Bodo Müller
· 28.01.2023
Wir entdecken die beliebteste Wassersportprovinz der Niederlande, Friesland, auf ganz neue Art: per Elektro-Charterboot
Was für ein Gefühl! Das Schiff fährt nahezu lautlos per Joystick seitlich aus der Box hinaus. Skipperin Siegrun schiebt den Gashebel nach vorn. Es fehlt das übliche Brummen des Motors. Nur der kraftvolle Vortrieb und ein leises Surren signalisieren, dass unsere Northman 1200 dennoch mit Maschinenantrieb unterwegs ist – allerdings elektrisch. Dabei ist unser Boot aber kein kleiner Daycruiser, den man so motorisiert auf den Binnengewässern in Friesland inzwischen häufiger sieht, sondern eine ausgewachsene Charteryacht mit einem komfortabel ausgestatteten Wohnbereich für sechs Personen. Hier funktioniert alles elektrisch, selbst Heizung, Herd und Backofen. Und es gibt nirgendwo einen versteckten Dieselgenerator für den Notfall. Diese E-Yacht hat null Komma null Emission.
Vor dem Ablegen fragte ich Werftchef Jurjen Poorting, der die Northman entwickelt hat, wie lange man mit dem Boot fahren könne. „Solange du willst“, lautet die Antwort, „das ist nicht anders als mit Dieselmotor.“ Ich hake nach: „Ich meine, wie lange hält eine Batterieladung?“
„Das ist auch ähnlich wie bei einem Dieselmotor. Es hängt davon ab, wie viele Stunden und wie schnell du fährst. Du hast eine Tankanzeige.“ Dabei zeigt er auf das Display im Cockpit, auf dem eine Batterieladung von 100 Prozent angezeigt wird.
Der weißhaarige Erfinder, der eine unglaubliche Ruhe ausstrahlt, stellt die Gegenfrage: „Wie viele Stunden fährst du realistisch in einem Binnenrevier pro Tag?“ Nach meiner Erfahrung lässt sich das besser in gefahrener Distanz messen: „Zwanzig bis dreißig Kilometer, würde ich sagen.“
„Dann wirst du bis zu drei Tage lang fahren können“, entgegnet Jurjen. „Aber natürlich hast du auch in jedem Hafen hier in Friesland Steckdosen, wo über Nacht die Akkus aufgeladen werden können. Weit mehr Möglichkeiten also, als es Dieseltankstellen gibt.“
Am ersten Chartertag ist der Himmel dunkelgrau, und die Provinz liegt im Dauerregen. Das ist kein Wetter, um per Boot auf Entdeckungsreise zu gehen. Wir kaufen für den Törn ein und erkunden daher die Umgebung per Auto. Die alten Hafenorte im Norden des IJsselmeeres gefallen uns. Bis zum Bau des Abschlussdeichs im Jahr 1932 waren Makkum, Workum, Hindeloopen und Stavoren Seehäfen an der Waddenzee. Aber auch wenn längst kein nennenswerter Handel mehr stattfindet, liegt noch immer der Geist des „Goldenen Zeitalters“ über ihnen.
Unter diesem Eindruck schmieden wir unseren Törnplan: Auf einer nördlichen Kanalroute via Sneek zum IJsselmeer, darauf nach Süden und dann über die friesischen Seen zurück nach Heeg. Am zweiten Chartertag hört der Regen auf. Als die Maisonne gleißendes Licht über die Wasserstadt Heeg legt, lösen wir die Festmacher und lassen die Charterbasis von Natural Yachts achteraus. Mit der wärmenden Sonne im Gesicht verlassen wir das Hafenlabyrinth von Heeg, biegen nach Osten in die Jeltesloot ein und überqueren auf einem Aquädukt die Autobahn 354. Die Jeltesloot führt rechtwinklig auf den Prinses Margrietkanaal, eine viel befahrenen Wasserstraße, die zur Staande Mastroute gehört. Diese alte Schifffahrtsstraße, die mit stehendem Mast gesegelt werden kann, führt von der Ems über Groningen durch ganz Friesland und mündet bei Lemmer ins IJsselmeer.
Niederländische Frachtschiffe und deutsche Segelboote sorgen für viel Verkehr. Doch bereits nach 2,5 Kilometern verlassen wir die Staande Mastroute wieder nach Norden und steuern nun über eine Nebenstrecke, die Wâldfeart, in Richtung Sneek. Die Altstadt von Sneek ist schon zum Greifen nahe, da stehen wir vor einer flachen Brücke. Was nun? Am Bauwerk hängt ein Schild: „Woud-vaartbrug“, darunter eine Telefonnummer. Ich rufe an, sofort nimmt jemand ab: „Ich habe Sie schon gesehen, gleich sehen Sie mich auch.“
Der Brückenwärter kommt per Fahrrad, sperrt die Straße und hebt die Brücke. „Fahrt gleich durch zur Lemmerbrug, die mache ich anschließend auf “, ruft er vom Steuerstand. Wir folgen dem radelnden Brückenwärter. Er öffnet auch die Lemmerbrug, und wir gelangen in den historischen Hafen von Sneek. De Kolk heißt dieser Wasserweg. An Steuerbord passieren wir das Waterpoort, das historische Wassertor aus dem 17. Jahrhundert. Da hier starker Bootsverkehr in beide Richtungen herrscht, bleibt keine Zeit, sich das historische Bauwerk von Bord aus anzusehen. Die Liegeplätze in Sichtweite des Wassertors sind vergeben. Doch 300 Meter weiter westlich gibt es am Nordufer des Kanals De Geau reichlich Gastplätze. Ich schaue auf unsere Tankanzeige: noch 80 Prozent. Sehr entspannt lege ich das Kabel zur nächsten Steckdose.
Sneek ist eine schöne mittelalterliche Stadt, die, wie alle Orte der Region, von schiffbaren Kanälen durchzogen ist. Wahrzeichen ist das bereits erwähnte zweitürmige Waterpoort aus dem Jahr 1613, welches Teil der Stadtbefestigung war. Entlang der innerstädtischen Kanäle gibt es reichlich Geschäfte und Gaststätten.
Morgens zeigt unser Akku-Display wieder 100 Prozent Ladestand, die „Tanks“ sind also wieder voll. Wir bezahlen beim Hafenmeister 19,30 Euro Liegegeld – der Einheitspreis für ein 12-Meter-Boot in der Großgemeinde Südwest-Friesland –, richten unseren Bug auf der Wasserstraße De Geau nach Südwesten und erreichen nach drei Kilometern IJlst. Am Ortseingang liegt an Backbord der Gasthafen Uitkijk, wo wir anlegen. Hier arbeitet die Houtzaagmolen De Rat, eines der letzten Sägewerke, die von einer Holländer-Windmühle angetrieben werden.
Daneben lädt das Houtstad werkplaats (Holzstadt-Museum) mit seinen Werkstätten Jung und Alt ein. Die Besucher erfahren viel über die Holzindustrie von IJlst und den Schiffbau im Besonderen. Das Museum beherbergt Werkzeuge, Schlittschuhe und Spielzeug. In der Werkstatt kann man Holzspielzeug selbst bauen (www.houtstad-ijlst.nl). Die 730 Jahre alte Kleinstadt IJlst hat ein schönes Zentrum mit alten Kapitäns- und Kaufmannshäusern.
Wir steuern nach Westen, um unserem Ziel, dem IJsselmeer, näher zu kommen. Am Ortsausgang biegen wir nach Norden in die Bolswardervaart ab, die uns nach Bolsward bringen soll. An dieser Abbiegung gibt es eine drehbare Eisenbahnbrücke. Es ist die einzige Brücke während des gesamten Törns, an der wir eine gute Stunde warten müssen, weil ein Vorstadtzug nicht pünktlich war. Die weitere Route führt durch flaches, grünes Polderland, das dem Wattenmeer abgerungen wurde. Bolsward war einst Hansestadt und lag an der Middelzee, die durch Eindeichungen zurückgedrängt wurde. Die Altstadt ist vollständig erhalten und noch heute von der Stadsgracht komplett umgeben. Wir legen in erster Reihe in der Stadsgracht an und stöpseln den Stecker in die nächstliegende Steckdose.
So schön es hier auch ist, uns zieht es ans Meer. Über die Workumervaart erreichen wir nach zwei Stunden die Hafenstadt Workum und machen mitten im Zentrum im Gästehafen an der Diepe Dolde fest. Workum ist eine typische Zuiderzee-Handelsstadt, die ab dem 15. Jahrhundert durch den Überseehandel zu Wohlstand kam. Im alten Stadtzentrum rund um den Markt gibt es zahlreiche Kunsthandwerkerläden, Boutiquen und Gaststätten.
Morgens verlassen wir auch dieses schöne Städtchen in Richtung Meer. Mit vollen Akkus passieren wir die Seeschleuse, fahren dann noch zwei Kilometer auf dem Kanal Soal durch flaches Land, dann öffnet sich der Horizont: Das IJsselmeer liegt vor uns. Es ist so glatt und still, dass unsere Elektro-Yacht spielend darüberschnurrt.
Ganze drei Kilometer südlich der Mündung des Kanal Soal liegt Hindeloopen, einer der schönsten Orte an der Ostküste des IJsselmeeres. Ohne eine Schleuse passieren zu müssen, steuern wir in den Alten Hafen und bekommen einen traumhaften Liegeplatz mitten im Zentrum. Mit weniger als eintausend Einwohnern ist Hindeloopen eine der kleinsten Städte am IJsselmeer, blickt aber auf eine fast tausend Jahre alte Seefahrertradition zurück. Alter Hafen und Neuer Hafen, der auch Segelhafen genannt wird, nehmen zusammen fast so viel Fläche ein wie der restliche Teil des Städtchens. Im sogenannten Goldenen Zeitalter der Niederlande, dem Gouden Eeuw, unterhielten die Reeder aus Hindeloopen über achtzig Frachtschiffe, die Waren aus den Kolonien holten, in erster Linie aus Ostindien, und verschifften sie mit glänzendem Profit weiter nach ganz Europa. Rund einhundert Jahre umfasste diese Blütezeit, ihr Höhepunkt war nach Ende des Dreißigjährigen Kriegs 1648.
Heute ist Hindeloopen ein attraktiver Touristenort. Entlang der Waterfront reihen sich Souvenirshops und Kneipen. In der Vorsaison erleben wir den malerischen Ort bereits voller Besucher, aber man bekommt überall noch einen Platz. Wie es in Hindeloopen dagegen im Juli/August aussieht, mag ich mir lieber nicht vorstellen.
Nach einem zweistündigen Zwischenstopp in Hindeloopen sind unsere Akkus zu 90 Prozent geladen, mehr als ausreichend für unsere bevorstehende Seereise nach Stavoren. Sehr gern hätte ich das Schiffchen einmal bei Wind und Seegang erlebt. Doch über dem IJsselmeer herrscht eine bleierne Stille, das Wasser ist glatt wie ein Spiegel, und Hunderte Segler dümpeln mit gesetztem Tuch auf der Stelle. Wir passieren in einem Pulk von anderen Booten die großen Seeschleusen von Stavoren und biegen dann nach Backbord in die Altstadt hinein. Ohne Probleme bekommen wir auch hier einen Liegeplatz mit Steckdose. In Stavoren findet man die lebhafteste Kneipenszene rund um den Alten Hafen.
Etwas Wehmut macht sich breit, als wir morgens binnenwärts über die friesischen Seen zurück in Richtung Heeg motoren. Die hübschen Städte haben uns sehr gefallen, ebenso wie unser emissionsfreies und leises Elektro-Charterboot, das sich absolut bewährt hat. Friesland im Flüsterton – ein ganz neues Erlebnis.
S Heeg (Charterbasis) – Sneek: 15 km
Z Heeg
Gesamtstrecke: 83 km
Revierhandbuch „Wateralmanak“: Band 1 mit Gesetzestexten für die Binnenreviere der Niederlande und Belgiens, mit UKW-Funk (zweijährlich, Ausgabe 2021/2022; 19,90 €. ISBN 978-901804-769-6). Band 2: Betriebsinfos zu Schleusen, Brücken und Häfen (jährlich, Ausgabe 2019; 21,99 €. ISBN 978-901804-770-2). Bezug über www.hansenautic.de
Törnführer „Holland 2. Das IJsselmeer und die nördlichen Provinzen“ von Jan Werner. Delius Klasing; 216 S., 75 Pläne, Format: 16,7 x 24,1 cm, broschiert; 34,90 Euro. ISBN: 978-3-667-10954-5. www.delius-klasing.de
Unser Boot: Northman 1200 Electric (GFK-Verdränger) · Länge: 12,26 m · Breite: 3,50 m · Tiefgang: 0,75 m · Kojen: 6 (3 Doppelkabinen) · WC/Dusche: 2/2 · Ausstattung: Bug- und Heckstrahlruder, Klimasystem, Heizung, Induktionsherd, Solarkollektoren usw. · Alle Energiesysteme des Schiffs arbeiten elektrisch. Herzstück sind die Lithium-Eisenphosphat-Akkus mit einer Kapazität von 84 kWh. Sie speisen einen 48-Volt-Controller, der einen Elektromotor mit einer Leistung von 18 kW (24,5 PS) ansteuert. Bei einer Geschwindigkeit von 9 km/h hat das Schiff eine Reichweite von 13 Stunden oder 115 km. Wochenpreise: je nach Saison ab 2080 €. www.northman.pl
Charter: Wir haben die Northman 1200 Electric an der Charterbasis von Natural Yachts in Heeg in einem optisch und technisch sehr guten Zustand übernommen. Natural Yachts verfügt über die erste ausschließlich elektrisch betriebene Charterflotte in der EU. Außer der Northman 1200 Electric wird auch die kleinere Nexus Revo 870 Electric (für 4 Personen) angeboten. Von der Charterbasis in Heeg aus lässt sich der Norden der Niederlande mit Friesland und den benachbarten Provinzen erkunden. Kontakt: Natural Yachts, De Opper 6A, 8621 DZ Heeg, Friesland, Niederlande, Tel. 0031-515 227 017, de.naturalyachts.com
Das Revier: Das friesische Binnenrevier stellt nautisch keine besonderen Ansprüche. Je näher man der Hochsaison kommt, desto mehr muss man sich aber auf zunehmenden Verkehr einstellen. Das IJsselmeer kann bei Wind sehr ruppig werden und sollte mit dem Charterboot daher nur dann befahren werden, wenn die Verhältnisse eine sichere Passage zulassen. Die Öffnungszeiten von Brücken und Schleusen findet man (auf Niederländisch) auf der Internetseite der Provinz Friesland (www.fryslan.frl/brugbediening) oder im ANWB „Wateralmanak“ (Band 2), der sich auch an Bord befindet.
Führerschein: Die Northman 1200 Electric kann man ohne Bootsführerschein chartern. Boote bis 15 Meter Länge, die nicht schneller fahren können als 20 km/h, sind in Holland generell führerscheinfrei.