ReportageHolzbootfestival in Norwegen – Einträchtiges Idyll

Jan Zier

 · 26.02.2023

Segelboote und Motor­yachten liegen hier dicht an dicht, im denkmal­geschützten Ensemble
Foto: Jan Zier
Im südnorwegischen Hafenstädtchen Risør treffen sich seit 40 Jahren alljährlich die Liebhaber von Holzbooten aller Klassen zum Trebåtfestival. Ein Ortsbesuch

Galionsfiguren, das kennt man ja, auch von den Wikingerschiffen hier. Aber eine Kühlerfigur? Genau genommen ist es sogar die berühmteste von allen: Emily. The Spirit of Ecstasy. Der Eigner fährt natürlich auch einen Rolls-Royce, von 1968, und dann noch einen. Und auf dem Vordeck seiner mehr als neun Meter langen Motoryacht sitzt, als Maskottchen, ein kleiner Bär im Liegestuhl, mit einem Rolls-Royce-Wappen auf der maritimblau gewandeten Brust. Anders als auf den Automobilen wirkt Emily hier aber eher unscheinbar, auf dem Bug aus Mahagoni ist sie beinahe unsichtbar, und Åge Antonsen zeigt sie auch nicht gleich jedem; er schätzt durchaus ein gewisses Understatement. Dabei heißt sein Boot genauso wie eben jene Frau im wehenden Kleid.

Eine weltberühmte Kühlerfigur auf dem Vorschiff

Da überrascht es kaum, dass er zudem Präsident der norwegischen Sektion des Rolls-Royce Enthusiasts’ Club ist. Seine „Emily“ hat er einst vor dem Abwracken gerettet, kurz vor Weihnachten war das, und dann den ganzen restlichen Winter über liebevoll mit eigener Hand restauriert, Tag und Nacht. Das war mehr als ein Vollzeitjob. Herr Antonsen wird etwas andächtig, wenn er von seinem 1966 erbauten Kabinenkreuzer spricht. „Wir sterben. Das Schiff lebt weiter“, sagt der 71-Jährige. Und wie sehr er sich freut, eine Zeit lang die Verantwortung dafür übernehmen zu dürfen.

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Otto Scheen jr. hat es einst konstruiert, der auch für das legendäre Konstruktionsbüro Sparkman & Stephens in New York tätig war. Nun liegt „Emily“ hier, im Hafen des südnorwegischen Hafenstädtchens Risør, beim Trebåtfestival. Das Treffen der Holzboote, denn das bedeutet der norwegische Name, vereint seit nunmehr 40 Jahren zwei Welten, die in Deutschland meist getrennt leben und feiern – jene der Segler und jene der Motorbootfahrer. Hier sind alle willkommen, sich frei von Argwohn und Dünkel einträchtig miteinander zu amüsieren, solange sie Boote aus Holz haben. Oder zumindest lieben. Hier treffen historische Arbeitsschiffe in der Tradition der Großsegler auf originalgetreue Nachbauten von Wikingerschiffen, kleine, offene Motorboote auf große Meterklasse-Yachten, elegante Salonschiffe auf norwegische Spjærøy-Kreuzer, skandinavische Kieljollen auf kleine Ruderboote. Und alle sind sie eben aus gewachsenem Material gebaut. Das verbindet.

Die weiße Stadt am Skagerrak gilt zu Recht als pittoresk

Über der Bucht, in der sie liegen, erhebt sich eine der besterhaltenen Holzhaussiedlungen aus dem 19. Jahrhundert. In Norwegen wird Risør „die weiße Stadt am Skagerrak“ genannt und wurde einst zur schönsten Holzstadt des Landes gekürt. Im eleganten Halbrund säumen in Weiß verschalte Häuser mit Sprossenfenstern den Hafen. Cafés und Galerien sind mittler weile hier eingezogen, kleine Läden, die noch keine Franchise-Ketten kennen. Ein alter Speicher von 1862 beherbergt eine Kneipe, es gibt kaum Bausünden moderner Tage. Ein paar Straßen weiter steht eine passend weiße Holzkirche, nur die Dächer an der Uferpromenade glänzen schwarz im Licht der Sonne. Trotzdem hat man nie das Gefühl, in einem Freilichtmuseum unterwegs zu sein. Risør, das ist die perfekte Kulisse für Liebesfilme aus der romantischen Happy-End-Maschine, ideal, um der Wirklichkeit des Alltags zu entfliehen. Einer Realität, in der Plastik dominiert. Reiseführer würden dieses Örtchen „pittoresk“ nennen. Es wäre nicht mal übertrieben.

Manchmal kommt auch der König von Norwegen selbst. Zuletzt fuhr Harald V. hier seinen grünen Achter „Sira“ aus, ansonsten entsendet er den königliche Plattgatter „Stjernen“, ein 60 Fuß messendes Motorschiff mit 320 PS, das 1935 in Kiefer zunächst für einen Kaufmann erbaut wurde. Es hat einen Ehrenplatz an der Spitze des engen Innenhafens, und doch kommt keiner auf die Idee, dass die Yacht seiner Majestät mittels uniformierter Sicherheitskräften vom gemeinen Volk abgeschirmt werden müsste. Ohne Matrosenanzug bei der Crew geht es aber natürlich nicht. Ein paar Meter weiter liegt eine frisch restaurierte Riva Ariston von 1960.

Auch sie bringt einen Hauch von Jetset-Flair nach Nor wegen. Als Geir Julsvoll sie 2017 kaufte, war sie „in dramatischem Zustand“, erzählt seine Frau. Das legendäre Boot konnte nicht fahren, nicht einmal schwimmen und hatte laienhafte Restaurationsversuche über sich ergehen lassen müssen. Also brachte Herr Julsvoll seine Riva auf dem Trailer zu ihrem Geburtsort, der in der Nähe von Bergamo liegt, und holte sie kurz vor dem Trebåtfestival wieder ab. Jetzt glänzt sie wieder, perfekt restauriert. Die ebenmäßig glatten Kurven am Bug, die sich zum schmalen, lang gezogenen Heck hin verjüngen, das Deck aus Mahagoni – alles ist nun makellos, wie neu. Markantes Türkis versetzt den Betrachter in jene Zeit zurück, in der rund 1000 dieser Klassiker entstanden, Sean Connery, Brigitte Bardot und Sophia Loren eine Riva besaßen. Manchmal lüftet der Eigner auch die Motorhaube und gibt den Blick auf den Chris-Craft-Innenborder frei. Seine Frau trägt zur Sonnenbrille natürlich ein stilechtes Kopftuch, wenn die beiden hinausfahren. Daneben gibt es moderne Interpretationen jener Runabouts zu sehen, die Gatsby 520 etwa, aus epoxidverleimtem Mahagoni gefertigt. Sie wird von einem 150-PS-Außenborder angetrieben, der für über 50 Knoten Speed gut ist.

Wer will, kann stilecht auf einem Rettungssegler nächtigen

Weniger mondän als in den umliegenden Hotels, dafür ausgesprochen kostengünstig und sehr stilecht – auf der R/S „Risør II“, einem Rettungssegler von 1914, auf dem man selbst in der Kapitänskajüte auf größeren Komfort verzichten muss. Entworfen hat sie der Norweger Colin Archer, also einer der bedeutendsten Schiffskonstrukteure, dessen Entwürfe für ihre besondere Seetüchtigkeit bekannt waren. Bis 1930 war die „Risør II“ im Rettungseinsatz, der Vorgänger sank 1913 im Sturm; Boot und Besatzung sind bis heute verschollen. Vor knapp 40 Jahren wurde der Rettungskreuzer, eine maritime Ikone des Landes, gerettet und liegt nun wieder in ihrem Heimathafen. Heute hat sie zehn Kojenplätze, die während des Festivals vermietet werden. Oben an Deck, das Musikern als Auftrittsort dient, hat man einen her vorragenden Blick auf die große Tribüne.

Schlendert man weiter, reihen sich noch mehr Colin Archers aneinander ; Seenotretter aus der Zeit vor dem ersten Weltkrieg, aber auch Lotsenboote. Abseits des Hafens finden sich in meist engen Gassen gelb blühende Rosen, rote Geranien und blaue Hortensien, Malven und sogar Lavendel. Norwegen Südküste wird nicht zu Unrecht manchmal Riviera genannt. Die tristen Geschosswohnungsbauten am Ortsrand sieht nur, wer die steile, dicht bewaldete Anhöhe hinauf zum Kalkfelsen Risørflekken wandert. Der Schifffahrt diente die weiß schimmernde Erhebung früher als Landmarke, schon vor rund 200 Jahren war in Risør deshalb eine große Segelflotte stationiert. Von hier oben kann man an den vorgelagerten Inseln vorbei mehr als zwanzig Seemeilen auf das Skagerrak hinaussehen.

Das Flair soll erhalten bleiben, Jazz und Folk liegen in der Luft

Anders als bei vielen anderen Klassiker-Events kostet der Besuch des Risør Trebåtfestival durchaus Eintritt. Dafür vermeiden die Organisatoren den Rummel eines Stadtfests: Hier riecht es nicht nach Bratwurst, es liegt kein Bierdunst in der Luft– und das nicht nur, weil Alkohol in Norwegen eh teuer ist. Das Flair soll erhalten bleiben. Statt Shantys ist Jazz und Folk aus Norwegen zu hören, in bester Hafenlage werden uralte Bootsmotoren wie Kunstwerke verkauft und allerlei Gewerke zeigen ihre Arbeit. Ein Schmied etwa, bei dem auch Kinder heißes Eisen auf dem Amboss platt klopfen und im kalten Wasser aushärten dürfen. Ausländische Besucher verirren sich recht selten hierher, und so richtig auf sie vorbereitet ist man auch nicht: Zwar sind die meiste Schiffe ordentlich erklärt und beschildert, aber eben nur in der Landessprache.

Auch deutsche Boote gehören zu den eher seltenen Gästen. Diesmal zeigt die „Filibuster“ die schwarz-rot-goldene Flagge, ein über 40 Jahre alter Eigenbau. Wilfried Stapelfeldt, der Konstrukteur, sieht aus wie das Klischee eines Seebären, mit Norwegerpulli am Abend und Prinz-Heinrich-Mütze. Um 21 Uhr, wenn die Flaggen alter Etikette entsprechend eingeholt werden, tutet er pünktlich ins Horn. „Im Ausland sollte man sich benehmen“, sagt er dann. Das gelingt, zugegeben, nicht allen gleichermaßen. Die junge Crew der 1939 für den America’s Cup gebauten 12mR-Yacht „Flica II“ schaffte es ins örtliche Fernsehen, nachdem sie nackt im Hafen badete, während ein paar Meter weiter die ehemalige Ministerpräsidentin Erna Solberg stand, die gekommen war, um das Festival zu eröffnen. Außerdem hatten sie für den Abend ihre eigene Musik mitgebracht und viele andere daran teilhaben lassen.

Ein Treffen unter Freunden mit der gleichen Leidenschaft

Die meisten Menschen hier regt das nicht wirklich auf, dafür sind sie zu gelassen; aber als lustige Anekdote machen die Badegäste schon die Runde. Auch bei Arvid und Christine Lie, die am Ende ihres Sommertörns nach Risør gekommen sind, zusammen mit Geir Petter Rosenlund und seiner Frau Eldri. Die beiden Paare, seit Langem befreundet, sind mit je einem Spjærøykrysser unterwegs. Diese Kreuzer heißen so, weil sie von der Insel Spjærøy kommen, die am Ostende des Oslofjords liegt. Die drei Brüder Sigurd, Wilhelm und Johan Olsen entwickelten diesen Bootstyp dort seit den 1930er-Jahren, inzwischen haben vier Generationen der Bootsbauerfamilie auf der Insel ihre Spuren hinterlassen. Spjærøykrysser sehen auf den ersten Blick oft unterschiedlich aus, haben aber trotz unterschiedlicher Auf- und Ausbauten alle ähnliche Rümpfe, die stets geklinkert sind.

Bei den Lies spielt sich alles Leben an Deck ab, auch gekocht wird hier oben. Unten wird der Raum vor allem von einem großen Bett ausgefüllt. Bei Rosenlunds gibt es unter Deck zwar keine Stehhöhe, dafür aber einen Ofen und eine Küche, in der alles aus Holz gebaut ist. Man sieht noch die dicken Spanten im Rumpf, ihr Spjærøykrysser ist sehr solide gebaut und kann stürmisches Wetter ab. Im Salon ist sogar Platz für zwei Betten, und wo sich früher die beiden Töchter des Paares das Vorschiff teilten, hat es sich jetzt der Hund gemütlich gemacht.

Das Trebåtfestival ist eines der größten Segel-Events der norwegischen Klassiker-Szene

Zwischendurch stehen Regatten auf dem Programm, die man mit fachkundigem norwegischen Kommentar auch vom Ufer aus verfolgen kann, wenn man die Gelegenheit nicht nutzen will, um das Feld der Teilnehmer selbst zu begleiten. Das Trebåtfestival ist nämlich ganz nebenbei auch eines der größten Segel-Events der norwegischen Klassiker-Szene. Neben den Meterklasse-Yachten sieht man hier oft die anderswo vollkommen unbekannten 12,5 KVM, drachenähnliche Kielboote, 1929 zunächst für den Nachwuchs entworfen. Die schmale Konstruktion besticht durch elegante Linien mit langen Überhängen und einem schmalen Yachtheck. Allein in Risør liegen gut 20 Schiffe dieser Klasse, Jugendboote sind sie heute eher selten.

Für die Motoryachten gibt es statt eines Rennens eine Parade, angeführt von der „Stjernen“ des Königs von Norwegen. Und wenn sie in der Hafenausfahrt einzeln in Kiellinie an dem auf der Pier versammelten Publikum vorbeidefilieren, lassen alle gerne mal hören, was ihre Motoren so hergeben. Auch Terje Spydevold ist dann dabei, mit seinem 1951 in Norwegen gebauten, 35 Fuß langen Plattgatter. Als er die „Svanen“ 2015 übernahm, war von dem einstigen Glanz kaum mehr etwas geblieben. „Das Deck: Mist. Der Rumpf: Mist. Der Kiel: Mist“, sagt der Eigner, der aus dem Osten des Landes kommt. „Es war beinahe ein Wrack.“ 2500 Stunden Arbeit hat er dann in die Restaurierung investiert, später bekam er sogar zwei Auszeichnungen dafür. 200 PS hat sein Schiff, rund 20 Knoten sind drin. Einst entstand das Schiff zu Repräsentationszwecken.

Und doch ist das Festival hier kein Upper-Class-Event, auf dem Besserverdienende ihren Reichtum zur Schau tragen. Es ist eher ein Treffen unter Freunden, die alle dieselbe Leidenschaft teilen. Viele kennen sich, waren in früheren Jahren schon mal da, freuen sich aber auch, neue Leute zu treffen und an Bord einzuladen. Es ist eine ehrfürchtige Liebe, die sie hier pflegen. „Wir dürfen Zeit mit diesen Booten verbringen“, sagt Herr Antonsen.

Trebåtfestival in Risør : 3.–5. August 2023


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