Christian Tiedt
· 03.12.2023
Auf der Flybridge lässt es sich aushalten, von Motor und Heckwasser ist kaum etwas zu hören. Blickt man voraus, scheint das Boot stillzustehen, kein Wunder bei diesem weiten Panorama. Bis zum Horizont reichen die flankierenden Berge. Die Lücke am Ende dieser Flucht führt zu unserem Ziel, Inverness an der Nordsee. Abgesehen von der A 82, die am Nordufer verläuft und an Sattelzügen und Reisebussen in Spielzeuggröße erkennbar ist, halten sich die Spuren der Zivilisation zu beiden Seiten in Grenzen. Einzelne Cottages, größere Lodges und ein Campingplatz sind auszumachen. Dazu der weiße Block des Wasserkraftwerkes von Foyers. Gänzlich verborgen bleibt dagegen der historische Friedhof des Clans Fraser, von dem wir nur durch Google Maps erfahren. Dafür zieht sich ein Saum aus Wald entlang der Ufer. Oberhalb wechseln die Farbtöne der Heidevegetation von blassem Ocker bis zu kräftigem Rotbraun. Dazwischen leuchtet heller Fels im Sonnenlicht.
Es ist eine träumerische, fast schon meditative Fahrt und nach gut zwei Stunden haben wir die Hälfte der Strecke hinter uns. Von Nessie: keine Spur, was vielleicht auch daran liegt, dass wir gestern Abend bei dem einen Whisky geblieben sind.
Keine verdächtige Welle, kein Buckel, der die Wasseroberfläche durchbricht. Doch dafür kommt es zu einer Begegnung ganz anderer Art. Sekundenschnell schwillt von achtern ein gewaltiges Brüllen an: Zwei Eurofighter der Royal Air Force haben uns direkt im Tiefflug angepeilt, kaum hundert Meter über der Oberfläche, donnern heran und machen erst im letzten Augenblick ihren break away nach rechts, um kurz danach nur noch Punkte in der Ferne zu sein. Wir staunen stumm. Kein Wunder, dass da selbst Ungeheuer lieber auf Tiefe bleiben.
Für uns geht es weiter, noch einmal eine Stunde, bis die Berge beiderseits sanft auslaufen und so die nahe Küste ankündigen. Bei Lochend endet der See in einer weiten Bucht mit Steinstrand, begrenzt von einer gelben Sichel aus Ginster. Dem recht engen Fahrwasser folgen wir in den anschließenden, kleinen Loch Dochfour, auf dem einige Boote an Bojen ruhen. Rechts zweigt mit einem langen Wehr der Abfluss des River Ness ab. Dahinter folgen einige Hundert Meter Felskante, die bei Hochwasser sicher überspült sind. Im Fluss werfen Fliegenfischer ihre silbrigen Fäden aus. Um kurz vor drei erreichen wir Dochgarroch Lock und machen fest, um eine Gegenschleusung abzuwarten.
Währenddessen füttert die Bewohnerin des schmucken, blütenumrankten Cottages an der Wartestelle im Vorgarten ihre Schildkröten. Bald werden wir in die Schleusenkammer hereingewunken.
Da es sich nur um eine Niveauschleuse handelt, sind auch wir schnell durch. Dahinter schlummert an langen Stegen nun eine bunte Mischung von Sportbooten aller Art, Segler, Motorkreuzer, umgebaute Kutter. Viele würden als Museumsstücke durchgehen, aber nur wenige sind auch in entsprechendem Zustand. Auf dem tow path rechts und links passieren wir nun Spaziergänger und Jogger. Rechts, weiter unten verläuft derweil der Fluss, hinter dem bereits die ersten Viertel von Inverness beginnen. Links bedeckt der Ginster ganze Hänge. Ohne dass wir warten müssen, öffnen sich die beiden Drehbrücken von Torvean und Tomnahurich, die eine modern, die andere alt. Und dann erreichen wir die Charterbasis von Caley Cruisers, unmittelbar vor dem obersten Tor der Schleusentreppe von Inverness. Sie selbst bleibt für uns geschlossen, Charterboote dürfen hier nicht weiter. Was Sinn macht, da unten nur eine weitere Marina und die Seeschleuse des Kanals bleiben – und die Nordsee wäre selbst an guten Tagen kein Revier für unsere Horizon.
Am Abend machen wir uns auf in die Stadt, über die Schleuse und in gerader Linie Richtung Innenstadt zum Fluss. Die schwankende Greig Street Bridge, noch so ein filigranes viktorianisches Wunder aus genietetem Schmiedeeisen, bringt uns zur Church Street, wo noch einiges los ist. Aus dem „Highlander“ kommen tatsächlich die ersten Bagpipe-Sounds dieser Reise, doch drinnen ist kein Platz frei. Glück gehabt, vielleicht, denn wie wir später erfahren, handelt es sich „um eine neue Touristenfalle“. Andererseits hätten wir uns ganz gerne gefangen nehmen lassen. So ziehen wir weiter. Im „Hootananny“ ist die Küche bereits seit fünf Minuten dicht und im urigen „Malt Room“ gibt es zwar Hunderte von Whiskys, aber nichts zu essen. Wir kommen zur Union und dann zur High Street, der Fußgängerzone, wo zwei Frauen Folk spielen, und landen schließlich im „Revolution“, einem durchgestylten Laden, dessen internationale Speisekarte aber passt.
Danach probieren wir es noch einmal im „Hootenanny“, wo es Livemusik geben soll – und tatsächlich, in lockerer Runde spielen hier eine bunte Truppe Jigs und Reels zusammen, dazu den einen oder anderen Folk-Song.
Open Session steht auf der Programmtafel. Zum Kreis gehören unter anderem ein langhaariger Metal-Fan mit Cello, ein Pakistani mit Bodhran und die beiden Mädels von der Straße mit Fiddle und Akkordeon. Tolle Stimmung, alle Stühle sind zur Musik gedreht und „The Parting Glass“ bekommt Gesangsbegleitung aus dem Publikum. Dabei ist noch längst nicht last orders. Aus den Zapfhähnen fließen Black Isle Red Kite und Yellowhammer weiter in die Nacht hinein.
Die Rückreise steht an. Wieder passieren wir die beiden Drehbrücken am Rand von Inverness und können in Dochgarroch Lock sofort einfahren und bald sind wir zurück auf dem Loch Ness. Zum Glück müssen wir so nur eine gute Stunde fahren, dann kommt Urquhart Castle voraus in Sicht und rechts davon Urquhart Bay. Das betonnte Fahrwasser zum Hafen von Drumnadrochit ist gut auszumachen. Auch wenn das mit Beton eingefasste Rechteck sonst fast leer ist – von zwei Motoryachten abgesehen, die für die Jagd nach Nessie ausgerüstet sind und einem weiteren Charterboot.
Hübsch ist es hier, mit Bäumen auf zwei Seiten, Picknicktischen und kleinem Servicegebäude. Die nahe Landstraße ist kaum wahrzunehmen, zumindest jetzt am Tag nicht. Immerhin ist es der einzige Hafen direkt am Loch Ness. Eröffnet wurde er 1999, 2017 kam dann die Rettungsstation hinzu. Auch die wirkt mit ihrem blauen Tor und dem verborgenen RIB dahinter ziemlich verwaist.
Ein Schaukasten am Rettungsschuppen verrät, dass der letzte Rettungseinsatz 2019 erfolgte, ein Maschinenschaden. Noch ein Indiz mehr, dass hier kein Schrecken in dunklen Tiefen lauert.
Zu Fuß wandern wir knapp zwei Kilometer nach Drumnadrochit, aber nicht, um uns die Erlebnisausstellung Nessieland anzusehen (wir ahnen, dass wir auch dort nicht mehr über die Existenz des scheuen, offenbar unsterblichen Urzeitwesens erfahren würden als in den vergangenen Tagen), sondern um am Post Office den Bus nach Urquhart Castle zu nehmen. Denn dieses historische Relikt ist, wenn auch deutlich jünger und nur noch als Skelett (aus Mauern) erhalten, zumindest verlässlich zu besichtigen. Das Besucherzentrum der Burg, die während ihrer Blütezeit zu den größten des Landes gehörte, bietet einen Einblick in das Schottland des Mittelalters, in die Struktur der Clans am Great Glen, in Fehden und Feldzüge, mal gegen die Krone, mal mit ihr gemeinsam. Und nicht zuletzt bekommt man von den Zinnen des Bergfrieds einen grandiosen Panoramablick über den Loch Ness.
Nach einem schwachen Zug am Morgen dreht der Wind nach dem Ablegen innerhalb einer halben Stunde zurück auf Südwest und nimmt spürbar zu, von zwei auf drei Beaufort, später auf vier. Nun zeigt sich doch noch, wie rau es auf dem Loch Ness zugehen kann.
Gleichzeitig wirkt auch die Landschaft wilder und ursprünglicher, die Farben kräftiger als vor drei Tagen. Das Wasser ist nun tiefblau, weiß leuchten die Schaumkronen der uns entgegenkommenden Kämme. Paddler treiben vor dem Wind, manche mit Segeln. Andere haben ihre Boote auf schmale Steinstrände gezogen, Zelte aufgestellt. Lagerfeuer flackern. Die Wolken eilen über uns hinweg, mal als Schleier, blass und durchscheinend, mal als schiefergraue Gebirge mit silbernen Graten. Immer steiler wird die Welle, immer stärker der Wind, je schmaler der See im Süden wird. Als wäre er der Sitz der Wettergötter selbst, erhebt sich am Ende dieser Flucht der Ben Nevis über den Horizont, der höchste Berg der Britischen Inseln.
Es ist ein weiteres Bild, das bleiben wird von unserer außergewöhnlichen Reise auf dem Caledonian Canal, auf eigenem Kiel quer durch die schottischen Highlands.
Horizon 1 (GFK-Verdränger) · Länge: 11,50 m · Breite: 4,25 m · Kojen: 4 (2 Doppelkabinen) · WC/Dusche: 1/1 · besondere Ausstattung: Bug- und Heckstrahlruder, zweiter Fahrstand (innen), Gasgrill, Backofen, Klimagerät, Flybridge mit Verdeck. Preisbeispiele je nach Saison: 1838 € (Start: 30.3.2024), 3608 € (Start: 6.7.2024), 2238 € (Start: 21.9.2024)
Unterwegs waren wir mit einem Boot der Horizon-Reihe von Le Boat in der Ausstattungsvariante mit zwei Doppelkabinen (o.). Daneben bietet die in insgesamt acht europäischen Ländern und Kanada vertretene Firma an dieser Destination auch noch weitere Bootstypen unterschiedlicher Größen und Preisklassen an. In Schottland wird der Stützpunkt in Laggan betrieben. Von dort sind Törns wie der geschilderte mit dem Loch Ness in Richtung Nordsee bis Inverness möglich, man kann aber auch die andere Richtung über den Loch Lochy nach Fort William wählen, Schottlands Zentrum für Outdoor-Aktivitäten in der Ben-Nevis-Region.
Informationen: Le Boat, Theodor-Heuss-Str. 53–63, Eing. B, 61118 Bad Vilbel, Tel. 06101-557 91 75.