigenen Yacht, die für Ausbildungs- und Reisetörns in Nord- und Westeuropa eingesetzt wird, eine eigene Untersparte. www.ccs-motoryacht.ch
Dieser Reiseabschnitt führte uns zum Großteil durch die Zentrale Ostsee, deren Ausdehnung allein sie bereits zu einem nautisch anspruchsvollen Revier macht. Gute Seemannschaft in jeder Hinsicht ist Grundvoraussetzung. Für lange Etappen muss besonders gründlich vorbereitet und das Wetter beachtet werden. Die Navigation zwischen den von uns angelaufenen Etappenhäfen verläuft also (bis auf die unmittelbare Revierfahrt der Ansteuerungen und dem vergleichsweise engen Fahrwasser im Bereich des Fårøsunds) über offene Seeflächen und ist zumindest navigatorisch entsprechend unproblematisch.
Die Befeuerung und Betonnung ist angemessen und durchweg vorhanden. Die Uferbereiche sind jedoch sehr flach, mit Steinen gespickt und sollten außerhalb der Fahrrinnen unbedingt gemieden werden. Die Infrastruktur der größeren Sportboothäfen ist in der Regel gut, sowohl in Schweden wie in Estland. In der Hauptsaison, die nach Mittsommer schlagartig beginnt und bis etwa Mitte August reicht, ist es jedoch sinnvoll, den Wunschhafen im Verlauf des Törntages zu kontaktieren und sich über die Liegeplatzsituation zu informieren. Festgemacht wird vielerorts mit dem Heck (bzw. einer Achterleine an der Muringboje) und dem Bug am Steg.
Visby: Gästhamn, Tel. +46 (0498)-21 51 90, www.visbygasthamn.se; Lickershamn: Gästhamn, Tel. +46 (707)-78 19 33, www.lickershamn.com; Fårösund: Fiskehamn, Tel. +46 (736)-00 63 07, www.batsidan.com/hamn/farosund_fiskehamnen; Mõntu: Mõntu Marina, Tel. +372-502 38 60, www.montusadam.ee; Kuressaare: Stadthafen (Marina), Tel. +372-503 19 53, www.sadam.kuressaare.ee