Kontakt! Im tiefen Cockpit seines Einsitzers betätigt der Fahrer den Schalter der Kraftstoffpumpe. Er lässt den Motor einige Sekunden lang mit dem Anlasser laufen, jedoch noch ohne zu zünden. Mit dem Fuß pumpt er das Gaspedal, bis die Vergaser gefüllt sind. Dann stellt er den Magnetzünder auf Position drei, drückt erneut den Starterknopf. Diesmal löst im Innersten jedes einzelnen der zwölf Zylinder ein kontrolliertes Inferno aus. Der Motor ist zum Leben erwacht. Schnell zuckt der Drehzahlmesser auf 1300 Umdrehungen pro Minute. Langsam erwärmt sich das Kühlwasser, während der Öldruck allmählich wieder von acht auf vier Kilogramm pro Quadratzentimeter absinkt. Der Sound ist fantastisch. Wer das Ohr dafür besitzt, kann alle beweglichen Teile des historischen V-12-Triebwerks wie bei einem Uhrwerk schnurren hören.
Der Pilot denkt für den Bruchteil einer Sekunde an Ascari und Villoresi, die 1953 beinahe die legendären 24 Stunden von Le Mans gewonnen hätten – wenn damals diese dumme Kupplung nicht gewesen wäre. Inzwischen ist die Wassertemperatur auf 60 Grad gestiegen. Der Pilot stellt den Motor ab, damit die Wärme verteilt wird und auf natürliche Weise weiter ansteigt. Drei Minuten später zündet er zum dritten Mal. Er kuppelt die Propellerwelle ein und und lässt das Pedal langsam kommen. Das rote Hydroplane beginnt seine Spur von weißem Schaum über den See zu ziehen. Es wird immer schneller und hebt sich schließlich scheinbar schwerelos auf die schmalen Rumpfkanten.
Bei dieser Geschwindigkeit ist für die meisten gewöhnlichen Boote bereits Schluss. Hier hat die Party gerade erst begonnen. Gleich daneben wird der Autor am Steuer eines jetgetriebenen RIB, das von Fabio Buzzi für die Spezialeinheiten der italienischen Marine entworfen wurde, versuchen, mit dem rasenden Feuerball mitzuhalten, der über den Comer See jagt. Der Fotograf am Bug des Begleitboots steht nach vorn gebückt wie in Angriffsposition, die Kamera in einer Hand.
Im Gegensatz zu den beiden anderen noch existierenden klassischen Rennbooten mit Ferrari-Antrieb ist dieses das Einzige, das mit einem Motor ausgestattet ist, der direkt aus einem renommierten Straßenrennwagen stammt. Die anderen beiden haben Motoren, die ursprünglich für den Einbau in Rennboote vorgesehen waren. Die unglaubliche Geschichte beginnt 1953 bei den 24 Stunden von Le Mans. Ferrari ist damals noch ein recht junges Unternehmen. Mit großem Ehrgeiz arbeitet es daran, sein Emblem mit dem steigenden Pferd auf den Rennstrecken bekannt und so zu einer Ikone zu machen.
Es ist das Jahr der ersten Sportwagen-Weltmeisterschaft. Firmengründer Enzo Ferrari, Il Commendatore genannt, bringt ein Trio von 340-MM-Coupés an den Start, um einen ersten großen – und kommerziell vielversprechenden – internationalen Titel zu erringen. Bei Ferrari basierte die Bezeichnung der älteren Modelle auf dem Hubraum der Zylinder. Daher hatte der 340 MM eigentlich einen 4,1-Liter-Motor, aber der Wagen mit der Fahrgestellnummer 0318AM erhielt einen 375-F1 mit 4,4 Litern Hubraum. Der war direkt von Aurelio Lampredis V12-Formel-1-Siegerdesign der 1950er-Jahre abgeleitet. Ferrari-Historiker wissen zu berichten, dass diese spezielle Einheit 1952 für die 500 Meilen von Indianapolis angepasst worden war. Bestimmte Teile wurden dabei aus Stahl gefräst anstatt geschmiedet.
So wurde kurz vor dem Rennen in Le Mans 1953 der prestigeträchtige Ferrari 375 MM geboren. Das erste Exemplar des Modells wurde den Assen Alberto Ascari und Luigi Villoresi anvertraut. Die beiden dominierten den Wettkampf. Sie lagen über 17 der 24 Stunden vorn und schlugen sogar den Rundenrekord mit 181,5 Stundenkilometern. Dennoch mussten sie nach 19 Stunden aufgeben. Die Kupplung fiel nach 229 der insgesamt 304 Runden aus. Wahrscheinlich war sie dem erhöhten Drehmoment des größeren Motors nicht gewachsen. Von den beiden anderen Ferrari beendete nur das 340-MM-Chassis 0322AM das Rennen auf dem 5. Platz, gefahren von den Brüdern Paolo und Gianni Marzotto. Der 0320AM mit Hawthorn und Farina am Steuer wurde nach zwölf Stunden disqualifiziert.
Nach Le Mans gingen die Ferrari zurück in die Werkstatt von Pininfarina, um für den Rest der Saison modifiziert zu werden. Weitere Auftritte folgten. Zunächst in Belgien auf dem Circuit von Spa, dann bei der ersten Ausgabe der 1000 Kilometer auf dem Nürburgring. Schließlich im Badeort Pescara an der italienischen Adria.
Das letzte Rennen, bei dem die Berlinetta 0318AM die Startlinie überquerte, war in Mexiko. Zu dieser Zeit, als Ferrari noch nicht in Reichweite des Weltmeistertitels war, fuhren die drei Schwesterautos unter der Privatflagge der Scuderia Guastalla von Franco Cornacchia. So ging es in die Wüste Mittelamerikas zur beeindruckenden Carrera Panamericana. Doch das Rennen endete in der Katastrophe. Bei voller Geschwindigkeit platzte ein Reifen. Der Wagen kam von der Piste ab und überschlug sich. Die beiden Fahrer kamen ums Leben, der Ferrari wurde beinahe vollkommen zerstört. Nur der Motor bliebt bei dem Crash nahezu unversehrt. Er kehrte nach Italien zurück und wurde eingelagert.
Dort wurde 1957 ein gewisser Guido Monzino auf ihn aufmerksam, der einen Motor für ein neues 800-Kilogramm-Rennboot benötigte, das er bei San Marco in Mailand bauen ließ. Die renommierte Werft gehörte Oscar Scarpa, seines Zeichens selbst Champion mit unzähligen Siegen und mehreren Geschwindigkeitsrekorden auf seinem Konto. Der Rumpf trug die Baunummer 069. Der kostbare V12 selbst wurde vor dem Einbau noch einmal vollständig von der Ferrari Corsa-Abteilung überprüft.
Guido Monzino war in der italienischen Öffentlichkeit nicht nur durch seine große Kette von Standa-Läden bekannt, sondern vor allem durch seinen Expeditionsdrang. Der führte ihn in die entlegensten Winkel der Welt und machte ihn durch die regelmäßige Berichterstattung der Medien beinahe zu einem Nationalhelden. Seine selbst finanzierten Abenteuer reichten vom Himalaja bis zu den Anden und nicht zuletzt zum Nordpol. Zweifellos liebte Monzino dramatische Landschaften und das Gefühl außergewöhnlicher Momente, die ihm sein Vermögen ermöglichte.
Sein neues Rennboot war ein sogenannter Dreipunkter. Der war typisch für die große Ära der Motorbootrennen, die von den Fünfzigerjahren bis hinein in die Siebziger des 20. Jahrhunderts dauerte. Der Rumpf war durch ein breites Vorschiff mit zwei außen liegenden Schwimmern gekennzeichnet. Währenddessen endete das Heck mit einem schmalen Spiegel, der die Propeller- und Ruderhalterungen stützte. Bei voller Geschwindigkeit hob sich das Boot so weit an, dass es nur noch an drei Punkten – den Unterkanten der beiden Schwimmer und dem Propeller – mit der Wasseroberfläche in Kontakt war. Daher der Name. Die Reibung durch den Wasserwiderstand wird so auf ein Minimum reduziert.
Da das Kühlwasser für den Motor bei Volllast auf eine bestimmte Temperatur vorgewärmt sein muss, wird es zunächst in einem 20 Liter fassenden Zwischentank gesammelt. Dort erhitzt es ein Wärmetauscher. Der Fahrer muss also sichergehen, eine ausreichende Kühlwassertemperatur erreicht zu haben, bevor er das Treibwerk in einen Drehzahlbereich zwischen 5000 und 6000 Umdrehungen pro Minute treibt. Für eine perfekte Performance ist es außerdem von Vorteil, wenn die Wasseroberfläche nicht völlig glatt ist, sondern von kleinen Wellen gekräuselt wird. Sie können ab einer Geschwindigkeit von etwa 80 Stundenkilometern dafür sorgen, dass sich der Rumpf sozusagen vom Sog des Wassers befreit und, einem startenden Amphibienflugzeug ähnlich, noch schneller wird. Aus diesem Grund drehte Monzino seine Runden am liebsten in den frühen Morgenstunden, da solche Bedingungen dann am häufigsten anzutreffen waren.
Wenn er nicht in der Welt umherreiste, arbeitete der Abenteurer von seinem Büro in Mailand aus. Doch um der Großstadt auch dann zu entfliehen und das Leben auch in sportlicher Hinsicht zu genießen, wohnte er so oft wie möglich in seiner Villa am Comer See. Die Villa gehörte zu den eindrucksvollsten dort. Wenn das Wetter es erlaubte, ließ er seinen Ferrari-Dreipunkter von einer nahe gelegenen Werft an den Privatsteg seines Anwesens bringen. Dann konnten die zahlreichen Bediensteten zusehen, wie der Hausherr am Morgen tadellos gekleidet in das Cockpit seines roten Renners stieg und vom fantastischen Dröhnen des Zwölfzylinders begleitet Kurs auf Como nahm. Nach einer knappen Viertelstunde legte er am Yachtclub an. Dort vertäute er sein Boot und stieg in Ferrari Nummer zwei, der bereits auf dem Parkplatz an Land darauf wartete, ihn nach Mailand zu bringen.
Monzino war allerdings kein Fahrer, der auf dem Wasser gern im Kreis fuhr. Er nahm daher nicht an klassischen Rennen teil, die Runde für Runde immer wieder um die gleichen Bojen führten. Die einzige Ausnahme, die ihn anzog, war eine abenteuerliche Veranstaltung ganz in seinem Sinne: der Raid Pavia–Venezia. Über 450 Kilometer folgt dessen einmalige Strecke dem wilden Lauf des Flusses Po abwärts, gespickt mit Hindernissen wie Sandbänken, nicht einzusehenden Kurven, Schleusen und Brücken – alles bei höchsten Drehzahlen. Eine Rallye auf dem Wasser. Seine beste Platzierung mit seinem schwimmenden Ferrari erreichte Monzino 1958 mit einem achtbaren dritten Platz nach einer Fahrt von vier Stunden und 36 Minuten bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 88,26 Stundenkilometern.
Auch ein Jahrzehnt später, in der zweiten Hälfte der Sechziger, war Monzinos Leidenschaft für Ferrari ungebrochen, und er erwarb regelmäßig die exklusivsten Neuheiten aus Maranello, darunter den 400 Superamerica oder den 250 GT California. Nur die wilde Jagd auf dem Wasser verlor über die Jahre ihre Faszination für ihn. Und so geriet sein an Land liegendes Boot immer mehr in Vergessenheit – bis ein junger mailänder Kunststudent, der ebenfalls am Comer See lebte, auf das rote Kunstwerk aufmerksam wurde, das inzwischen zwar renovierungsbedürftig war, von seiner Ästhetik jedoch nichts verloren hatte.
Es war im Mai 1969, und Italien erlebte seit dem Vorjahr dieselben politischen und gesellschaftlichen Ereignisse wie die USA und viele andere Staaten Europas. Monzino war daher zunächst höchst misstrauisch, als ihn dieser Student bat, ihm seine San Marco Ferrari zu verkaufen. Doch Dody Jost, so der Name des jungen Mannes, entpuppte sich keineswegs als linker Agitator, sondern als Enthusiast mit Blick für das Außergewöhnliche.
Man wurde sich schließlich einig. Jost, dem auch das Nautilus Hotel am See gehörte, erwarb den Dreipunkter und konservierte ihn zunächst einige Jahre lang, bevor mit der vollständigen Restaurierung begonnen werden konnte. Der Rumpf ging dafür an die renommierte Luccini-Werft, während der Motor der Werkstatt von Diena & Silingardi Sport anvertraut wurde, Spezialisten für die seltensten Ferrari. Stück für Stück gewannen alle Elemente des Klassikers ihre Stärke und Schönheit zurück, doch erforderte der Prozess jahrelange Anstrengungen, bevor die ursprüngliche Perfektion erreicht wurde.
In altem Glanz wurde die San Marco Ferrari dann im Museo Casa Natale Enzo Ferrari in Modena ausgestellt und faszinierte nicht nur die Öffentlichkeit, sondern auch die Firmenhistoriker von Maranello selbst. Lange hatten sie der Präsenz Ferraris auf dem Wasser wenig Beachtung geschenkt. 2012 unternahm die Classiche-Abteilung, die für die Authentifizierung der herausragendsten Modelle verantwortlich ist, die Reise, um das Boot zu vermessen. Nach einer eingehenden Prüfung erhielt der Motor schließlich seine offizielle Anerkennung als historisches Original.
Sammler-Ferrari mit außergewöhnlichem Stammbaum können bei Auktionen hohe Preise erzielen. So rief eine „jüngere Schwester“ des 0318AM, die nach dem Rennen von Le Mans 1953 mit einem 375-Motor ausgestattet war, im Mai 2013 fast zehn Millionen Euro auf. Aber selbst solche Summen nehmen dem einzigartigen Dreipunkter mit dem Pferde-Emblem, der vor mehr als fünfzig Jahren fast heimlich aus erster Hand gekauft wurde, nichts von seiner Gelassenheit. Er hält den Geist Monzinos auf dem Comer See noch immer am Leben. Das Herz schlägt.
Ferrari 375 MM (Mille Miglia) Berlinetta, Karosserie: Pininfarina (Nummer 0318AM), Exemplare: 23 (ab 1953).
375 F1 V12 von Aurelio Lampredi für die Formel 1 entwickelt, wassergekühlt, Zylinderbankwinkel: 60°, Hubraum: 4,5 Liter, Getriebe: 4-Gang (Schaltung), Leistung: 340 PS bei 7000 Umdrehungen pro Minute, Höchstgeschwindigkeit: 289 Kilometer pro Stunde.
San Marco Ferrari, Werft: Cantiere Navale San Marco, Mailand (Rumpfnummer 69), Baujahr: 1957, Typ: Dreipunkt-Rennboot (Hydroplane) der 800-kg-Klasse, Rumpfmaterial: Holz
Dieser Artikel erschien in der BOOTE-Ausgabe 11/2020 und wurde von der Redaktion im Dezember 2024 überarbeitet.