Clare Mahon
, Uske Berndt
· 19.03.2023
Die Custom Line 140 ist das neue Flaggschiff in Ferrettis Gleiter-Familie und die erste mit einem Sonnendeck. Francesco Paszkowski zeichnete die knapp 43 Meter, für das Interior bekam die Werft aus Ancona Unterstützung von Margherita Casprini.
Mit der jüngsten Ergänzung ihrer Gleiter-Serie hat sich Custom Line ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: möglichst viel von allem auf möglichst wenig Raum unterbringen. Offensichtlich hat es funktioniert. Die Ferretti-Gruppe hob das neue Flaggschiff made in Italy unter strategischer Leitung des obersten Ingenieurs Piero Ferrari aus der Taufe. Für die Außenlinien wurde das Team um Francesco Paszkowski Design verpflichtet, für das Interior bekam das werfteigene Atelier kräftige Unterstützung von Margherita Casprini.
Die 140 führt nun das fort, was die Werft aus Ancona 2016 mit der 120 – ebenfalls im Sportwagen-Look von Paszkowski gestaltet – ins Leben rief, dicht gefolgt von der 106 aus demselben Studio drei Jahre später. Beide Yachten kamen mit Flybridge, doch die 140 ist die erste mit einem veritablen Sonnendeck. Damit richtet sie sich an Käufer, die zwar der Serie treu bleiben, aber in mehrfacher Hinsicht „aufsteigen“ möchten. Kunden, die auf der Suche nach etwas mehr Komfort und Freiraum sind. Während nun bei den Vorgängerinnen die Flybridge für alle da war, also Gäste und Crew – mit Steuerstand, Speiseplatz und Spa-Pool – ist das Sonnendeck der 140 ausschließlich auf die Bedürfnisse und den Genuss der Eigner und ihrer Gäste ausgerichtet.
Bei der Gestaltung der Exteriorlinien haben Francesco Paszkowski und sein Florentiner Büro die Formensprache der 120 und der 106 aufgegriffen und entsprechend das sportliche Profil beibehalten. Und ganz nebenbei wächst durch den Zugang auch diese Serie zu einer richtigen Familie zusammen. Die 140 gibt sich schlicht, zeigt vor allem große, helle Flächen, die sich mit langen wie dunklen Fensterbändern abwechseln. Ein Merkmal, das der 140 ein unverwechselbares Markenzeichen verleiht, ist der Handlauf auf dem Hauptdeck. Die Reling ruht auf einer Reihe von lackierten Aluminium-Stützen. Doch damit nicht genug, der Unterbau verläuft in „Y“-Form.
Mit 42,61 Metern Länge und 8,54 Metern Breite bleibt die Custom Line 140 knapp unter 400 Gross Tons und zählt damit in der Kategorie der Superyachten zu den eher kleinen Formaten. Allerdings vergrößert ja genau das die Auswahl an Ausflugszielen. Die Verwendung von leichten Verbundwerkstoffen für den Rumpf sowie Karbon in Teilen des Aufbaus und des Sonnendecks hält ihre Verdrängung bei 225 Tonnen, zudem ermöglicht ihr geringer Tiefgang von 2,35 Metern den Besuch selbst seichter Gewässer – ein echter Mehrwert für all diejenigen, die gerne an abgelegenen Orten ankern.
Francesco Paszkowski arbeitet schon seit Jahren mit der Innenarchitektin Margherita Casprini an der Ausstattung von Yachten. „Meine eigenen Interiors waren kantig und etwas zu maskulin“, kommentiert Paszkowski, „Margherita hat diesen Touch, der Gemütlichkeit und Charakter hervorbringt.“ An Bord der CL 140 fanden Casprini und das Custom Line Atelier ideale Bedingungen vor, in erster Linie viel Raum für das Gästecockpit und den angrenzenden Hauptsalon.
Das Team möblierte die Außenterrasse mit Einzelsesseln und schuf eine eher lässige Sitzordnung, das gleiche Prinzip wiederholt sich in der Lounge des Hauptsalons. Weiter innen befindet sich ein Speiseplatz für bis zu zehn Personen, dank Glasplatte wirkt auch dieses Set-up filigran und leicht. Helle Wandelemente wölben sich vor und zurück, Ecken weichen Rundungen und erzeugen so eine spannende Dynamik im Raum. Ein Effekt, den auch die dunklen Parkettböden unterstreichen. In den Deckenpaneelen, abwechselnd weiß und verspiegelt, liegen reflektierende Metallstreifen, was am Ende die mehr als zwei Meter hohen Räume optisch noch ein wenig höher zieht.
Beleuchtung gibt es in allen Formen und Größen, von LED-Streifen über Spot-Strahler bis hin zu frei stehenden Designerstücken. Die Einrichtung zeigt sich geradlinig und modern, die Sitzmöbel überziehen hochwertige Stoffe, einige setzen auffällige Farbakzente für einen frischen, zeitgenössischen Look mit viel italienischem Flair. Custom ist ganz bewusst Teil des Markennamens, und so können Eigner ihre Yacht individuell einrichten und sogar Änderungen am Layout vornehmen – solange sie das Gleichgewicht auf dem Wasser nicht zu sehr ins Wanken bringen. Allerdings dürfte mit einem Designteam wie diesem das Ergebnis kaum zu verbessern sein.
Sämtliche Servicewege und Arbeitsbereiche, inklusive einer Treppe vom unteren Deck bis zum Sonnendeck, befinden sich auf der Backbordseite. Diese bewährte Trennung von Crew und Gast lässt das Leben an Bord reibungslos ablaufen. Wahrscheinlich bemerken Gäste, die durch die Hauptdeck-Lobby gehen, möglicherweise gar nicht, dass die Galley plus Speisekammer direkt dahinter liegt.
In Richtung Bug schließt sich die Mastersuite an. Gleich am Eingang bekamen begehbare Kleiderschränke ihre Standorte sowie ein Tagesbett unter einem großen Fenster. Die Suite bietet neben dem mittig platzierten Bett noch Raum für eine Sitzecke an Steuerbord. Dort kann optional eine abklappbare Terrasse installiert werden, die der Eigner einfach per Knopfdruck selbst bedient. An Backbord gibt es sogar noch Platz für einen dritten Schrank hinter einem Schreibtisch. Das Er-und-sie-Thema setzt sich im Badezimmer fort, wo in der Mitte zwei Waschbecken und eine große Badewanne stehen. Zu beiden Seiten gibt es jeweils eine separate Kabine für WC und Dusche, was optimale Diskretion und Privatsphäre garantiert.
Auf dem Unterdeck befinden sich vier weitere Gästesuiten, zwei VIPs mit toller Aussicht, eine Doppel- und eine Zweibettkabine. Selbstverständlich verfügen alle über ein eigenes Bad und sind ebenso exklusiv ausgestattet wie die Mastersuite. Der Crewbereich mit Messe sowie drei Doppelkabinen mit Bad liegen weiter vorne, ein schallisoliertes Schott trennt das Areal von den Gästesuiten.
Die Sky Lounge auf dem Oberdeck dürfte einer der Lieblingsplätze an Bord werden. Von hier gehen drei Glasschiebetüren ab: Eine führt zum Achtercockpit und zwei zu den Seitengängen. Zwar ist der Salon ein sehr schöner und luftiger Raum, eher wie ein Pavillon am Meer, dennoch stellen die Außenbereiche die wahren Protagonisten des Oberdecks dar. Das hintere Cockpit – mit Speiseplatz und Sofalounge – ist um etwa ein Drittel größer als der Salon. Auch das eher privat anmutende Vordeck wird mit Sitzbereich und Sonnenpolstern komfortabel ausgestattet, für Schatten sorgt ein abnehmbares Bimini. Niemand würde vermuten, dass sich die Gäste hier auf der vorderen Garage für Tender und Jetskis sonnen. Ebenfalls auf dem Oberdeck findet sich die Brücke mit Team Italia-Navigationstechnik sowie der angrenzenden Kapitäns-Suite.
Während allein das Oberdeck die CL 140 von der 120 und der 106 unterscheidet, rundet das Sonnendeck das Gesamtpaket sowohl buchstäblich als auch im übertragenen Sinne nach oben ab. Diese 70 Quadratmeter große Fläche gibt sich äußerst variabel: zum Beispiel für eine Fläche zum Sonnenbaden plus Whirlpool, dann ein schattiger Bereich unter dem Hardtop zum Relaxen und Speisen sowie eine Zone für Bar mit Service, die sich direkt an die Laufwege der Crew anschließt.
Ein Teil des Bordlebens besteht ja nun darin, leicht von der Yacht ins Wasser abtauchen zu können – eine Tatsache, die Paszkowski und Custom Line natürlich im Blick hatten. Symmetrisch angeordnete Treppen führen vom Gästecockpit zu einem offenen Heck, das in einer Badeplattform plus Beachclub endet. Die Garage für die Wasserspielzeuge liegt direkt vor dem bordeigenen Strand und verfügt an Backbord über eine eigene Tür. So können die Eigner und Gäste den Schwimm- und Beachclubbereich exklusiv und vor allem ungestört nutzen.
Das neue Flaggschiff findet die ideale Balance zwischen der Ausstattung einer Custom Line Navetta und der Performance eines Gleiters: Den Antrieb übernehmen zwei MTU-Sechszehnzylinder, mit denen die 140 bis zu 21,5 Knoten läuft, etwas weniger als die 120 und die 106, aber immer noch gut sechs Knoten mehr als eine ähnlich große Navetta 42. Um das Wohlbefinden der Gäste auf die Spitze zu treiben, nahm die Werft jede potenzielle Lärm- und Vibrationsquelle ins Visier und fand dafür auch gleich die passende Lösung: Unter den Motoren verlegten die Ausstatter schwimmende Böden, die Abgasrohre bekamen XL-Dämpfer verpasst und auch die Schotten erhielten einen soliden Schallschutz. Für Komfort bei Langsamfahrt haben Eigner die Wahl, gyroskopische Stabilisatoren von Seakeeper einbauen zu lassen.
Es sieht nun ganz danach aus, als würde die 140 auf dem Markt einen Volltreffer landen. Neben den Custom Line-Kunden, die etwas Größeres suchen und dabei dem dynamisch-sportlichen Design des Gleiters treu bleiben möchten, spricht sie noch eine weitere Zielgruppe an: Eigner, die bereits einen großen Verdränger besitzen und nun nach einer Yacht Ausschau halten, die ihnen das gleiche Maß an Komfort und Stil bietet, aber zusätzlich mehr Geschwindigkeit und darüber hinaus die Chance, in flacheren Gewässern zu ankern. Vielleicht ist die Custom Line 140 genau die Yacht, die beweist, dass weniger auch gleichzeitig mehr bedeuten kann.00