RevierporträtKanalinseln – Die fünf Freunde

Jan Jepsen

 · 12.04.2023

Jerseys älteste Burg Mont Orgueil Castle (um 1200 gebaut) mit dem Ort Gorey zu Füßen – eine beinahe mediterrane Postkartenidylle. Das Foto ist bei Hochwasser aufgenommen, bei Niedrigwasser fällt der Hafen vollständig trocken
Foto: Jan Jepsen

Jersey, Guernsey, Sark, Alderney und Herm – ein Stück Großbritannien vor der Küste Frankreichs: die Kanalinseln

Die Inselgruppe liegt im südwestlichen Teil des Ärmelkanals – dicht vor der französischen Küste in der Bucht von St. Malo. Der Schriftsteller Victor Hugo bezeichnete sie als „ins Meer gestürzte Stücke Frankreichs, die England aufgesammelt hat“. Sie gehören politisch nicht zum Vereinigten Königreich. Doch trotz der wesentlich größeren geografischen Nähe zu Frankreich sind die Inseln durch und durch britisch, was das kulturelle Bild betrifft: Es gibt Pubs, fish and chips und Deckchairs.

Aus britischer Sicht sind Jersey, Guernsey, Alderney, Sark und Herm Ausland, und doch gehören sie zur Krone. Dieser eigentümliche Zustand datiert aus dem Jahr 1204. König Johann verlor damals fast allen Festlandbesitz und handelte sich den Beinamen „ohne Land“ ein. Seine Vasallen durften zwischen dem normannischen Herzogtum und der englischen Krone wählen. Sie entschieden sich gegen Frankreich und erhielten dafür Privilegien in Form eigener Gesetzgebung und Steuerhoheit, die sich bis in die Gegenwart erhalten hat. Heute sind nicht mehr Fischfang, Freibeuterei und Wollverarbeitung die Haupteinkommensquellen, sondern weit vor Landwirtschaft und Tourismus gelten die Inseln als Offshore-Finanzplatz für Investoren aus Großbritannien.

Geologisch sind die Kanalinseln Gipfelreste, die erst mit dem Anstieg des Mee­res­spie­gels nach der letzten Eiszeit zu Inseln wurden. Jersey und Sark bestehen aus flachen Plateaus mit hohen Küsten, während die weiter nördlich gelegenen Guernsey, Alderney und Herm von Süden nach Norden abfallen und im Norden flache Strände aufweisen. Jede der Inseln hat ihren ganz eigenen Charme.

 | Karte: Christian Tiedt
| Karte: Christian Tiedt

1. Jersey

49°13' N; 002°7'

Es ist schwer, nicht über die Insel zu schwärmen. Es gibt goldene Sandstrände für jeden Geschmack. Surfer machen sich auf den Weg zur Atlantikbrandung auf dem vier Meilen langen St. Ouen’s. Familien tummeln sich am St. Brelade’s, einem riesigen Sandstreifen, der von Hotels, Cafés und „Eimer und Schippchen“-Läden gesäumt wird. Wer gern spazieren geht, kann das entlang der wilden Klippen an der Nordküste tun. Die Insel bietet eine Reihe von erstklassigen Attrak­tionen. Ganz oben steht der Jersey Zoo, der Tiere vor dem Aussterben bewahren soll (und daher viele anspricht, die Zoos normalerweise nicht gutheißen). Des Weiteren lohnen die Jersey War Tunnels. Eine deutsche Hinterlassenschaft aus der Besatzungszeit im Zweiten Weltkrieg, in der sich unter anderem ein unterirdisches Krankenhaus befindet. Lohnenswert ist auch ein Besuch im Elizabeth Castle, besonders bei Flut, wenn man mit der amphibischen „Pfützenente“ anreist (ein umgebauter alter Bedford-Lastwagen).

2. Guernsey

49°27' N; 002°35'

Guernsey bietet den mit Abstand schönsten Hafen der fünf Kanalinseln: St. Peter Port, allerdings mit einem Tidenhub von etwa zehn Metern. Steinerne Barren in den Einfahrten beider Hafenbecken sorgen dafür, dass die Marinas nicht trockenfallen und die Wassertiefe innen selbst bei Niedrigwasser noch zwei Meter beträgt. Einlaufen kann man nur um ein bestimmtes Flutfenster (etwa 2 ½ Stunden vor und nach Hochwasser). Wer bei Niedrigwasser kommt, geht an einem Schwimmponton im Vorbecken auf Standby und behält die Ampel der Victoria Marina im Auge. Das Hafenpersonal hilft beim An- und Ablegen. Die Stadt bietet zwei der Hauptattraktionen der Insel: das Castle Cornet – eine 800 Jahre alte Festung, die den Hafen bewacht, und das Hauteville House, das von seinem einstigen Besitzer Victor Hugo aufwendig und exzen­trisch gestaltet wurde.

Im Landesinneren fühlt sich ein Großteil von Guernsey etwas klaustrophobisch an, mit zu vielen Gewächshäusern (Gartenbau ist ein großes Geschäft) und viel Verkehr. Die Anzahl der offenen Sportwagen ist amüsant, da das Tempolimit auf den engen Landstraßen bei 30 km/h liegt. Fußgänger, Radfahrer und Pferde sind da oft fast schneller. Guernseys wahre Anziehungskraft geht von seiner Küste aus: Im Westen verläuft eine Reihe markanter Sand- und Felsbuchten: Vazon, bei Surfern beliebt, oder Pembroke und L’Ancresse. Die südöstliche Ecke ist Guernsey in seiner schönsten Form. Bewaldete Täler führen zu idyllischen Sandbuchten wie Petit Bôt, und vom Küstenwanderweg, der den hohen Klippen um die Halbinseln Icart und Jerbourg folgt, geht es mit atemberaubenden Ausblicken entlang der Ostküste bis nach St. Peter Port.

3. Sark

49°26' N; 002°21'

Sich nach Sark zu begeben ist in vielerlei Hinsicht wie eine Reise in die Vergangenheit. Traktoren sind der einzig zulässige motorisierte Transport. Besucher können sich zu Fuß, mit Leihfahrrädern oder mit dem Pferdewagen fortbewegen. Sark besteht aus den zwei hohen Felseninseln Great und Little Sark, die nur durch einen kurzen, bis zu 100 Meter hohen Grat miteinander verbunden sind. Die Insel besteht aus einem Hochplateau, das von sehr steilen Klippen umgeben ist. Windige Wege kreuzen sich mit wilden Blumen und Wiesen und führen durch subtropische Wälder zur Küste. Eine Wanderung lässt sich mit häufigen Boxenstopps in den vielen Teestuben und den schönen Gärten von La Seigneurie verbinden

4. Alderney

49°43' N; 002°12'

Diese Insel ist ein unkonventioneller Außenposten – wenn man Glück hat, kann man am Wochenende mit einer Londoner U-Bahn fahren, die von einer alten Diesellok betrieben wird. Trotz eines Flughafens und Autos auf der Insel fühlt sich Alderney als die entlegenste Kanal­insel an. Im Gegensatz zu Sark und Herm zieht es nur wenige Tagesausflügler hierhin. Wer mit dem eigenen Boot kommt, wird von einer wilden Küste mit viktorianischen und deutschen Befestigungsanlagen in Empfang genommen. St. Anne ist eine hübsche kleine Stadt mit pastellfarbenen georgianischen Häusern. Die meisten Besucher kommen zum Wandern und wegen der Tierwelt hierher. Es gibt mehr als 50 Meilen Fußwege, und die Vielfalt der wilden Blumen und Vögel ist außergewöhnlich. Der Alderney Wildlife Trust verfügt über ein Informationszentrum in St. Anne und bietet geführte Wanderungen an. Lohnt sich.

5. Herm

49°28' N; 002°27'

Herm ist die kleinste bewohnte Insel und lässt sich in zwei Stunden zu Fuß umrunden. Die Insel wird seit mehr als 50 Jahren von derselben Pächterfamilie verwaltet, mit dem ausdrücklichen Ziel, die Schönheit und Ruhe des Ortes und das Vergnügen der Besucher zu maximieren. Es können weder Autos noch Fahrräder gemietet werden. Wegweiser zeigen die Gehzeiten auf die Minute genau an. Im Freien darf nicht Radio gehört werden. Die Fußwege führen zu Klippen, auf denen sich das Herrenhaus und die Inselschule befinden (mit derzeit nur acht Schülern). Shell Beach ist ein 500 Meter langer Strand, der von niedrigen Dünen mit Streifen (meist zerkleinerter) rosafarbener und goldener Muscheln gesäumt ist. Es gibt dort ein kleines Café. Die beiden Pubs und drei Souvenirläden befinden sich beim Fähranleger.


Service

Nautische Informationen

Überblick Da sie von Untiefen umgeben sind, kann man die Kanalinseln getrost als anspruchsvolles Revier bezeichnen. Der Tidenhub und die damit einhergehenden Strömungen gehören zu den stärksten der Welt. Bei heftigerer Wind-gegen-Strom-Situation gilt es, gewisse Passagen zwischen den Inseln zu meiden (will man sich nicht im Whirlpool wiederfinden). Es gibt drei goldene Regeln, die das britische Küstenhandbuch empfiehlt: „Kenne den Wetterbericht, hab die Tide im Blick, wisse zu jeder Zeit die genaue Position.“

Navigation Obwohl die Inseln als südwestlichster Teil Großbritanniens gelten, unterliegen sie trotz Golf­strom­ein­fluss oft dem typischen Mix des britischen Wetters (four seasons a day). West bis Nordwest ist die häufigste Wind­rich­tung. Ein Tief auf dem Atlantik kann für äußerst ungemütliche Bedingungen sorgen. Einhergehend mit höherem Schwell, der die meisten Ankerplätze auf den kleineren Inseln unbrauchbar macht. Generell gilt bei den Passagen: Eine Wind-gegen-Welle-Situation sollte besser vermieden werden. An manchen Flachstellen kommt es zu unangenehmen Overfalls. Ansonsten ist das Revier sehr gut betonnt, was für eine gute Orientierung sorgt. Und genauso wichtig vor jedem Auslaufen: der Blick in den Tidenkalender, sonst wird die geplante Etappe wegen der starken Gezeitenströme zur anstrengenden Angelegenheit.

Wetter/Klima

 | Abbildung: BOOTE
| Abbildung: BOOTE

Literatur

Küstenhandbuch „Channel Islands, Cherbourg Peninsula and North Brittany“ – ISBN 978-1-84623-943-4. Für 56,80 Euro. Auf Englisch von IMRAY bei Hansenautic erhältlich. www.hansenautic.de


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