SchottlandCaledonian Canal - Mit Hausboot durch die Highlands

Christian Tiedt

 · 29.11.2023

Unser Charterboot nimmt Kurs auf die Schleuse Kytra zwischen Loch Oich und Loch Ness
Foto: Nils Günter
Der Caledonian Canal ist eine der spektakulärsten Binnenwasserstraßen Europas: Über knapp 100 Kilometer verbindet er den Atlantik mit der Nordsee. 1822 wurde er eröffnet, um der Schifffahrt den gefährlichen Weg rund um die Nordspitze Schottlands zu ersparen. Ein Glücksfall - denn auch, wenn seine Bedeutung für den Handel längst wieder vergangen ist, ermöglicht er nach wie vor, dass man die großartige Landschaft der Highlands auch mit dem Charter-Hausboot entdecken kann - führerscheinfrei.

Die Nacht bringt Wind und Regen. Man hört die Wellen am Rumpf, das Prasseln der Tropfen und das Knarren der Leinen. Zum Morgen hin beruhigt es sich zwar. Doch die höheren Lagen bleiben wolkenverhangen. Auch die tausend Meter hohen Gipfel von Creag Meagaidh und Ben Tee sind in Nichts gehüllt. Auf den Sitzpolstern der Flybridge steht das Wasser. Ich gehe die paar Schritte zur Schleuse von Laggan und melde uns beim Wärter an. Wir bräuchten nur ein anderes Charterboot abzuwarten, das schon in Sichtweite sei, sagt er. Dann beginnt unsere Reise: Wir runden die Steinmole und laufen in die Kammer ein. Die Wände aus großen Blöcken haben keine Möglichkeiten zum Festmachen, doch der Schleusenwärter nimmt die Leinen an, legt sie oben über eiserne Haken und gibt sie uns dann zurück. Dann schließen sich die schwarzen Stemmtore und es geht behutsam zu Berg.

Gestern waren wir hier eingetroffen zu unserem Chartertörn auf dem Caledonian Canal, der über einhundert Kilometer die schottischen Highlands durchquert und den Nordatlantik mit der Nordsee verbindet. Eine Wasserstraße, die in Europa ihresgleichen sucht, so viel steht fest.

Ein Abzweig von der Landstraße brachte uns hinunter zur Schleuse von Laggan und zum Stützpunkt von Le Boat. Er liegt am Ceann Loch, am nordöstlichen Ende des Loch Lochy. Das Einchecken ging schnell über die Bühne, unser Hausboot, eine moderne Horizon, wartete schon am Schwimmsteg. Wir waren fast die einzigen Gäste, da die Saison erst Ende Mai so richtig startet, in zwei Wochen also. Nachdem wir Gepäck und Proviant an Bord gebracht hatten, erzählte uns John bei der Einweisung, worauf wir beim Törn achten müssten: Immer im Fahrwasser bleiben, nicht ins Wasser fallen und in der Schleuse immer Schwimmweste tragen. Und dass es in diesem Jahr schon drei Sichtungen von Nessie gegeben habe. Ein Witz? Von wegen: „Wenn ihr was vor die Kamera bekommt, schickt mir das Foto!“

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Obwohl die Landstraße A 82, die den ganzen Verkehr durch den Great Glen leitet, parallel verläuft, ist sie vom Wasser aus weder zu hören noch zu sehen. Dichter Wald begrenzt die Ufer zu beiden Seiten, regenschweres Laub neigt sich über das Wasser. Das frische Grüne der jungen Triebe und Blätter bildet einen dramatischen Kontrast zum grauen Himmel. Zwitschern erfüllt die Stille. Von den Zweigen hängt Old Men’s Beard in langen, grauen Büscheln.

Loch Oich: der kleinste und flachste See

Wir erreichen den Loch Oich, den kleinsten und flachsten der drei Seen im Verlauf des Kanals, doch vorher passieren wir noch die Laggan Swing Bridge, auf der die Straße den Kanal überquert und anschließend am Nordufer entlangführt. Der makellose weiße Anstrich kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die genietete Technik mindestens einhundert Jahre auf dem Buckel hat. Die Bäume am Ufer bleiben, aber es gibt nun Lücken, die den Blick auf Weiden und Wiesen eröffnen. Auf hölzerne Nurdachhütten, weiße Cottages und die Ruine von Invergarry Castle, dessen brüchige Mauern aus dichtem Grün emporragen.

Ein Wrack von der Größe eines Kutters, sicher ein ehemaliges Wohnboot, liegt halb versunken und völlig vergessen vor dem Ufer. Dahinter steigen die Berge auf, höher im Norden, auf der Seite der Highlands. Viel braun und grau, aber auch Schonungen aus Laub- und Nadelwald. Dichter Rhododendron. Und immer wieder leuchtend gelbe Flecken blühenden Ginsters. Wir folgen dem betonnten Fahrwasser, bevor der See endet und mit der Drehbrücke von Aberchalder der nächste Kanalabschnitt beginnt. Mit Steinschüttungen als Böschung ist er zwar nicht mehr ganz so natürlich, aber immer noch schön. Die Schleusen von Cullochy und Kytra liegen beide idyllisch.

Die Schleuse Kytra erreichen wir während der Mittagspause, die bis vierzehn Uhr dauern soll. Doch schon eine Viertelstunde vorher kommt der freundliche Schleusenwärter ans Boot und sagt, dass es weitergehe.

Auch die Schleusentreppe von Fort Augustus, die nun folgt, erwartet uns mit offenen Toren. Wie die Schleusung abläuft, haben wir von John erfahren, werden nun aber noch einmal eingewiesen: Motor aus und aussteigen, um unsere Horizon mit den Leinen von Kammer zu Kammer zu treideln. Insgesamt sind es fünf, Schritt für Schritt geht es hinab, Stufe um Stufe, beobachtet, fotografiert und gefilmt von Ausflüglern rechts und links. Bevor die fünfte Kammer geleert wird, steigen wir wieder an Bord, die Tore öffnen sich und wir haben nach weniger als einer Stunde das Niveau des Loch Ness erreicht. Klingeln rasseln, Schranken schließen und auch die Brücke am unteren Ende der Treppe schwingt zur Seite und macht den Weg frei für uns. Hinter der „Asante“, einer schneeweißen Segelyacht aus Cowes, gehen wir längsseits an den langen Holzsteg.

Fort Augustus im Urlaubsmodus

Fort Augustus gehört den Urlaubern, allerdings ohne überlaufen zu sein. Das Schuhwerk verrät viel über die Art der Freizeitgestaltung: Sandalen bei den Bustouristen, Wanderstiefel bei den Backpackern. Doch für alle strahlt die Sonne jetzt vom Himmel. In den Souvenirshops scheint das früher für Schottland synonyme Schaf passé, das knuddelige Highland-Rind hat seinen Platz eingenommen. Man hört viel Deutsch, an Bord der Boote und an Land. Die Terrasse vor dem Lock Inn ist voller fröhlicher Biker und Best Ager, manche sind beides. Drinnen ist noch genau ein Tisch frei für uns, rustikale Holzplatte, direkt unter einem eingerahmten 30-Pfund-Lachs.

Höchste Zeit für den ersten Whisky der Reise! Wir fragen nach dem single malt of the day. Der Mann hinter der Bar präsentiert eine funkelnde Flasche: Glenlivet Tropical Reserve. „Passt zu der Hitze draußen“, verspricht er beim Einschenken.

Sonne und Regen am Morgen, doch der Wind weht weiter schwach aus Südwesten – und damit aus der besten Richtung. In den kommenden Stunden wird er uns sanft über den Loch Ness schieben. Und der See ist lang, sehr lang: 36 Kilometer liegen zwischen der Mole von Fort Augustus und dem Leuchtfeuer von Lochend an seinem nördlichen Ende. Damit macht er ein Drittel der Gesamtstrecke des Caledonian Canal aus, auf unserem Törn ab Laggan sogar die Hälfte.

Wenn die Welle hier von vorn kommt, kann es ein sehr langer Ritt auf sehr grobem Waschbrett werden. Glück für uns, dass die Wettergötter heute so milde gestimmt sind.

Am Morgen gehe ich auf der Suche nach frischem Brot noch kurz zur Straße, doch der Spar an der Tankstelle ist um kurz vor neun schon ausverkauft. Stattdessen bleibe ich vor den Zeitungen stehen: Die Royals haben ihre offiziellen Porträts der Krönungszeremonie veröffentlicht, die nun jede Titelseite zieren. Charles dankt, die mit Hermelin verbrämte Krone wiegt schwer. Einziges Störgeräusch in dieser Verehrungslitanei: The National – „The Newspaper that supports an independent Scotland“. Hier machen die angestrebte Neuauflage des Unabhängigkeitsreferendums und böse Brexit-Folgen den Splash. Seine Majestät schafft es nur in Briefmarkengröße unten rechts auf Seite drei. Der Begleittext: „Mehr Briten sahen Fußball als die Krönung“.

Während die beiden Segler am Steg um zehn Uhr die erste Bergschleusung antreten, legen wir in die entgegengesetzte Richtung ab, runden die Mole und steuern auf den Loch Ness hinaus.

  • Teil 2 unserer Reportage finden Sie hier.

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