RevierFrankreich - ein Wochenende in Dünkirchen

Christian Tiedt

 · 03.11.2023

Standbild auf der Place Jean Bart mit dem Turm von Saint-Éloi dahinter
Foto: Christian Tiedt
Dünkirchen liegt, wo sich Nordsee und Ärmelkanal treffen. Die Nähe zu England hat in dieser Hafenstadt im Norden Frankreichs schon immer die Geschicke und die Geschichte mitbestimmt. Ein außergewöhnliches Etappenziel auf jedem Törn, der in diese Ecke Europas führt. Unser Landgang an einem Wochenende in Dünkirchen wird zur Spurensuche: un week-end à Dunkerque.

Die Stadt kann für sich in Anspruch nehmen, die nördlichste Frankreichs sein. Sie liegt auf einem schmalen Küstenstreifen zwischen dem Pas de Calais, an dem der Ärmelkanal beginnt, und dem belgischen Flandern – von dem er sich optisch kaum unterscheidet. Flach und feucht, gesäumt von einem breiten Streifen weißen Sandes, ist es das einzige Stück Nordsee dieses an Meer so reichen Landes. Rund dreißig Kilometer sind es, um genau zu sein.

Natürlich ist Dünkirchen – Dunkerque im Original und Duunkerke im lokalen französisch-flämischen Dialekt – ein Seebad. So viel Strand will schließlich genutzt werden.

Begrenzt von einem grasbewachsenen Dünengürtel reicht er vom Stadtteil Malo-les-Bains über die kleinen Gemeinden Leffrinckouke, Zuydcoote und Bray Dunes bis zur belgischen Grenze. Es ist die Sommerfrische der herben Art, die man hier unten findet, wo die Nordsee dem Atlantik die Hand ausstreckt. Selbst an heißen Tagen im August kann hier ein Wind aufspringen, der die Sonnenschirme schüttelt und den feinen Flugsand bis über die Promenade treibt, wo er die Unbedarften überrascht, frisch eingecremt und mit der Eistüte in der Hand.

Dabei weist wenig darauf hin, welche tragische Rolle diesen Ort inmitten der Geschichte seines Landes verankert hat – selbst wenn er an seinem äußersten Rand liegt.

Lange war Dünkirchen einer der wichtigsten Häfen Frankreichs, in Krieg und Frieden. So gehört Jean Bart zu den Söhnen der Stadt, Freibeuter und Volksheld, der in der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts mit Engländern und Holländern die Klingen kreuzte. Ein ums andere Mal ging er als Sieger hervor. Stolz reckt sein Standbild den Degen in die Höhe – auf dem nach ihm benannten Platz und mit festem Blick auf den Glockenturm der Kathedrale Saint-Éloi, wo hoch oben die Trikolore flattert. So weit, so strahlend.

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Doch was über Jahrhunderte aufgebaut worden war, versank in kürzester Zeit in Schutt und Asche: Im Frühsommer 1940 kam Hitlers Blitzkrieg nach Dünkirchen. Kaum zwei Wochen dauerte es, bis die alliierten Truppen in Nordfrankreich abgeschnitten wurden. Sie zogen sich an die Kanalküste zurück, nach Dünkirchen, während die deutsche Wehrmacht die Schlinge um die Stadt ab Ende Mai immer enger zog. In höchster Not starteten die Briten Operation Dynamo – die Evakuierung der eingeschlossenen Truppen in das nur 35 Seemeilen entfernte England.

Trotz dauernder Angriffe und großer Opfer gelang das „Wunder von Dünkirchen“, 340 000 Soldaten konnten in beispielloser Aktion gerettet werden, bevor die Stadt am 4. Juni kapitulierte.

Bei Kriegsende war die Zerstörung so vollständig, die Straßen voller Trümmer, die Hafenbecken voller Wracks, dass man eine Auferstehung für unmöglich hielt. Doch das Unmögliche geschah: Heute ist die Stadt nach Marseille und Le Havre nicht nur erneut der drittgrößte Hafen Frankreichs – sondern längst auch wieder das beliebte Ausflugs- und Urlaubsziel von einst. Envie d’un week-end à Dunkerque? Lust auf ein Wochenende in Dünkirchen? Mais oui!

Arrivée: Die Ankunft auf eigenem Kiel

Die Hafenanlagen Dünkirchens erstrecken sich entlang der Küste über 17 Kilometer, angefangen mit dem Port ouest (Westhafen) und den Container- und Gasterminals von Loon-Plage westlich der Stadt (auch die Fähre ins englische Dover legt hier ab) über den Port central für Öl- und Massengut bei Mardyck bis zum Port est (Osthafen) am Stadtzentrum. Verbunden sind alle Teile binnenseitig der Dünen über Kanäle und Schleusen.

Sportboote steuern über die östliche Einfahrt den Port historique (historischer Hafen) an, gekennzeichnet durch das Molenfeuer Saint-Pol einlaufend an Steuerbord. An Backbord beginnt die Ostmole, die 1940 während der Operation Dynamo eine wichtige Rolle spielte: Nur noch hier konnten damals größere Schiffe anlegen, um Truppen direkt an Bord zu nehmen.

Weitere Landmarken sind der Leuchtturm von Risban an Steuerbord voraus (mit einer Höhe von 63 Metern eines der Wahrzeichen der Stadt) und die Hallen der Damen-Werft davor. Gäste ohne festen Liegeplatz melden sich auf UKW-Kanal 73 bei „Dunkerque VTS“.

Die Marinas: viel Platz für Gäste

Gleich drei Steganlagen bietet die Dunkerque Marina. Der Weg ist zunächst gleich: Er folgt dem Hafenkanal nach Südosten. Etwas südlich des Leuchtturms wartet bereits die Grand Large Marina an Backbord. Eine gute Option für alle, die nicht schleusen oder auf Brückenöffnungen warten wollen. Der Tidenhub spielt dank der Schwimmstege keine Rolle. Zudem befindet sich die Wassertankstelle Dünkirchens hier und der Strand von Malo-les-Bains ist gleich um die Ecke.

Direkt im Stadtzentrum liegt man allerdings nur, wenn man die Steganlagen im Bassin du Commerce oder im Bassin de la Marine wählt. Die Zufahrt erfolgt über die Schleuse Trystram und vier bewegliche Brücken, die gekoppelt viermal pro Tag zur Einfahrt und dreimal zur Ausfahrt geöffnet werden. Anmeldung für Schleuse und Brücken: UKW 73. Liegeplätze: UKW 9.

Geschichte zur See im Hafenmuseum

Die maritime Vergangenheit von Dünkirchen reicht weit zurück; eine französische Geschichte wurde es erst 1662. Denn in diesem Jahr kaufte Ludwig XIV. die Stadt von der englischen Krone. Der Sonnenkönig hatte ein gutes Gespür gehabt, denn schnell wuchs der Hafen – und mit ihm die Bedeutung Dünkirchens.

Die spannenden Jahrhunderte, die folgten, erzählt das Musée Maritime et Portuaire nach, mit einer modernen, zeitgemäß gestalteten Ausstellung. Von Jean Bart, der sich vom Freibeuter zum treuen Diener seines Königs entwickelte, über die Heringsfänger, die bis nach Island fuhren, bis zum weltweiten Handelsnetz, das die ansässigen Reeder im 19. Jahrhundert spannten, und schließlich – nach der beinahe endgültigen Zäsur des Zweiten Weltkriegs – zum erfolgreichen Wiederaufstieg in die Liga der großen Seehäfen Europas.

Le Centre, das Stadtzentrum von Dünkirchen

Vom historischen Kern der Stadt war bei Kriegsende kaum etwas übrig geblieben. Erst der energische Wiederaufbau in den folgenden zwei Jahrzehnten gab Dünkirchen ein Gesicht zurück – auch wenn es ein anderes war. Die beiden wichtigsten historischen Landmarken allerdings wurden nach altem Bild wiederhergestellt: das dreiflüglige Rathaus an der Place Charles Valentin, 1901 im neoflämischen Stil errichtet, und die spätgotische Hallenkirche Saint-Éloi mit ihrem frei stehenden Glockenturm aus Backstein.

Dieser sogenannte Belfried, bereits 1233 als Wach- und Leuchtturm fertiggestellt, ist heute Weltkulturerbe. Mit dem Fahrstuhl gelangt man zum Glockenstuhl, über dem sich die Aussichtsplattform mit grandiosem Rundumblick über Stadt und Hafen befindet. Versorgen kann man sich in den beiden Einkaufszentren Centre Marin und Pôle Marine direkt am Bassin de la Marine.

Operation Dynamo: das “Wunder” erleben

Die Kriegsereignisse im Frühsommer 1940 haben Spuren hinterlassen, nicht nur im Gedächtnis Dünkirchens, sondern auch in der realen Topografie der Stadt. Noch immer liegen Wracks vor der Küste, finden sich Einschusslöcher in Fassaden. Jedes nach 1945 errichtete Gebäude füllt eine Lücke der Zerstörung.

Das „Wunder von Dünkirchen“ spielte sich auf sehr begrenztem Raum ab: Vom 26. Mai bis zum 3. Juni gelang die Evakuierung von nahezu 340 000 alliierten Soldaten, die meisten Briten, aber auch Franzosen und Belgier. Eingesetzt wurde alles, was schwimmen konnte, 850 Schiffe aller Größen, vom Zerstörer über Fähren bis hin zu Trawlern und kleinen Privatyachten. Doch die Verluste waren groß im Bombenhagel der deutschen Sturzkampfbomber. An die dramatischen neun Tage erinnert das Musée Dunkerque 1940 Opération Dynamo., untergebracht in einer alten Festungsanlage.

Zuerst die Kunst, dann der Strand

Auf dem Gelände einer ehemaligen Großwerft (von der nur die Hellinge geblieben sind) ist das jüngste Quartier Dünkirchens entstanden. Ganz im Norden der alten Festungsinsel, umgeben von bewachsenen Schanzen und Wasser, findet man hier nicht nur den Port de Grand Large und das Musée Dunkerque 1940, sondern gleich zwei außergewöhnliche Museen zeitgenössischer Kunst: das FRAC Grand Large Hauts-de-France, dessen gläserne Hallen als industrielle Hommage gedacht sind, sowie das LAAC (Lieu d’Art et Action Contemporaine), untergebracht mindestens ebenso spektakulär, inmitten des eigenen Skulpturengartens. Die Fußgängerbrücke du Grand Large führt schließlich hinüber zur Strandpromenade des Stadtteils Malo-les-Bains, zu den Dünen und zum Strand.

Week-end à Zuydcoote: weiter an der Küste

Malo-les-Bains mit seiner Promenade, den monumentalen Betonfassaden, aber auch mit Kursaal und Casino ist der Innbegriff des Seebades. Östlich wird es ruhiger – und grüner: Leffrinckouke, Zuydcoote und Bray Dunes liegen in breitem Dünengürtel, auf belgischer Seite der Grenze lädt das Natuurreservat De Westhoek zu Spaziergängen ein.

Hier schließt sich der Kreis. Nicht nur im Hinblick auf die städtische Ausdehnung Dünkirchens, sondern auch auf seine Geschichte: An historischem Schauplatz entstand hier 1964 ein Film, der die neun Tage im Frühsommer 1940 zum Thema hat. Basierend auf einem Roman von Robert Merle führte Henri Verneuil Regie. In der Hauptrolle: Jean-Paul Belmondo als Angehöriger einer geschlagenen Armee. Es ist jedoch keine Heldengeschichte, eher handelt der Film von der Liebe. Sein Titel: „Week-end à Zuydcoote“.


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